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Wann wird ein Volk „großjährig“?

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Der IV. Internationale Katholische Pressekongreß von Paris hat in Spanien ein tiefes Echo in der illustrierten Wochenschrift „ECCLESIA“, dem Zentralorgan der Spanischen Katholischen Aktion, gefunden. Pater Jesús Iribarren, ihr Direktor, verbindet mit seinen „Reflexionen eines Teilnehmers“ eine subtile Kritik an der Presse Spaniens und der sie überschattenden Zensur.

P. Iribarren bemerkte in Paris, daß viele Teilnehmer des Kongresses gerade ihn näher kennenzulernen wünschten, ihn mit besonderer Aufmerksamkeit umgaben, ihn wohl auch gar bewunderten wie ein äußerst seltsames Produkt Spaniens: „Man hat uns gesagt, Sie seien der Direktor der einzigen Zeitschrift Ihres Landes, die nicht der staatlichen Zensur unterliege.“

„Mußten die Vertreter unseres Landes gegenüber den anderen Delegationen (in Paris) nicht unter einem gewissen Minderwertigkeitskomplex leiden?“, so fragt Pater Iribarren, und weiß, daß ihm die unverbesserlichen Sklavenseelen der Systempresse seines Landes sofort ihre alten Schlagworte entgegenschleudern werden: Es gibt keine Pressefreiheit, die Journalisten, die sich frei wähnen, sind in Wirklichkeit der Tyrannei der Agenturen, dem Würgegriff der Geldgeber, den verborgenen Einflüssen der Politik und so vielen anderen Mächten ausgeliefert, die ihr angebliche Freiheit zur Theorie machen;

sie werden ihm das alte Wortspiel von „Libertad“ und „Libertinage“ erneut vorkauen; sie werden ihm sagen: „Was will die Kirche? Sie ist es ja, die zu allererst an der Zensur profitiert!“ — und es ist bezeichnend, daß P. Iribarren, ehe er auf den Kern seiner „Reflexionen“ kommt, erst noch auf diese, auch in Spanien schon tausendmal debattierten Ladenhüter von Argumenten eingehen muß.

„Wenn in hundert Jahren ein Geschichtsschreiber die Bände einer Bibliothek durchblättern will, um das Leben Spaniens in diesen 15 Jahren Franco-Regime zu rekonstruieren, so wird er die Zeitungen wohl voll von Enzykliken und Hirtenbriefen finden, aber nichts authentisch Zuverlässiges über Tatsachen, Meinungen, Geistesrichtungen, Urteile, Kritiken“, sagt der von der Pariser Luft sichtlich sehr erfrischte Pater. Wenn ganze Ströme von politischer, religiöser, wirtschaftlicher, sozialer und wissenschaftlicher Information durch die Filter von Privatzirkeln und Kaffeehausrunden, vervielfältigte Briefe, ausländische Zeitungen, Radios und vertrauliche Bulletins gingen und nicht zu den Zeitungen gelangten, dann haben diese ihre ureigenste Mission nicht erfüllt. „Wie kann ein Pressesystem ideal sein, wenn man das eigentlich Journalistische außerhalb der Zeitungen suchen muß?“, fragt P. Iribarren.

Ein beliebtes Argument der Verfechter der Unfreiheit der Presse, die sich hier gern zur „auserwählten Minderheit“ (minoría selecta) zählen, ist auch jenes, das spanische Volk so sehr beleidigende:„DasVolk ist geistig minderjährig, und eine unklug gehandhabte Informationsfreiheit wäre daher ein Verbrechen.“

„Dieses Argument würde nur dann gelten, wenn gleichzeitig etwas dazu getan würde, daß das Volk „großjährig“ werde; denn eine nie aufhörende Minderjährigkeit ist.etwas Absur- d e s“, sagt Pater Iribarren, „und es be- steht die Gefahr, daß der Minderjährige die Aufklärung, die ihm sein angeblicher Erzieher aus Schamgefühl nicht geben will, in dunklen Winkeln sucht.“

Die Zensur nimmt der Presse Gewicht und Prestige: einer Pressekampagne, die angeblich ein echtes und einmütig gefühltes Begehren des Volkes wiedergeben will, kann man im Ausland stets jeden Wert absprechen, indem man einzig und allein daran erinnert, die Presse des Landes sei gelenkt, und es sei nicht ersichtlich, ob es sich um die Stimme des Volkes oder um die eines Ministers handelt.

„Das Vertrauen eines Volkes in seine’Regierung, die Ehrlichkeit seines Glaubens, die Werte, welche die Zensur schützen will, untergräbt sie selbst. Uebel muß es um einen Katholizismus bestellt sein und brüchig eine Einheit, die Tag für Tag beschützt werden muß mit dem diktierten Kommentar und dem Befehl zum Schweigen!“

Man sieht, die Diskussion um die Pressefreiheit in Spanien bleibt seit zehn Jahren auf demselben Fleck stehen. Es hat für einen spanischen Journalisten keinen Zweck, neue Argumente vorzubringen. Ihre Feinde unterziehen sich ja auch keiner anderen Mühe, als ihre alten, abgeklapperten Schlagworte zu wiederholen. Darum wiederholt auch Pater Iribarren nur, was schon in tausend Abwandlungen in diesem Jahrzehnt gesagt wurde. Denn es kommt darauf an, nicht nachzugeben, nach jedem Angriff, der im Sande verlief, wieder zur Ausgangsstellung zurückzukehren zu einer neuen Attacke. Jetzt, da die spanische Presse und jeder einzelne Journalist wieder die Möglichkeit haben, mit dem Ausland in direkten Kontakt zu kommen, liegt es auch an der ausländischen Presse, besonders an der Spanien freundlich gesinnten katholischen Presse, die spanischen Intellektuellen, das spanische Volk im Kampf um die Pressefreiheit mit aller Macht zu unterstützen. Dabei hat sie es nicht nötig, sich der vorsichtigen, gemessenen Sprache zu bedienen, die Pater Iribarren gebrauchen muß.

Bei dieser Gelegenheit wäre auf etwas Besonderes hinzuweisen. Bei einem der Kongresse der katholischen Presse wurde die Forderung laut, katholische Journalisten hätten sich in erster Linie katholischer Informationsquellen zu bedienen. Diese Forderung wurde von der spanischen Propaganda und der Systempresse sofort groß ausge-

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