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Eine amtlidie Suchaktion nach den Vermißten des zweiten Weltkrieges

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Der im Februar dieses Jahres gemeldete Abschluß der Rückführung der Kriegsgefangenen aus Rußland hat für zehntausende österreichische Familien eine herbe Enttäuschung gebracht. Rund 6000 Kriegsgefangene, von denen briefliche Nachrichten vorliegen, sind noch nicht heimgekehrt und fast hunderttausend Österreicher sind insgesamt vermißt. Die Mehrzahl von ihnen dürfte wohl den Tod gefunden haben — was aber ist mit den noch Überlebenden? Wie können wir etwas über ihr Schicksal erfahren, wann werden sie heimkommen?

Daß die lang erwartete große, systematisch geplante und einheitlich durchgeführte Vermißtensuchaktion erst jetzt in Gang gesetzt wird. liegt darin, daß ihr erst eine Reihe von Verhandlungen mit den Alliierten vorausgehen mußten, die kürzlich zum Abschluß kamen, worauf dann die nötigen, in riesigen Auflagen erforderlichen Drucksorten in Auftrag gegeben werden konnten.

Die Situation ist leider,die, daß wir auf keine Hilfe von auswärts rechnen können, daß vielmehr die Suchaktion sich im wesentlichen darauf beschränken muß, sämtliche Angaben, die Heimkehrer über gefangene Kameraden machen können, mit sämtlichen Vermißtenmeldungen systematisch zu .vergleichen. Wir sind also durchaus auf eigene Kraft angewiesen; der Erfolg der Suchaktion hängt in erster Linie von der Bereitschaft der Heimkehrer ab, bei einer einmaligen letzten Befragung sämtliche erinnerlichen Auskünfte zu geben.

Der Vorgang ist der, daß mit Beginn der 42. Kartenperiode auf dem Wege über die Kartenstellen an zirka 60 0.0 00 bis 80 0.0 00 ehemalige Angehörige der Wehrmacht und andere Heimkehrer Auskunftsbogen ausgeteilt werden, auf denen die Befragten neben den nötigen Angaben über die eigene Person womöglich alle in Erinnerung befindlichen Angaben über vermißte oder gefangene Kameraden eintragen sollen. Diese Auskunftsbogen sind nach der Ausfüllung an die auf jedem Bogen angegebene Sammelstelle abzuliefern, von wo sie dann der im Bundesministerium für Inneres, Abt. 14, eingerichteten Zentralstelle zugeleitet werden.

Dieser Teil der Suchaktion bezieht sich also auf die Erfassung aller im Inland greifbaren Informationen. Der so erfaßten auskunftgebenden Gruppe der Bevölkerung steht sodann die ebenfalls sehr zahlreiche Gruppe der auskunftsuchenden Angehörigen Von Vermißten gegenüber. Diese Personen werden zu einem etwas späteren Zeitpunkt ebenfalls Formblätter erhalten, in die alle erforderlichen Angaben über die Vermißten eingetragen werden sollen.

Das Begegnungsregister

Auf diese Weise entstehen in der Wiener Zentralstelle im Innenministerium zwei große Karteien: die Kartothek Blau wird die bei der jetzigen Suchaktion ein- langenden Auskünfte enthalten, zu denen noch alle früheren Informationen hinzugefügt werden sollen, die seinerzeit durch das Rote Kreuz und durch andere Organisationen ermittelt worden sind. In einer zweiten Kartothek Rot werden alle Suchanzeigen von Vermißen sowie die Einleitungsedikte der Landesgerichte für Zivilrechtssachen, betreffend Todeserklärungen, gesammelt werden. Die Hauptarbeit der hiefür eigens eingerichteten und mit einem großen Stab von Beamten ausgerüsteten Abteilung 14 des Innenministeriums wird nun darin bestehen, ein „Begegnungsregister” anzulegen, in dem die Angaben der blauen und der roten Kartothek systematisch miteinander verglichen werden.

In solchen Fällen, in denen einem Heimkehrer der genaue Vor- und Zuname eines im Lager verbliebenen oder verstorbenen Kameraden noch in Erinnerung ist, hat man es sehr leicht, weil man dann an Hand der Kartothek Roc die Angehörigen des Betreffenden ermitteln und sie gegebenenfalls verständigen kann. Es kann aber auch Vorkommen, daß ein Heimkehrer von einem in der ‘Gefangenschaft verbliebenen Kameraden nur mehr in Erinnerung hat, daß er zum Beispiel aus Tamsweg im Lungau stammt, daß er rote Haare und eine Narbe auf der linken Wange hat. In solch einem Fall kann nun die systematisch geordnete und sowohl nach Namen wie auch nach Wohnorten und Feldpostnummern katalogisierte Kartothek Rot dazu verhelfen, festzustellen, daß gerade aus Tamsweg ein Vermißter gemeldet wird, bei dem die gleichen besonderen Kennzeichen angeführt werden.

Man erkennt aus diesen Beispielen, wie notwendig es ist, eine solche Suchaktion mit einem entsprechend großen Apparat zentral zu führen. Eine länderweise durchgeführte Suchaktion könnte nie dasselbe leisten, ebensowenig wie auch irgendwelche private Suchaktionen, die mit kleineren Mitteln ausgeführt werden. Alle Plakate mit Bildern von Vermißten oder Namensdurchsagungen durch den Rundfunk werden jeweils immer nur einem relativ kleinen Personenkreis zugänglich, und es müßte ein besonders glücklicher Zufall sein, wenn gerade der eine oder jene wenigen Heimkehrer, die Auskünfte geben könnten, das betreffende Plakat lesen oder gerade jene Radiosendung abhören. In dem Begegnungsregister der amtlichen Suchstellen werden dagegen die mehreren hunderttausend Auskunftsbogen systematisch sämtlichen Vermißtenanzeigen gegenübergestellt, so daß alle Auskünfte wirklich lückenlos verwertet werden können. Zu diesem Zweck steht der unter der Leitung des Amtsrates Berdach stehenden Abteilung 14 ein Stab von rund 60 Beamten zur Verfügung, die alle Mittel moderner Detektivkunst aufwenden werden, um sämtliche Spuren zu verfolgen. Von seiten der staatlichen Stellen wird also das möglichste getan werden — der ausschlaggebende Faktor für den Erfolg ist, wie schon erwähnt, in allererster Linie die Hilfsbereitschaft der Heimkehrer selbst.

Bei der allgemeinen Unbeliebtheit von Fragebogen ist zu befürchten, daß mancher Heimkehrer ärgerlich wird, wenn er in dem ihm vorgelegten Auskunftsbogen Rubriken findet, in denen er nach Alter, Adresse, Dienstgrad und vielen anderen Angaben von Kameraden gefragt wird, die er längst nicht mehr weiß! Lieber Heimkehrer! Es wird nicht vorausgesetzt, daß du dich noch an alles erinnern kannst, wonach auf alle Fälle in dem Auskunftsbogen gefragt wird. Du sollst nur alles, aber auch wirklich alles aufschreiben, was du mit Sicherheit weißt. Und selbst so unscheinbare Fingerzeige können unter Umständen zur Wiederauffindung eines Vermißten beitragen. Also der dringende Appell an alle Heimkehrer:

Hier ist zum letztenmal Gelegenheit, einen Kameradschaftsdienst für alle jene zu leisten, die wie ihr selber als Opfer des Kriegswahnsinnes gelitten haben. Denkt scharf nach und schreibt alles auf, was ihr mit Sicherheit wißt. An euch liegt es, ob vielleicht doch noch Tausende von Angehörigen aus ihrer quälenden Unsicherheit erlöst werden können!

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