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Randbemerkungen zur woche.

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DAS LEID DES NORMALEN STAATS-bürgers, beim Gedanken an die Krankenkassen empfunden, nicht wegen des Gedankens an Krankheit und Alter, sondern wegen der monatlichen Konten, hatte angesichts der hohen Defizite der Kassen, da geteiltes Leid halbes Leid ist, für den .Durchschnittsbürger etwas Tröstliches an sich. Der Menschenfreund opfert mit mehr Verständnis,, wenn . er weiß, daß es jemandem hilft, lind sei es auch nur der Krankenkasse, und man schränkt sich gern bei Bronchitis auf einen Hustentee ein, statt die bereits so außerordentlich belastete Kasse um teilnehmendes Verständnis zu bemühen. Dieses ernst-satirische Verhältnis zwischen Krankenkassen und ßeitragzahlern scheint sich aber im Zeichen der Geldknappheit auf eine neue Buchhaltungsgrundlage zu stellen, denn die Wiener Gebietskrankenkasse kann auf finanzielle Erfolge hinweisen, die ihr Defizit vermindern werden. Die Einnahmen im ersten Halbjahr, 1950 waren nämlich mit insgesamt 167,8 Millionen Schilling, um 41 Millionen höher als im Voranschlag vorgesehen. Zwar sind, auch die Ausgaben um 9,7 auf 169,1 Millionen gestiegen, aber es ist nicht zu übersehen, daß die Pfüclit-beiträge ein Mehr von 4,8 Millionen erbrachten, während bei den Rentnerbeiträgen allerdings größere Rückgänge zu verzeichnen sind. Man führt die günstige Äll-gemeinentwicklnng auf innere, Sparmaßnahmen und Vereinfachungen zurück. Man hat damit eine Bestätigung für den. alten, scheinbar unlogisrjien. aber sehr lebenswahren Sntz: „Größere Einfachheit bewirkt größeren Wohlstand.“

IN APPARATEN ZU DENKEN IST anscheinend das Los mancher Leute. Ihre Gedanken muten wie graphische Diagramme von Organisationsschemen an, leblos, blutleer, ein Liniengewirr. Einem solchen Mechanismus scheint die Idee entsprungen zu sein, ein neues Ministerium z,ur Regelung des Ex-, und Imports in Österreich neu zu gründen. Neun Ministerien haben wir schon, das zehnte fehlt offensichtlich zur Vervollständigung des dekadischen Systems • und nach Ansicht des einen Koalitionspartners offen-, bar auch innerhalb der Koalitionsmathematik. Man betrachtet den Vorschlag, eine neue Klaviatur in den Staats- apparat einzubauen, überdies als ersten erfolgreichen Schritt zur Verminderung der Bürokratie und zur Vermehrung des Real-, einkommensder Arbeiterschichten, denn als Begründung wird ausdrücklich angeführt, daß dieses neue Ministerium als reine Standesvertretung der Arbeiterschaft zu dienen und die Interessen der Arbeiterschaft im Außenhandel zu vertreten hätte, Es ist sicher eine Neuheit in der Geschichte der Ressorts, daß wir ein Außenhandels . ministerium der Arbeiterschaft erhalten sollen, aber vielleicht ist der koalitions-mäßige Ausgleich so gedacht, daß sich die Gründung eines Außenhandelsministeriums der Bauernschaft und vielleicht auch eines des Mittelstandes anschließen soll. Die Verbesserung unseres Budgets scheint die Apparaturideologen auf den Plan zu rufen und der Vermehrung der Ministerien zur Verminderung der Bürokratie Auftrieb zu geben. Aber der schöne Plan wird nach aller Voraussiclit auf dem Papier bleiben. Zum Wohle des Steuerzahlers. •

EINE PEINLICHE FRAGE IST JETZT an den Vertreter Polens im Haager Internationalen Gerichtshof, Professor Doktor B. Winiärski, von dem polnischen Publizisten Stephan Rokita gerichtet worden. Sie betrifft eines der dunkelsten blutbe/leckten Blätter der Geschichte des zweiten Weltkrieges, das Massaker an polnischen Offizieren, das mit dem Namen Katyn verknüpft ist. Die Schauer des Grauens, die über diesem Namen liegen, werden fortdauern, solange es ein polnisches Volk gibt, das nach Sühne für das geschehene Verbrechen ruft und keine Antwort darauf erhält. Das Schreiben an Professor Dr. Winiärski erinnert an diese noch, ausstehende Antwort:

„Wie aus den Tätsachen hervorgeht, ist es in diesem Sommer zehn Jahre, daß das Massaker von 1 2.0 0 0 polnischen kriegsgef angenen Offizieren in den Wäldern von Katyn bei Smolensk, UdSSR, stattgefunden hat. In diesem Zusammenhang und in Anbetracht dessen, daß der Fall demnächst in den Vereinig ten Staaten zur Untersuchung gelangen wird, erlaube ich mir, mich an Sie, ils ein Mitglied des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag, zu wenden. Ich bin persönlich duvov überzeugt, daß Sie diesen hohen und verantwortungsvollen Posten nur angenommen haben, um der Gerechtigkeit und Wahrheit zu dienen, unabhängig von den politischen Interr essen der Regierung, welche Sie delegiert hat. Darf ick Sie daher fragen, a ls einen Polen wie als einen

Richter des Internationalen Gerichtshofes, wie Sie die Tatsache erklären, daß die polnisch e Re g ier un g nicht alle Anstrengungen gemacht hat, die am Tod einer so großen Zahl ihrer Offiziere Schuldigen ausfindig zu machen und sie als Kriegsverbrecher zur gerichtlichen Verantwortung zu ziehen?“ Der Briefverfasser jiihrt dann die mehrfachen Indizien an, welche die Verantwortlichkeit sowjetrussischer Stellen belasten und auch schon in der „Furche“ abgewogen worden sind. Professor Dr. Winiarski wird sich, wie anzunehmen ist, der Antwort auf das, Schreiben seines polnischen Landsmannes entschlagen. In der Nähe von Scheveningen lebt es sich leichter ohne die Beschäftigung mit so fatalen Angelegenheiten der Weitgeschichte. Der polnische Jurist beim Haager Internationalen Gerichtshofe wird also schwelgen. Man versteht...

DIE GROSSE TROMMEL IST EINE der 10 i cht ig sten Einrichtungen kommunistischer Politik. Ihr Trommelschlag tönt bei Tag und Nacht icie das Klappern der hölzernen Gebetsmühlen in den eisigen Einöden Tibets. Die Trommel ist Volksberater, .Volkslehrer, Voljksführer, sie trommelt,, bis womöglich jeder geistige Widerstand gegen ihre Verkündigungen totgetrommelt ist. Ein gigantischer Apparat hält dieses riesige Instrument in Bewegung. Wir lesen im Leitartikel der „P.r.aw.da“ vom 20, August unter dem Titel: „D ie Heranbildung von P r o-p ag an disten ~~ eine äußerst wichtige Aufgabe“:

'„.. .In den letzten Jahren wurde zur Schulung und Umschulung des Propagan-distennachwuchses gewaltige Arbeit geleistet. Allein in den letzten, zwei Jahren waren mehr als 1 7 0.0 0 0 Mann in Propagandistenkursen zur Ausbildung — beinahe die Hälfte des gesamten Personal Standes an Propagandisten. In diesem Jahr wird die' theoretische Schütting der Propagandistenkader noch breiter entfaltet. Auf Beschluß des Zentralkomitees der KPdSU (B) wurden im Sommer des laufenden Jahres dreimonatige Kurse für städtische Propagandisten geschaffen, in denen 6 5.0 0 0 Mann ihre Ausbildung erhalten. Bei den Gebiets- und Regionalkomitees der KPdSU (B) und bei den Zentralkomitees der Kommunistischen Parteien der Unionsrepubliken arbeiten einmonatige Kurse für ländliche Propagandisten; an diesen Kursen werden 23.000 Propagandisten ausgebildet. Zur Vorbereitung auf das neue Schuljahr im System der Parteischulung werden für städtische und ländliche Propagandisten, die in den Jahren 1949 und 1950 an keinem Kurs beteiligt waren, jetzt zusätzliche Maßnahmen ergriffen. Auf diesen Kursen werden noch über 100.000 städtische und ländliche Propagandisten eine Schulung durchlaufen.“

Neben dieser Machtentfaltung im Dienste einer Idee und eines Systems, das die Welt erobern will, erscheinen die Propagandaunternehmungen ihrer Gegner in dem großen Spiel beiläufig wie die linkischen ersten Versuche von Waisenknaben mit dem Bausteinkasten.

AN EINEN MITTELALTERLICHEN deutsch - französischen V orläu-f er des Europarates frischt eine interessante Erinnerung in der Pariser „L'Aube“ Jean de Pange auf. Die de Pange sind Abkömmlinge der Madame de Stael, verwalten den reichen Nachlaß ihrer Urahnin und haben in Pariser Universitätskreisen vielbemerkte Schriften über das Deutsehlandbuch der Madame de Stael veröffentlicht. Jean de Pange schreibt: „Der Rhein war ursprünglich keine Grenze, sondern ein Band. Im Jahre 1254 hatten die Freien Städte einen Bund geschlossen, der abwechselnd in Köln und in Slraßburg tagte, ,um über die ewige Aufrechterhaltung des heiligen Friedens zu wachen'. Man darf wohl sagen, daß dieser aus rheinischem Genie entstandene Bund bereits den jetzigen Europarat vorwegnahm.“ Jean de Pange greift auf die Äußerung Bundeskanzlers Dr. Adenauer im „Rheinischen Merkur“ (20. Mai 1950) zurück: „Wir wollen die Freiheit der Person, wie das Christentum sie entwickelt hat, und wir wollen das christliche Abendland retten für die Welt. Jetzt haben wir eine Aufgabe vor uns, die unendlich viel größer ist, als jede andere Aufgabe es sein kann.“ — „Welcher Franzose“, so fragt abschließend Jean de Pange, „würde dieser feierlichen Verpflichtung des deutschen Bundeskanzlers nicht beistimmen? Wird sich nicht am Rhein die Zukunft des Abendlandes entscheiden?“

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