6764876-1968_30_08.jpg
Digital In Arbeit

Teure Hammel

Werbung
Werbung
Werbung

Der politisch unruhigste Sektor der Landarbeiter marschierte aus der Notstandszone des Landes, dem etwa 800 km von Montevideo entfernten Gebiet der Zuckerrohrplantagen von Bella Union, begleitet von ihren Frauen und Kindern, nach Montevideo. Sie verlangen die Enteignung der großen Plantagen des Latifun- dienbesitzes der Firma Silva y Rosas — 30.000 ha — und eine Agrarreform, bei der ihnen Land zum Bebauen zugeteilt würde.

Der Gewerkschaftsdachverband CNT hat darauf hingewiesen, daß 68 Estancieros über mehr Land verfügen als 63.000 kleine Landwirte. In einem Schreiben an den Präsidenten der Republik hat er erklärt, daß jede Verhandlung über die Lebensmittelpreise sinnlos wäre, solange ein großer Teil der Erträge als Pacht und Bankzinsen in die Taschen der Großgrundbesitzer fließe, die gleichzeitig Direktoren der Banken und Aktiengesellschaften seien.

In der Tat bestehen 90 Prozent der 16,6 Millionen Hektar nutzbaren

Bodens Uruguays aus Naturweiden. Die _ für die Zukunft Uruguays entscheidende — Agrarproduktion könnte im Verlauf von zehn Jahren um die Hälfte vermehrt werden, wenn auch nur ein Drittel in künstliche Weiden verwandelt würde. Die Zahl der Rinder (8 Millionen) und der Schafe (22 Millionen) ist seit 80 Jahren etwa die gleiche geblieben, obwohl sich dię Bevölkerung seither vervielfacht hat. Aber der Übergang von extensiver zu intensiver Vieh- und Landwirtschaft scheitert zunächst an der unsinnigen Verteilung des Bodens: Im Norden des Landes, wo pro Quadratkilometer ein bis fünf Menschen leben, besitzen etwa 3600 Estancieros (4 Prozent der Landeigentümer) 60 Prozent des Bodens, im Durchschnitt 3700 Hektar; im Süden liegen dagegen die wirtschaftlich ebenso unsinnigen Minifundien — Landbesitze in der Durchschnittsgröße von 80 Hektar —, wo 85.000 Eigentümer 40 Prozent des Bodens bewirtschaften.

System und Klima

Eine Agrarreform, die „normale“ Besitzgrößen herstellte, ist in unzähligen Entwürfen zwischen Aktendek- keln des Parlaments begraben. Sie übersteigt nicht nur die finanziellen, sondern vor allem die organisatorischen Fähigkeiten des Landes, ganz abgesehen davon, daß die Oligarchie der Großgrundbesitzer hinter den Kulissen die entscheidende Kraft des Landes darstellt. Die Rura'lkreise beschweren sich über die ungeordnete Preispolitik der Regierung. Sie machen geltend, daß die Änderung der Agrarstrukturen unrentabel sei,

weil Samen, Drahtwaren usw. das Vielfache des europäischen Preises kosteten, während sie für ihre Produkte nur die Hälfte oder ein Drittel dessen bekämen, was ein französischer Landwirt erhält. Daß aber in entscheidendem Grade die Abneigung gegen Neuerungen ausschlaggebend ist, sieht man daraus, daß der mit dem internationalen Entwicklungsdarlehen finanzierte Agrarplan, bei dem praktisch der Estan- ciero nur den Nutzen und nicht die Lasten für den Übergang zu intensiver Bewirtschaftung hat, praktisch zum Stillstand gekommen ist.

Im übrigen erweist sich das Klima immer wieder als Feind der uruguayischen Agrarproduktion: Nach den Frösten, - durch die die Zitrus- pflanzen erfroren, und den Überschwemmungen, die das Gemüse vernichteten, bedroht jetzt die Trockenheit die Viehbestände. Die Milchkühe finden im Süden des Landes ungenügende Weiden; im Norden ist die Dürre so katastrophal, daß man dort für einen Hammel so viel zahlt wie für ein Brathuhn in der Stadt (zirka 300 Pesos, das sind etwa 5 DM). Der Wasserspiegel im Staubecken des lebenswichtigen Kraftwerkes Rincön del Sonete ist so stark gefallen, daß Einschränkungen im Elektrizitätsverbrauch verfügt werden sollen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung