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Digital In Arbeit

Pfuschen — ein soziales Problem

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Unter Pfuschen versteht man eine andauernde, nicht gelegentliche Tätigkeit, die, obzwar mit Gewinnerzielungsabsicht und selbständig ausgeübt, gewerberechtlich überhaupt nicht, oder unzureichend gedeckt ist. Dagegen ist es falsch, vorweg mit dem Wort „Pfusch“ eine qualitativ minderwertig ausgeführte Arbeit zu verstehen.

Seit Jahren bekämpfen die Interessenverbände der Unternehmer und die Behörden mit sehr unterschiedlichem Erfolg sowohl die Pfuscher wie auch ihre Auftraggeber und jene Personen, die indirekt die Tätigkeit von Pfuschern begünstigen. Von seiten der Unternehmervertretungen wird das

Pfuschen bekämpft, weil es geeignet ist, die Erwerbschancen der Gewerbetreibenden zu schmälern. Die Pfuscherbekämpfung der Behörden hängt nicht nur mit der Bedachtnahme auf die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zusammen, sondern auch damit, daß mit der Pfuscherei Abgabenhinterziehung, das Vorenthalten der Sozialversicherungsabgaben und die Nichteinhaltung der Bestimmungen des Arbeitsschutzes verbunden sind.

Die vom Standpunkt des Gewerbe- rechtes unbefugte Tätigkeit der Pfuscher konzentriert sich im allgemeinen auf reine Dienstleistungen (in einem wachsenden Umfang vor allem auf die Hausierertätigkeit), auf das Reparaturgewerbe und in den Bundesländern auf die Mitwirkung bei der Errichtung von Siedlungshäusern. Nach der Eigenart der von Pfuschern vornehmlich ausgeübten Tätigkeit verfügen daher die betroffenen Unternehmungen meist nur über Mittel- oder Kleinbetriebe.

Das Pfuschen ist ein Vergehen, das es logischerweise erst gibt, seit die wirtschaftliche Tätigkeit öffentlichen Normierungen unterworfen ist. Die Ursachen, die die Art und den Umfang des Pfuschens bestimmen, wechseln jedoch mit der ökonomischen und sozialen Situation. Diejenigen Personen, welche die Tätigkeit eines Pfuschers ausüben, sind meist Dienstnehmer, Hausfrauen uni Rentner (auch solche, die wegen Arbeitsunfähigkeit aus dem Arbeitsprozeß ausgeschieden sind). Die Beweggründe zur Annahme von Pfuscherarbeiten waren in der Ersten Republik vor allem die Arbeitslosigkeit und das Unvermögen der aktiv Tätigen, mit ihrem geringen Einkommen das Auslangen zu finden, um so mehr, als in dieser Zeit, die beachtlich viel von der Rücksichtnahme auf die Fa- milie gesprochen hatte, so gut wie gar r nichts für die Familie getan wurde, a Heute sind die Beweggründe andere: t Insbesondere ist es deT Wille, dem J Komfortbedarf Rechnung zu tragen, von Einzelfällen abgesehen, in denenauch heute noch das Einkommen völligunzureichend ist. Dabei ist das Ein- i kommen identisch mit einem Netto- i einkommen, da keinerlei Abzüge vor- . genommen werden. Auch jene Bediene- rinnen, die nicht sozialversichert wer- r den, müssen zu den Pfuschern s gerechnet werden. Meist handelt es 1 sich in diesem Fall um Witwen oder um Frauen, die das Haushaltsgeld etwas ergänzen wollen. Schließlich gibt c es noch den Pfuscher aus Leidenschaft, : für den eine nebenberufliche Tätigkeit eine Art Hobby darstellt.

Nicht selten sind nun die Pfuscher derart engagiert, vor allem wenn sie r Wechseldienst haben, daß sie ihren : Hauptberuf tatsächlich nur mehr als ! einen Nebenberuf ansehen, der insbesondere der Sicherung der sozialen„Rechte zu dienen hat.

Durch das Einkommen der Pfuscher- 1 tätigkeit ergeben sich nun verschieden 1 hohe Einkünfte unter den Dienst- : nehmem, die sich schließlich in einem ; wachsenden Umfang auch als soziale : Unterschiede, etwa in Art und Quali- 1 tät des Komfortkonsums niederschla- 1 gen, beispielsweise im Besitz oder ‘ Nichtbesitz eines Autos, wenn nicht in : der jeweiligen Größe desselben. f Die Auftraggeber der Pfuscher vergeben ihre Arbeiten nicht ! an gewerbeberechtigte Unternehmun- : gen, weil sie sich dadurch Kosten er- 1 sparen wollen. Im Honorar, das sie bezahlen müssen, sind weder Abzüge ‘ noch die zuweilen unangemessen hohen 1 Zuschläge der Unternehmungen zum Lohn enthalten. Manche Personen, die ‘ mit dem Pfuscher einen (faktischen) 5 Werkvertrag abschließen, wären übri- 1 gens ohne das billige Leistungsangebot ‘ überhaupt nicht in der Lage, die Lti- 1 stung zu erwerben. Wird nun der : Pfuscher als Folge seiner nebenberuf- 1 lieh ausgeübten Tätigkeit etwa in sei- 1 ner Gesundheit geschädigt, hat er fast die Gewißheit, daß er aus den Fonds der Sozialversicherungsinstitute versorgt wird. Insoweit sind jene Perso- . nen, welche die billigeren Offerte der Pfuscher in Anspruch nehmen, indirekt öffentlich subventioniert, da sie die Risiken, die in jeder Arbeitsverrichtung enthalten sind, nicht abgelten müssen. Anderseits müssen die Besteller von Pfuscherarbeiten die Annahme in Kauf nehmen, daß die gebotene Leistung oft unter dem Durchschnitt liegt und daß bei Auftreten von Mängeln kaum eine wirksame Regreßmöglichkeit gegeben ist.

Müder Kampf

Die Eigenart der gegenwärtigen Pfuschertätigkeit reflektiert — ich wiederhole — die eigenartigen sozial-ökonomischen Bedingungen der Gegenwart.

Noch vor Jahren war so gut wie allen Gewerbetreibenden sehr an einer wirksamen Bekämpfung der Tätigkeit der Pfuscher gelegen. Heute kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß vielen (scheinbar) betroffenen Unternehmern kaum viel an der Pfuscher- bekämpfüng liegt. Selbst vollbeschäftigt, für viele Monate mit gewinnver- sprechenden Aufträgen versehen, ohne Chance, durch Engagement die Kapazität des Produktionsfaktors „Arbeit“ erweitern zu können, haben manche Unternehmer an „kleinen Fischen“, an Klein- und Kleinstaufträgen kaum ein Interesse. Wie soll sich ein Unternehmer bei einer solchen Auftragssituation bedroht und im Verschwinden der Pfuschertätigkeit die Möglichkeit einer Erweiterung seiner Erwerbschancen sehen? Im Gegenteil. Es wird berichtet, daß es in der Bundesrepublik Bauunternehmer gibt, die ihren Arbeitern zum Wochenende Baumaterial und Baumaschinen zur Verfügung stellen, lediglich um sich das Stammpersonal zu erhalten.

Auf den offiziellen Märkten — denken wir an die Betriebe des Bauhilfsgewerbes — fehlt also vielfach das erforderliche Leistungsangebot. Die Folge ist, daß viele Personen, die es sich nicht leisten können, für unabsehbare Zeiten hin auf die Ausführung von unaufschiebbaren Arbeiten zu warten, sich einfach dem zweiten Arbeitsmarkt der Pfuscher zuwenden. Ehedem über-wiegend von Arbeitslosen beschickt, steigen in Entsprechung zur Verknappung auch auf dem Arbeitsmarkt der Pfuscher die Anbotspreise und nähern sich nicht selten, unter Beachtung der Qualität des Gebotenen, den offiziellen Preisen. Aus diesem Dilemma entwächst nun ein echter Versorgungsnotstand, der freilich bei Nichtvorhandensein des Anbotes von Pfuscherarbeiten noch größer wäre. Dazu kommt, daß in Proportion zu den fast allgemein gestiegenen Realeinkommen auch der Bedarf gestiegen ist und immer mehr Forderungen an das durch die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte begrenzte Leistungspotential der Volkswirtschaft gestellt werden, die nicht mehr erfüllt werden können, so daß das Ausweichen auf den zweiten Markt geradezu ein natürlicher Vorgang ist.

Auf der anderen Seite wirkt die fortschreitende Arbeitszeitkürzung, vor allem das arbeitsfreie Wochenende, auf den zweiten Arbeitsmarkt anbotsfördernd. Dazu kommt, daß vielfach die Intensität des Lohnarbeitsengagements auf die Freizeit übertragen wird. Viele Dienstnehmer können das oft zweieinhalb Tage umfassende freie Wochenende ohne Arbeit nicht „durchhalten“. Bei Einführung der Viertagewoche, auf welche die Arbeitszeitpolitik offenkundig auch in Österreich hinsteuert, wird wahrscheinlich — wie in den USA — die nunmehr provokativ große Freizeit vielfach zur Übernahme eines zweiten Hauptberufes benützt werden, wie ihn ja viele Intellektuelle ohnedies schon ausüben. Ob man in diesem Fall noch von „Pfusch“ sprechen kann, muß freilich dahingestellt bleiben. In jenen manuellen Berufen, in denen der Reallohn relativ hoch ist, muß dagegen wieder eine Art „Freizeitkauf“ festgestellt werden. Um Freizeit zu gewinnen, verzichtet man auf mögliches Einkommen, also auch auf Pfuscharbeiten.

Vollbeschäftigung und Auftragsüberhang in vielen Gewerbezweigen lassen also Versorgungslücken entstehen, die teilweise auch nicht mehr durch die oft unzureichende Arbeit von Pfuschern geschlossen werden können, ganz abgesehen davon, daß da und dort auch die Leistungsanbote der Pfuscher knapp werden. So entsteht gerade in der Wohlfahrtsgesellschaft ein Versorgungsmangel aus den Bedingungen des Wohlfahrtszuwachses selbst. Die Pfuscherbekämpfung, die schon wegen der Sicherung des rechtsstaatlichen Prinzips geboten erscheint, ist daher in vielen Branchen sachlich kaum mehr gerechtfertigt, es sei denn im Handel, dessen Kapazitäten keineswegs voll ausgelastet sind.

‘ Siehe die Untersuchungen in „Berichte und Informationen", Nr. 751 und 752 (Dr. Klose) sowie Nr. 759.

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