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JOSEF CYRANKIEWICZ / SICHER DURCH ALLE STÜRME

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Um heikle politische Fragen soll es unter anderem gehen: der Besuch des polnischen Ministerpräsidenten Josef Cyrankiewicz in Österreich — ein offizieller Staatsbesuch — soll ebenso wie sein am Donnerstag zu Ende gegangener Aufenthalt in Frankreich Gelegenheit zur Behandlung nicht nur bilateraler Fragen, sondern auch zur Er-

örterung außenpolitischer Probleme geben. Es ist ein Meinungsaustausch sowohl über die Frage der „Oder-Neisse“-hinie als endgültiger deutscher Grenze als auch über europäische Sicherheitsfragen auf der Grundlage des modifizierten „Rapacki-Planes“ vorgesehen.

Cyrankiewicz — das erste polnische Staatsoberhaupt, das Österreich einen Besuch abstattet — hängt das gehässige Wort an, ein „Warschauer Grotewohl“ zu sein; dies deshalb, weil er wie sein Ost-Berliner Kollege alle Stürme der stalinistischen und nachstalinistischen Ära ohne Schaden überdauert hat, aber auch, weil dieser wie jener zu der Sorte ehemaliger Sozialdemokraten gehören, die nach dem Krieg die gewaltsam aufgerichtete „Einheit der Arbeiterklasse“ zementieren halfen.

Der heute 54jährige Politiker wurde als österreichischer Untertan als Sohn eines wohlhabenden Fabrikanten in Tarnow im Bezirk Krakau geboren. An der Krakauer Universität, wo er einige Semester Jus studierte, fand er Kontakt mit der sozialistischen Jugendbewegung, gehörte seit 1933 der Polnischen

Sozialistischen Partei PPS an und war schon zwei Jahre später örtlicher Parteisekretär.

1939 rückte der Offizier der Reserve Cyrankiewicz zur Artillerie ein, geriet in deutsche Kriegsgefangenschaft, aus der ihm die abenteuerliche Flucht gelang. Seine nächste Tat: der Aufbau einer Widerstandsgruppe, die 1941 ausgehoben wurde.

Ihr Führer verbrachte vier Jahre in Auschwitz und Mauthausen. Aus jenen Jahren stammt auch der Kontakt zu den Kommunisten, Wieder in Freiheit, erkannte er klar die Zukunft seiner Heimat vor sich: die Stunde der polnischen Kommunisten hatte geschlagen. Als sich innerhalb der Sozialistischen Partei unter Führung des späteren Ministerpräsidenten Osobka-Morawski ein kommunistenfreundlicher Flügel bildete, wurde Cyrankiewicz bald dessen Generalsekretär, als der er auch 1947/48 die Zwangsverschmelzung der Polnischen KP (PPR) mit der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) zur Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei (PZPR) vorbereitete und für die Sozialisten das Fusionsabkommen unterzeichnete.

„Wenn er mitmacht, dann wird er schon seine Gründe haben...“, flüsterten sich die nichtkommunistischen Polen über Cyrankiewicz zu, der als zu klug galt, um sich jemals dem Kommunismus zu verschreiben. Man glaubte, in ihm sogar einen heimlichen Kollaborateur mit dem Westen zu sehen, was durch die plötzliche Degradierung des seit 1947 das Amt des Ministerpräsidenten ausübenden Cyrankiewicz zu einem der acht Vizeministerpräsidenten nur noch unterstrichen schien. Stalins Vertrauter Bierut übernahm seine Stelle. Tief war der Sturz nicht: schon zwei Jahre später — 3954 — ist er wieder der offizielle erste Mann im Staat.

Seit dem Posener Aufstand 1956 steht er allerdings nicht mehr in der Gunst des Volkes. Damals sagte er in einer Ansprache: „Wer es wagt, seine Hand gegen Volkspolen zu erheben, dem wird sie abgeschlagen ...“

Nichts deutet heute darauf hin, daß die Position Cyrankiewicz' geschwächt wäre. Ob Schaustück oder Drahtzieher des Regimes — er gehört zu den dauerhaftesten Gestalten auf der Bühne der polnischen Politik.

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