
Vom Ende einer Skination
Auch wenn anlässlich der 47. Alpinen Skiweltmeisterschaft in Frankreich das Interesse wieder steigt: Die Ära, in der die rot-weiß-rote Skidominanz identitätsstiftend war, ist ebenso vorbei wie die Zeit obligater Schulskikurse. Ein Rückblick auf den Schnee von gestern.
Auch wenn anlässlich der 47. Alpinen Skiweltmeisterschaft in Frankreich das Interesse wieder steigt: Die Ära, in der die rot-weiß-rote Skidominanz identitätsstiftend war, ist ebenso vorbei wie die Zeit obligater Schulskikurse. Ein Rückblick auf den Schnee von gestern.
Dicke Schneeschichten liegen auf den Tannen. Abseits der perfekt präparierten Piste verzieht sich nach und nach der Nebel. Dann, zu Mittag, stoßen sich die ersten Athleten aus dem Starthaus hinaus in die Winterlandschaft. Wir schreiben den 21. Dezember 1998: Nicht nur Weiß, auch Rot-Weiß-Rot dominiert an diesem Tag den Patscherkofel. Angeführt von Hermann Maier belegt der Österreichische Skiverband (ÖSV) im Super-G die ersten neun Plätze – und unterstreicht damit seinen Status als unangefochtener Weltcupdominator.
Es sind Bilder der Vergangenheit, die sich in Österreichs Sportgeschichte verewigt haben – aber knapp ein Vierteljahrhundert später undenkbar geworden sind . Kaum jemals war die Bilanz im Vorfeld einer Ski-WM so mager wie heuer vor der am Montag gestarteten Weltmeisterschaft in Courchevel/Méribel: Bei den Herren konnte in dieser Saison bislang nur der 31-jährige Oberösterreicher Vincent Kriechmayr Gold erringen – wenn auch gleich drei Mal. Die Damen blieben allesamt ohne Sieg. Zum Auftakt der WM freute man sich umso mehr über erste Silber- und Bronzemedaillen in der Kombination.
1998, als am Patscherkofel der Skiweltcup zu einer österreichischen Meisterschaft mit ausländischer Beteiligung verkam, war Österreich noch die unumstrittene Nummer eins. In der 66-jährigen Geschichte des Weltcups wanderte der Nationencup, die Wertung für den punktestärksten Verband, insgesamt 42 Mal in die Hände der Österreicher. Zwischen 1990 und 2019 gab es gar kein Vorbeikommen mehr an Rot-Weiß-Rot.
Der Skisport als ein Stück Heimat
Bereits vor der Einführung des Weltcups 1967 war die Jagd nach den schnellsten Zeiten auf zwei Brettern identitätsstiftend. Als Toni Sailer 1956 drei olympische Goldmedaillen aus Cortina d’Ampezzo in die Heimat brachte, feierte die junge Zweite Republik ihren ersten Helden. „Der Skisport hat den Österreicherinnen und Österreichern ein Stück Heimat geboten, das historisch unbelastet war und dem Staat globale Bedeutung zukommen ließ“, erklärt der Zeithistoriker Christoph Eric Hack. Das unbescholtene Image des Sports fungierte als Abgrenzung zur nationalsozialistischen Vergangenheit, ein Image, mit dem sich Österreich als Nation neu (er)finden konnte. „Die Nazis waren die Deutschen, wir fuhren Ski“, beschreibt Hack das Selbstbild der österreichischen Nachkriegszeit. Man vergrub gleichsam seine Vergangenheit im Schnee. Die geografische Lage in den Alpen verhinderte, dass darunter grüne Wiesen zum Vorschein kamen, die österreichische Inszenierung ließ braune Flecken verschwinden.
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