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Spiegelbild eines langen Weges

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Geschichte des Kirchenrechts. Band II: Das Kirchenrecht der abendländischen Christenheit. Von Willibald M. Plöchl. Verlag Herold, Wien-München. 499 Seiten. Preis 159 S

In der Einleitung zu seiner Enzyklika: Mystici corporis vom 29. Juni 1943 schreibt Papst Pius XII: „Wir haben allen Grund ..., die Schönheit, Erhabenheit und Herrlichkeit unserer Mutter, der Kirche, der wir nächst Gott alles verdanken, allen vor Augen zu stellen und sie zu preisen.“ Der Papst hebt lobend „ein erneuertes Verständnis für die Liturgie“ und die eifrigere Anteilnahme. am kirchlichen Leben durch den häufigen Empfang der heiligen Eucharistie, Herz-Jesu-Verehrung, katholische Aktion hervor, um schließlich „der gesamten Christenheit durch dieses Rundschreiben die Lehre über den mystischen Leib Jesu Christi“ vorzulegen.

Diesem neuerwachten Interesse an der Kirche,und ihren Einrichtungen will auch Plöchl durch seine Geschichte des Kirchenrechts dienen. In der Liturgie lernen wir eine Seite des kirchlichen Lebens kennen, in der Glaubens- und Sittenlehre sind die Prinzipien der Kirche niedergelegt — die ewigen Wahrheiten —, im Recht aber faßt sie alle ihre Kräfte und ihre Glieder zusammen und lenkt sie auf ihr ewiges Ziel hin. In der Geschichte ihres Rechts begleiten wir die Kirche auf ihrem Weg durch bald 2000 Jahre, auf ihrem Siegeszug durch die Welt, auf dem Weg ihrer Leiden und Kämpfe, ihrer Kämpfe gegen die Verderbnis im Inneren, ihrer Kämpfe um die Behauptung ihrer Rechte nach außen.

In klarer und übersichtlicher Darstellung behandelt Plöchl im zweiten Band seiner Geschichte des Kirchenrechts das Kirchenrecht der abendländischen Christenheit in der Zeit von 1055 bis 1517, das heißt vom endgültigen Abfall der Ostkirche bis zum Beginn der großen Glaubensspaltung im christlichen Abendland. Wenn diese Publikation wohl ein streng wissenschaftliches Werk ist, wird sich auch der gebildete Katholik, der nicht vom Fach ist, mit Genuß und Nutzen in dieses Werk vertiefen, das im ersten und zweiten Band vorliegt, ein dritter Band ist noch zu erwarten.

Der Wandel und die Fortentwicklung jener Einrichtungen der Kirche, die für die vorausgehenden Perioden im ersten Band dargestellt wurden, sind für den erwähnten Zeitabschnitt von der Jahrtausendwende bis zum Beginn der Neuzeit Gegenstand der Untersuchung im zweiten Band: Kirche und Staat, Kirche und Recht, der Primat des Papstes, Kirchenversammlungen, Hierarchie und territoriale Verfassung, Regierung und Aufbau der Diözese, Personenrecht, Ordensrecht, Sakramentenrecht, kirchliche Gerichtsbarkeit und Strafrecht, Vermögens-, Wirtschafts- und Finanzrecht, die Sammlungen der kirchlichen Gesetze und eine eingehende Darstellung der am Beginn dieser Periode noch jungen, aber immer mehr aufblühenden Wissenschaft des Kirchenrechts.

Zur Erläuterung dieser allgemeinen Inhaltsangabe, die den Ueberschriften der einzelnen Kapitel entspricht, will ich einige Beispiele oder Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen Plöchls mitten aus dem Buch heraus anführen. Der namhafte Kirchenrechtler Ulrich Stutz behauptete, daß in dieser Periode die Laien fast nur noch als Regierungsobjekt in Frage gekommen seien, wo Laien aktive Rechte in der Kirche ausübten, sei dies in erster Linie auf die dahinter stehende Staatsgewalt zurückzuführen. Plöchl kann darauf hinweisen, daß „der aktive An-

teil der Laien an der Kirche sich nicht bloß auf die Erfüllung der Verpflichtungen eines Rechtsobjektes beschränkte, sondern auch subjektive Rechte umfaßte, die entweder allgemein waren oder bei bestimmten Ständen und Personen einen qualifizierten Umfang erreichten“. Plöchl führt das Recht des Kirchenvolkes auf die Spendung bestimmter Sakramente an, auf die Erfüllung bestimmter geistlicher Funktionen durch den Klerus, auf die Kritik der Sendzeugen als Sprecher des Volkes an der Ausübung der Funktionen durch den geistlichen Amtsträger an, eine Kritik, über die sich der Vintator nicht hinwegsetzen durfte, das weitverbreitete Pfarrwahlrecht, das Präsentations- und Nominationsrecht auf freigewordene Kirchenämter, das nicht nur die Adeligen, sondern auch die aufblühenden Stadtgemeinden erlangt haben, Einfluß der Laien auf die Vermögensverwaltung, Kontrolle des aus dem Laientum neuentstandenen Stiftungsvermögens, Teilnahme der Laien an Reformkonzilien und an der kirchlichen Organisation der mittelalterlichen Universitäten als gewichtiges Element ihrer körperschaftlichen Ordnung.

Die Zölibatsvorschriften der Kirche werden oft genug auf klerikale Herrschaftsgelüste zurückgeführt. Plöchl stellt für den Kampf um den Zölibat hauptsächlich zwei Gründe fest: Das geistliche Motiv war bestrebt, die Lebensführung des Klerus zu verbessern, einen berufstüchtigeren Klerus zu erhalten und unwürdige Elemente fernzuhalten, die im Klerikalstand nur eine Versorgungsquelle sahen. Das weltliche Motiv war um die Entfremdung des Kirchengutes besorgt, da der verheiratete Klerus unter dem Einfluß der Entwicklung des weltlichen Benefizialwesens auch das kirchliche Benefizialgut im Erbweg für seine Familie zu erhalten trachtete. Da hierbei der Adel besonderes Gewicht auf die reicher dotierten und höheren Benefizien legte, vermengten sich die Bestrebungen der Volksbewegungen gegen den verheirateten Klerus auch mit sozialen Motiven, die vom ärmeren Niederklerus unterstützt wurden. So kam es nicht selten zur Vertreibung des verheirateten Klerus.

Durch die Lockerung der strengen Vorschriften über den Wohnsitz, durch den Besitz von Benefizien in verschiedenen Diözesen und die Kumulierung von Benefizien in einer Hand, durch die damit gegebene Möglichkeit, mehrere Wohnsitze und mehrere Bischöfe als Ordinator zur Erteilung heiliger Weihen zu haben, wurde gleichzeitig die Residenzpflicht an einem bestimmten Ort und damit auch die Gehorsamspflicht einem bestimmten Oberen gegenüber aufgelockert. Diese Entwicklung des Rechts trug zum Verfall der Kirchendisziplin am Ende dieser Periode wesentlich bei.

Von den Immunitäten der Kirche, die in der Freiheit von staatlichen Lasten, Befreiung von der staatlichen Gerichtsbarkeit, in der Sicherung des notwendigen Lebensunterhaltes zu erblicken sind, sagt Plöchl, daß hierbei das entscheidende Problem die Sicherung der Freiheit der Kirche an sich und ihr Schutz gegen die Anmaßung kirchlicher Jurisdiktion durch die weltliche Macht war. In den Quellen läßt sich ein Zusammenhang zwischen dem schweren

Kampf Thomas Morus', Erzbischof von Canterbury, mit Heinrich II. von England um die Freiheit und Immunität der Kirche — der Kampf endete bekanntlich mit dem Märtyrertod des Erzbischofs — und der darauffolgenden Gesetzgebung nicht verleugnen.

Diese wenigen Beispiele mögen zeigen, daß Höchls Werk über die Fachwelt hinaus ein allgemeines Interesse gebildeter Katholiken gebührt. Wir sind für diese ungeheure Arbeitsleistung dankbar und erwarten mit Freuden den Abschluß des Werkes im dritten Band.

Wer sich in das Studium des Kirchenrechts vertieft, wird auch in dem Werden und in der Entwicklung des kirchlichen Rechts das Wehen des Heiligen Geistes verspüren und erkennen, daß dem Recht der Kirche das Siegel der göttlichen Weisheit aufgeprägt ist, die aus dem Mund des Allerhöchsten hervorgeht, von einem Ende bis zum anderen reicht und alles mit Kraft und Milde ordnet.

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