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Das Erbe Franz Xavers

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Es ist eine bekannte Tatsache, daß unter der britischen Herrschaft die meisten Minderheiten in Indien eine bevorzugte Stellung einnahmen. Nicht nur die Christen, und unter ihnen auch nicht nur die Anglikaner, genossen verschiedene Sonderrechte. Ähnliche Privilegien kamen den Katholiken, Mohammedanern, Jains, Sikhs und sogar den unberührbaren Hindus zu. Es gehörte zur Kunst der englischen Diplomatie, nach dem altrömischen Divide et impera im Verein mit den verschiedenen Minderheiten die Herrschaft ausgeübt zu haben. Derart erfreuten sich die Moghuls, die früheren Okkupanten des Hinterlandes, vor allem in Hyderabad, einer bestimmten Sonderstellung, wo sie nicht durch diese Taktik des Teilens und Herrschens überhaupt zur Zusammenarbeit gebracht werden konnten.

Freilich erstreckte sich diese Politik nicht auf alle Minoritäten in gleichem Maß. Die High Church of England genoß als englische Staatskirche samt und sonders ausgedehntere Sonderrechte als etwa die römisch-katholische Kirche. Bis zum Jahr 1927, da ihre Leitung in dem Indian Church Act selbst darauf verzichtete, trug der Staat alle Kosten für den Unterhalt der englischen Kirche in Indien.

Unter diesen Vorzeichen befand sich auch die katholische Kirche unter der englischen Herrschaft — gesamtheitlich gesehen — in einer eher bevorzugten Position. Überdies hatte sie im portugiesischen Goa einen auch staatsrechtlich geschützten Stützpunkt, von dem aus sie über ganz Indien und Südostasien eine erhebliche Wirkung ausüben konnte. Ein Großteil der führenden Männer des indischen Katholizismus — sozusagen alle Bischöfe, Erz-bischöfe, andere hohe Würdenträger und last, not least der Primas von Indien, Kardinal Gracias von Bombay — stammt bis zum heutigen Tag aus Goa und den übrigen Teilen des portugiesischen Einflußgebietes an der Malaba.rküste, Während die christlie,he Gemeinde der sogenannten Syro Mala-bar Church in Kerala auf eine bald 2000jährige Tradition zurückblickt, aber das ganze Mittelalter hindurch fast ganz auf sich selbst angewiesen war und bis heute keine eigentliche Missionstätigkeit entwickelt hat, war die sogenannte „lateinische Kirche“ der Portugiesen von Anfang an expansiv.

Weder Katholiken noch Protestanten haben aber in Indien eine zahlenmäßige Bedeutung erlangt, die sie gegenseitig in Konkurrenz getrieben hätte. Beide sahen sich einem fast ausschließlich hinduistischen Indien gegenüber, das schon viele militärische und religiöse Invasionen überlebt hatte und überzeugt war, auch diese moderne Eroberung der Engländer und Christen durch Toleranz und innere Überlegenheit in sich zu überwinden. Es muß an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, daß es dem Christentum aller Schattierungen im großen und ganzen nicht gelungen ist, bei seiner missionierenden Tätigkeit einen beträchtlichen Anhang beim Grundstock des indischen Volkes zu gewinnen. Seine Erfolge beschränkten sich fast ausschließlich — neben einigen Neureichen — auf die untersten Kasten und die Unberührbaren, welche durch diese „Religion der Armen“, die sich hier als Religion der klassenmäßig und zivilisatorisch Hochgestellten präsentierte, moralisch und sozial nur profitieren konnten.

• Es versteht sich, daß die vormals stark bevorzugten Minoritäten nicht mit der Beibehaltung des-Status quo rechnen könnten. Kein Land, das die politische Unabhängigkeit unter großen Opfern erlangt hat, kann auf die Dauer hin eine Minderheit der Mehrheit bevorzugen. Die Gefahr, daß sie das Gegenteil tut, ist um so größer, als die Minderheiten zuvor direkt oder indirekt einen Ausdruck der Fremdherrschaft darstellten und von der Existenz einer Fremdherrschaft profitierten.

Die Gesetzgeber der modernen indischen Verfassung müssen gefühlt haben, daß eine Minderheit recht-1 i c h bevorzugt werden muß, um nicht effektiv überspielt zu werden. Wenigstens haben sie diesen Grundsatz in Hinsicht auf die fast ausschließlich christlichen Anglo-In-dians angewandt. Diesen Mischlingen englischen und indischen Blutes wurden weiterhin bestimmte Sonderrechte eingeräumt. So haben sie ihren Vertreter in der Lok Sabha, der vom Präsidenten der Republik ernannt wird, also ungeachtet jeglicher Wählergunst seinen Sitz im indischen Zentralparlament einnimmt.

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