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Die europäische Idee österreichischer Freihandelszonen

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Die österreichisch-ungarische Monarchie war vom Standpunkt der Wirtschaftspolitik ein nahezu autarkes Gebilde. Entsprechend der damaligen gesellschaftlichen Schichtung und des Lebensstandards dieser Zeit konnten nahezu alle für die Notwendigkeiten und Annehmlichkeiten des Lebens erforderlichen Güter aus dem großen Gebiet der österreichisch-ungarischen Zollunion bezogen werden. Es lag hier tatsächlich eine jener seltenen Kombinationen vor, in denen e i n Zollgebiet, ein einheitliches Zollrecht und eine einheitliche handelspolitische Vertretung nach außen zu finden waren. Wie selten derartige wirtschaftliche Vertragsfiguren in Wirklichkeit sind, kann daraus ersehen werden, daß das britische Weltreich den Gedanken einer Zollunion niemals realisieren konnte . Solang dieses Österreich-Ungarn bestand, wurde der Ruf nach Zollfreizonen in diesem Staatsgebiet nicht laut, da hiefür praktisch kein Bedarf vorhanden war.

Man ließ in einer gewissen Kurzsichtigkeit die Donauhäfen, als ob man sie nicht brauchte, ohne tatkräftige staatliche Förderung, wobei hervorgehoben werden muß, daß im Wiener Gebiet von seiten der Gemeinde vom Jahre 1876 angefangen außerordentlich viej für den Hafen Wiens getan wurde. Der großartige Getreidespeicher — das sogenannte Magazin X — mit einer Fassungsfähigkeit von 3000 Waggons wurde in den Jahren 1911 bis 1913 mit einem Gesamtkosten- aufwand von 3,780.000 Kronen in der Kaianlage ‘des Lagerhauses der Stadt Wien gebaut, das Kühllagerhaus Engerthstraße im April 1916 eröffnet und die Pflaumen- etuvage zur Konservierung von Dörrpflaumen in den Jahren 1921 und 1922 errichtet.

Die völkerrechtliche Grundlage zur Errichtung eines Freihafens an der Donau bilden die Donauakte von 1857, woselbst eine Reihe moderner Schiff- fahrtsgrundsätze, wie insbesondere die Abschaffung verkehrsfeindlicher Stapel-, Umschlags- und Verkehrsrechte, festgesetzt wurde.

Als nach dem ersten Weltkrieg die österreichisch-ungarische Monarchie zerfiel und an die Stelle dieses nahezu autarken Gebietes eine Anzahl von Kleinstaaten trat, betrieben einige von diesen die gefährlichste und abwegigste Handelspolitik, die von Kleinstaaten dieser Art überhaupt ins Auge gefaßt werden kann. Sie trachteten, Autarkie im kleinsten Raum zu spielen. So entstand eine Reihe nationaler Industrien, für welche zum Teil gar keine ökonomische Grundlage vorhanden war, weshalb nach allen Seiten Zoll- mauem errichtet wurden. Es ist kein Wunder, daß sich der Kaufmann aus dieser protektionistischen Enge nach einer Oase freien wirtschaftlichen Handels sehnte und es aus demselben Grunde zu Freizonenplanungen kam, wie zu Zeiten der merkantilistishen Wirtschaftspolitik große Freihäfen an den Mündungen günstig gelegener Ströme geschaffen wurden. Hiezu kam noch, daß man in einer Freihandelszone nicht mehr ausschließlich ein Mittel für den erleichterten, ohne Zollschikanen sich abspielenden Handel erblickte, sondern die Möglichkeit sah, auf diesem zollfreien Gebiet nicht nur die Hilfsindustrie des Handels, sondern vor allem das sogenannte Veredelungsgewerbe schon aus dem Grunde ansiedeln zu können, um auf diese Weise dem Hafenverkehr eine Stetigkeit und gesunde Entwicklung zu geben.

Im allgemeinen versteht man ja unter einer Freihandelszone eine Gebiet, in dem Waren gelagert, sortiert, umgepackt sowie bearbeitet und verarbeitet werden können. Tatsächlich kam es in Wien nach dem erste nWeltkri eg zu einer Reihe von sogenannten Enqueten zu diesem Gegenstände. Sie wurden in feierlicher Weise eingeleitet, umfangreiche Protokolle wurden geschrieben, ohne daß jedoch ein praktisches Ergebnis zu verzeichnen war. Als die tatkräftigste Körperschaft in diesen Belangen erwies sich der Niederösterreihische Gewerbeverein, der ein Freihafensyndikat gründete und schließlich die Statuten für eine österreichische Freihafengesellschaft ausarbeitete und im Bundeskanzleramt einreichte. Bei der am 28. Februar 1938 im Bundesministerium für Handel und Verkehr über die Ausgestaltung der Donauwasserstraße und der Donauschiffahrt stattgefundenen Enquete stellte namens des Vereines Bergrat Doktor Böhler die Freihafenfrage in den Mittelpunkt des Interesses und bezeichnet die Preis- und Stapelfrage als Kernpunkt dieses Problems.

Wir sind heute so weit, die Freihandelszonen in Österreich als verwirklicht ansehen zu können. In Wien, Innsbruck, Linz und Villach bemühen sich Aktivisten der Wirtschaftspolitik um die Schaffung dieser Zentren. Bis jetzt war die Schwierigkeit im Mangel einer rechtlichen Untermauerung 3er Freihandelszonen gegeben. Die Wiener Proponenten haben im Sinne ihrer Innsbrucker Freunde einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, der die Schaffung von Freihandelszonen gewährleistet. Dieser Entwurf wurde von Mitgliedern des österreichischen Wirtschaftsbundes als Initiativantrag am 21. April d. J. im Parlament in Vorlage gebracht. Es ist gedacht, daß auf Antrag der zuständigen Landesregierung aus dem Zollgebiet Teile als Freihandelszonen ausgeschieden werden können. Es steht daher jedem Landeshauptmann frei, für einen ihm geeignet scheinenden Platz in seinem Lande den entsprechenden Antrag zu stellen.

Es ist hohe Zeit, in Österreich an die Ausführung des schon seit langem ausgearbeiteten Konzepts zu gehen. Bulgarien errichtet Freihandelszonen im Rahmen seines Staatsgebietes, in Budapest besteht der Freihafen von Csepel und 60 Kilometer stromabwärts von Wien wächst nicht nur der Gedanke eines Freihafens von Preßburg in das wirtschaftliche Leben hinein; es entstehen auch bedeutsame hafentedmische Einrichtungen.

Prospekte aus allen Ländern flattern bereits in das Büro der Freihafeninteressentengesellschaft, welche die Bildung einer Freihafenbetriebsgesellschaft in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft vorbereitet. Straßburg und Antwerpen, New Orleans und San Franzisko haben ihre Freihäfen und weisen stolz auf ihre Einrichtungen bin.

Wenn wir heute an die Schaffung österreichischer Freihandelszonen gehen, so wird die Bedeutung eines derartigen Systems in der Möglichkeit einer Zusammenarbeit aller beteiligten Zollverwaltungen des In- und Auslandes und des dauernden Zusammenschlusses der Repräsentanten der Freihandelszonen dieses Kontinents in wohlverstandener europäischer Gemeinsamkeit in Form eines Freizonen Parlaments zu erblicken sein, das die Entwicklung europäischer Zollvereine vorbereiten soll und die Möglichkeit einer mitteleuropäischen Zollunion als Endziel und ideale Forderung zur Debatte stellen kann.

1 Richard Kerschagl, Handelspolitik, Wien 1947, Seite 93.

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