Altenpflege: unzumutbarer Job?

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In Wien gibt es viel zu wenige Krankenschwestern und Pfleger für die Betreuung von alten Menschen. Warum ist der Beruf aber vor allem bei jungen Menschen so unbeliebt?

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In Wien gibt es viel zu wenige Krankenschwestern und Pfleger für die Betreuung von alten Menschen. Warum ist der Beruf aber vor allem bei jungen Menschen so unbeliebt?

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Als die demente 80jährige Johanna W. vor fünf Jahren im Geriatriezentrum am Wienerwald (vormals Pflegeheim Lainz) aufgenommen wurde, war sie verstört und aggressiv. Doch das hat sich mittlerweile geändert. Johanna W. fühlt sich heute verstanden und ist glücklich. Durch Zuwendung, respektvollen Umgang und Anteilnahme konnten die Krankenschwestern ein stabiles Vertrauensverhältnis aufbauen. Doch diese Fürsorge und Pflege haben ihren Preis: Zeit. Zeit, die dem Pflegepersonal im Geriatriezentrum am Wienerwald nur begrenzt zur Verfügung steht, denn Personal ist im Altenbetreuungsbereich knapp.

Auf der Station müssen heute drei Schwestern 35 schwerkranke und verwirrte Hochbetagte betreuen - alltägliche Realität, berichtet Stationsleiterin Ursula Gutenthaler: "Heute ist nur ein Tag wie viele andere." Wird ein Bett frei, ist es am nächsten Tag bereits wieder belegt. Der Beruf erfordert viel Kraft. "Wenn einem diese Arbeit nicht besonders liegt, dann hält man es hier nicht lange aus", bringt es die Stationsschwester auf den Punkt.

Einfach überfordert Ähnlich ist die Situation ein Stockwerk tiefer. Stationsschwester Michaela Zsifkovics, diplomierte Krankenschwester, hilft gerade mit, die mobilen Patientinnen für den Tag fertig zu machen. Auch hier herrscht Personalknappheit, vor allem diplomierte Krankenschwestern fehlen. Denn das neue Pflegegesetz verlangt, daß rund um die Uhr mindestens eine diplomierte Schwester anwesend ist. "Wünschenswert wäre daher ein Anteil von 60 Prozent an diplomiertem Personal", so Zsifkovics. Derzeit sind es nur knapp 40 Prozent.

Primaria Marina Kojer, Psychologin und praktische Ärztin ist Vorstand der 1. Medizinischen Abteilung im Pavillon VII. Sie trägt die Verantwortung für sechs Stationen mit 238 Betten. Auch ihr macht der Mangel an Pflegepersonal Sorgen. Daß neue Planstellen hinzukommen, das kann sich Kojer nicht vorstellen. "Ich weiß, daß die Pflegedirektion darum kämpft, aber in einer Zeit außerordentlicher Budgetknappheit wird es wohl bei dem frommen Wunsch bleiben" Kojer hat ein völlig neuartiges Konzept in die Behandlung und Betreuung geriatrischer Patienten eingebracht. Mit Erfolg: die Zufriedenheit der Patienten, der Angehörigen und der Mitarbeiter, insbesondere des Pflegepersonals, ist seither wesentlich gestiegen. Die aktive Begleitung alter Menschen steht nun im Vordergrund. Kojers Motto: Lebensqualität ist für einen 90jährigen wichtiger als der Versuch, das Leben um jeden Preis zu erhalten und zu verlängern. "Das ist bei schwerkranken Hochbetagten unsinnig. Hier sind andere Konzepte erforderlich", so Kojer. "Jeder Mensch hat das Recht respektiert zu werden, das Recht, seine Lebensmelodie in seiner Weise zu Ende zu spielen." Daß mit dem neuen Konzept keineswegs das geriatrische Paradies ausgebrochen ist, gibt Kojer unumwunden zu. "Vieles muß noch besser werden - aber wir sind auf dem richtigen Weg", meint sie zuversichtlich.

Wie die meisten ihrer Mitarbeiter fühlt sich auch Primaria Kojer zu alten Menschen besonders hingezogen. "Ich bin bei meiner Großmutter aufgewachsen und habe von klein auf gelernt, auf alte Menschen Rücksicht zu nehmen." Bereits während ihres Medizinstudiums habe sie dann den Wunsch verspürt in der Geriatrie zuarbeiten. Ein Ziel, das bei ihren Kollegen nicht selten auf völliges Unverständnis stieß. Der Stellenwert der Geriatrie ist mittlerweile gestiegen, auch das Interesse junger Mediziner nimmt zu. An diplomiertem Pflegepersonal fehlt es aber nach wie vor.

Der Personalmangel ist aber auch dadurch bedingt, daß es zu wenig junge Menschen gibt, die sich zu dieser Arbeit hingezogen fühlen. Stationsschwester Zsifkovics sieht den Grund für das geringe Interesse für die Geriatrie vor allem in der lückenhaften Ausbildung in diesem Bereich: "Die Krankenpflegeschulen haben hier bisher zu wenig gemacht. Um alte, desorientierte Patienten gut betreuen zu können, braucht man eine gezielte, sorgfältige Ausbildung. Die jungen Krankenschwestern sind oft einfach überfordert und ergreifen die Flucht."

Die Stationsschwester versucht jungen Kollegen den Beruf, den sie selbst mit "ganzem Herzen" ausübt, näher zu bringen: "Gerade in einem Pflegeheim kann man Menschen viel Gutes tun. Wir haben etwa eine innigere Beziehung zu unseren Patienten. Hochbetagte stehen im Leben in der zweiten Reihe. Häufig sind wir ihre eigentlichen Ansprechpartner. Nicht selten vertrauen sie uns Dinge an, die nicht einmal die Familie weiß. Das ist etwas Wunderschönes."

Mit dem Herzen sehen Junge Schwestern sehen die Geriatrie aber meist als Übergangslösung und wechseln, sobald sich die erste Gelegenheit ergibt. "Es gibt leider nur ganz wenige die sagen, es gefällt mir gut, ich bleibe," so Zsifkovics. "Wie hältst du diese vielen Alten, Dementen und Sterbenden aus?" werde sie oft gefragt. Es sei aber ein Irrtum anzunehmen, daß es bei der Betreuung alter Menschen keine Erfolgserlebnisse gebe, so Zsifkovics.

Primaria Marina Kojer dazu: "Es gibt heute viele diplomierte Schwestern, die woanders keine Stelle finden, zu uns geschickt und mit der Arbeit in der Geriatrie zwangsbeglückt werden. Oft bringen sie nicht die erforderliche Einstellung zu alten Menschen mit. Man muß hilflose Hochbetagte mit dem Herzen sehen und das können viele junge Schwestern noch nicht. Ich glaube, daß junge Menschen im Allgemeinen damit überfordert sind, ihre ersten Berufsjahre mit ganz alten Menschen zu verbringen." Kojer unterstützt in solchen Fällen den Wechsel: "Es ist ja nicht so, daß ich einen Menschen wie ein Mosaiksteinchen irgendwo hinein setzen kann. Wer sich auf Dauer nicht mit einer Aufgabe identifizieren kann, wird sich an dieser Stelle niemals wohl fühlen und auch keine entsprechende Leistung bringen."

Ein weiteres Problem sieht Primaria Kojer in der scheinbar mangelnden Attraktivität der Altenpflege: "Junge Schwestern wollen etwas Spektakuläres tun, sie träumen von der Arbeit in einer Intensivstation oder an der Herzchirurgie." Außerdem habe der alte Mensch heute einen sehr geringen Stellenwert. Kojer: "Vielfach definieren wir heute den Wert eines Menschen über seinen Nutzwert. Und der sehr alte Mensch ist nun einmal nicht mehr nützlich. Das Ansehen der Alten ist in den letzten 100 Jahren stark gesunken - und mit ihm auch das Ansehen jener Menschen, die sich um Alte bemühen. Das ist mit ein Grund für die Schwierigkeit, motiviertes diplomiertes Personal zu bekommen."

Langjährige Mitarbeiter arbeiten meist mit Freude im Geriatriezentrum, denn "nur so können wir unsere Patienten bis zuletzt Lebensqualität geben". Dem stimmt auch Stationsarzt Alfred Chladek zu: "Die Geriatrie ist keinVerlustgeschäft, in das man nur investiert, ohne etwas zurückzubekommen. Wir lernen jeden Tag von unseren Patienten." Chladek kritisiert, daß im Studium das Thema Sterben ausgeklammert wird. "Das ist ein Tabubereich. Niemand will damit zu tun haben. Auch deshalb interessieren sich viel zu wenig Ärzte mit fachlicher und menschlicher Kompetenz für die Langzeitbetreuung geriatrischer Patienten."

Daß es zu wenig diplomierte Krankenschwestern in Wien gibt, weiß auch Generaloberin Charlotte Staudinger, Leiterin der Direktion Kranken- und Altenpflege in Wien. Sie sieht einen dringenden Aufholbedarf in diesem Bereich. "Wir haben immer so um die 100 Stellen in den Wiener städtischen Pflegeheimen offen und die würden wir natürlich gerne mit diplomiertem Personal besetzen." Doch es melden sich nur wenige junge Schwestern, beklagt auch die Generaloberin. "Das ist ein gesellschaftliches Problem. Junge Menschen kommen oft schon mit Vorurteilen, teilweise von der Familie geprägt. Ich habe etwa immer wieder schriftliche Beschwerden von Eltern, die mir schreiben, wie wir denn dazu kommen, den jungen Menschen die Arbeit in einem Pflegeheim zuzumuten."

Bessere Ausbildung Der Wiener Krankenanstaltenverbund strebt einen Schlüssel von 60 Prozent diplomiertem Personal an, derzeit sind es nur rund 52 Prozent. An mehr Planstellen für die Zukunft sei derzeit nicht gedacht, zuerst müßten die offenen Stellen besetzt werden.

Um diesem Mangel zu beheben, setzt der Wiener Krankenanstaltenverbund nun bei der Ausbildung an. Seit 1997 sind die theoretischen Stunden in der Geriatrie verdoppelt worden, ein Praktikum im Bereich Altenpflege ist nun vorgeschrieben. "Im Jahre 2001 werden die ersten Absolventen nach dem neuem Gesetz ihre Ausbildung beenden und wir erhoffen uns natürlich, daß wir damit auch mehr Interesse an der Altenpflege wecken können und dann mehr junge Menschen im Bereich Geriatrie tätig sein werden", meint Staudinger.

Der Weg über die Ausbildung könnte tatsächlich Erfolg haben. Denn auch bei den medizinisch-technischen Berufen gab es früher akuten Personalmangel, erzählt Eva Müllauer, diplomierte Physiotherapeutin im Pflegeheim Atzgersdorf. "Es war früher sehr schwer überhaupt jemanden zu finden."

Seit der Ausbildungsreform bei den medizinisch-technischen Berufen von 1993 - ein Praktikum im Bereich Geriatrie ist nun verpflichtend - wurde es zunehmend leichter. Heute können alle Stellen, die frei werden, nachbesetzen, erzählt Müllauer. "Ich habe sogar jetzt bereits Anmeldungen von jungen Menschen, die erst im Herbst diplomieren."

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