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Eine Schweizer „Vision“ um Südtirol

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Die Österreicher haben in diesen unguten Zeiten den Humor nicht ganz verlernt und jeder kann es erfahren, der etwa die Wiener über den Ertrag der polizeilichen Schleichhändlerrazzien auf dem Resselpark befragt. Aber die Schweizer, die es freilich leichter haben, unbeschwert von Zonen, Kalorien und sorgfältig konservierten Reliquien des nazistischen Bürokratismus, tun es uns Österreichern doch zuvor. Das läßt ein burlesker Bericht erkennen, den uns ein Schweizer Freund zusendet — wir glauben, er stammt aus der Zürcher „Tat“ — und der die Pariser Friedenskonferenz behandelt. Da Witze nie auf Kosten der Kleinen, sondern zumeist auf Kosten der Großen gehen, ist anzunehmen, daß die Herren des Pariser Synedrions diese auf sie gemünzte „Vision von W a 1-tero della Vogelweida“ mit demselben heiteren Gemüte aufnehmen, das den Weisen der Welt zukommt. Was wären die Sorgen des öffentlichen Lebens, wenn sie auch noch griesgrämig machen würden! Die „Vision“ spielt im Spätherbst 1966. Nicht allzu weit weg von heute, sozusagen noch in Reichweite:

. . .Die Subkommission der Unterkommission der Nebenkommission der Ersatzmänner der Stellvertreter der stellvertretenden Außenminister der UNNA (Ungeeinte Nationen) hält soeben ihre 987. Sitzung ab, die der Entscheidung über die Zulassung des letzten Südtirolers zu den Beratungen über den Vorentwurf eines Statuts, betreffend die Abtragung und den Transfer der Dolomiten und des Brennerpasses nach Grönland gewidmet ist.... Dieses, nach langen Beratungen ins Auge gefaßte Statut schien tatsächlich, nachdem die im Jahre 1959 in Kraft getretene Autonomie des Südtirols die italienischen Wünsche so w.nig befriedigt hatte, die naheliegendste und leichtest realisierbare Lösung zu sein. Und der Delegierte Uruzuelas, der ja schon durch die geographische Lage seines Landes als der einzig wirklich zuständige Experte in der Südtiroler Frage angesehen werden mußte, war am Vorabend bei einem Bankett, das zu seinen Ehren im Palais de Chaillot (bekannt durch die „Irre von Chaillot“) veranstaltet worden war, gebührend gefeiert worden. Besonderer Beifall galt bei dieser Gelegenheit seinem genialen Vorschlag, die Südtiroler Sonne allmorgendlich in Säcke zu verpacken und in Raketenflugzeugen nach Grönland zu transportieren, konnte doch einerseits hiedurch für diejenigen „displaced persons“, die noch nicht an Hunger und Altersschwäche eingegangen waren, Brot und Arbeit geschaffen werden, während andererseits die grönländische Mitternachtssonne nach Schiida gebracht und dort zur Erleuchtung der hohen Delegierten verwendet werden konnte.

Da man auch Österreich gegenüber, das zwar noch immer besetzt war, dessen Stellung aber vor kurzem geklärt worden und das in einem feierlichen Staatsvertrag zum „befreiten Ex-feindesland“ erklärt worden war, eine freundliche Geste machen wollte, durfte der österreichische Außenminister den Ausführungen des Referenten zuhören; gekräftigt durch die der österreichischen Bevölkerung vor kurzem gewährte Erhöhung der täglichen Lebensmittelration auf 23 Kalorien, lauscht er interessiert und freut sich, daß das von ihm im Jahre 1946 unterbreitete Memorandum in so überraschend kurzer Zeit (was sind schon 20 Jahre in einer Zeit, da sich 1000 Jahre — siehe Hitlers Reich! — in 12 Jahren abwickeln??!!) ein Resultat zeitigen konnte; wohl entspricht dieses Resultat nicht ganz seinen Ideen, noch denen Südtirols, noch denen Italiens, er murmelt aber, abgeklärt und ergraut während der Wartezeit, philosophisch vor sich hin: „Ja, wer andern einen Gruber gräbt, der fällt halt selbst hinein!“ und bekräftigt diesen öster-eichisch-versöhnlichen Gedangengang mit dem •n der österreichischen Staatssprache längst tiefverwurzelten Worte: „Nitschewo!“ —

Schließlich wird „dank dem bekannten Schlichtungstalent des gallischen Außenministers beschlossen“, „eine erweiterte Kommission zu bilden, die sich unverzüglich mit der Ernennung einer Sonderkommission zur Bildung eines vorbereitenden Expertenausschusses befassen sollte. Als Leiter dieser Kommission schlägt er den Delegierten des Feuerlandes vor, der als besonders versiert in allen Brennerfragen gilt. Der Vorschlag wird nach langer Debatte mit erleichtertem Aufatmen von allen Delegierten angenommen; sichert er ihnen doch mit nahezu unumstößlicher Gewißheit zu, daß die unangenehme Südtiroler Frage vor 1978 schwerlich wieder aufs Tapet kommen dürfte.“

Wir wagen dem fröhlichen Lustigmacher nidit weiter zu folgen, der unter anderem noch vermerkt, daß „nicht nur eine geniale — ja, die einzig gangbare! — Lösung für das Südtiroler Problem gefunden worden, sondern auch sonst war viel Konkretes geschehen: das Triestiner Problem war bereits im Jahre 1949 radikal gelöst worden, indem man einfach das 38. Atombombenexperiment von Bikini nach Triest verlegt und damit diesen Stein des Anstoßes für immer beseitigt hatte“.

Wie jede heitere Sache auch ihr ernstes Gesicht hat, so auch diese. Denn das b i t-terste Korn Wahrheit, das in der Drolerie des Züricher Spaßmachers liegt, müssen wir Österreicher schlucken. Denn daß die Behandlung der Südtiroler Angelegenheit in ihrem Endeffekt ja doch eine überaus schmerzliche Enttäuschung ist, das nicht zu empfinden, vermögen wohl nur wenige unter uns.

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