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DIRK STIKKER / DIE KONSEQUENZEN GEZOGEN

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„Krise in der NATO“, „Norwegen und Belgien gegen Stik-ker-Plan“ — so und ähnlich lauteten die Schlagzeilen der europäischen Presse, die die Diskussionen um den Geheimbericht des NATO-General-sekretärs Dirk Stikker kommentierte. Der politische Realist Stikker erkannte — obwohl kein Militär — deutlich das Knistern,

das in dem so sicher gezimmert erscheinenden Gebälk der europäischen Verteidigungsorganisation auftrat. Äußeres letztes Symptom dieses Knisterns war die durch Washington erfolgte Veröffentlichung der Dokumente zur Entstehung des amerikanisch-französischen Gegensatzes in der NATO, dessen jüngster demonstrativer Akt — die Abberufung der französischen Verbindungsoffiziere aus den NATO-Stäben — ein von de Gaulle dekorativ gesetzter vorläufiger Schlußpunkt war.

Die Tagung der NATO-Minister in Haag bestätigte, was man allgemein erwartet halte: Generalsekretär Stikker gab seinen endgültigen Rücktritt bekannt. Krankheitshalber. Der deutsche Publizist Adelbert Weinstein schrieb in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ über Stikker: „Mit Dirk Stikker verläßt eine ungewöhnlich politische Begabung die öffentliche Szene. Ein Mann mit einer erstaunlichen Laufbahn tritt in den Hintergrund des Geschehens. Erfolg ist ihm in drei Berufen beschieden gewesen — als Geschäftsmann, als Politiker und

Staatsmann sowie als Diplomat. In seltener Harmonie vereinigen sich bei ihm auch brillante geistige Veranlagung mit eleganter Erscheinung.“

Am Anfang der Karriere Stik-kers stand nichts als das immerhin mit Auszeichnung bestandene Doktorat in Groningen. In einer kleinen Bank fand er eine Stellung, klomm jedoch rasch die Sprossen auf der Karriereleiter empor, wurde schließlich Leiter eines der bedeutendsten Kredit-Unternehmens der Niederlande. Den Antrag, die Direktion der angesehensten Brauerei des Landes zu übernehmen, nahm Stikker an und baute eine weltumfassende Vertriebsorganisation auf. Erst der Krieg legte dem Geschäftsmann Stikker eine ungewollte Ruhepause auf. Nach der Befreiung Hollands führte ihn sein Weg freilich weg vom Schreibtisch des Großkaufmanns und direkt in die Politik: 1948 wird Dirk Stikker — der neben Deutsch, Englisch und Französisch auch das Malaiische beherrscht — Außenminister seines Landes. Die Jahre der Marshallplanhilfe für Europa verlangen einen Außenminister mit national-

ökonomischem Wissen und wirtschaftlicher Erfahrung. Stikker bringt es bis zum Präsidenten des Europäischen Wirtschaftsrates.

Das Ende des niederländischen Kolonialreiches macht Dirk Stikker zum Liquidator dieses einst mächtigen, heute in die Hände von Sukarnos Nationalismus geratenen Reiches. 1951 kam es wegen der Frage Niederländisch-Neuguinea zu einer Regierungskrise, ein Jahr später verließ Stikker endgültig die Regierung, um für sechs Jahre Botschafter in London zu werden.

1958 ernannte die niederländische Regierung Stikker zu ihrem NATO-Botschafter, drei Jahre später wurde er — Nachfolger Paul Henri Spaaks — Generalsekretär der atlantischen Allianz. Die NATO-Konferenz vom Mai 1964 war die letzte, der Stikker präsidierte. Er hat die Konsequenzen gezogen. Konsequenzen, die sich aus seiner Krankheit — Stikker hat zwei schwere Operationen hinter sich —, aber auch der Ablehnung seiner Reformvorschläge ergeben haben.

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