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Das Negerproblem in den USA

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Eines der größten sozialen und politischen Probleme der Vereinigten Staaten, das auch dem Fremden, der in das Land kommt, sofort in die Augen springt, ist wohl das Negerproblem. Wenn man nur ein wenig wißbegierig ist, wird man seine Tätigkeit damit beginnen, verläßliche ziffernmäßige Angaben darüber zu erlangen und — man wird 6ie nicht erlangen können. Man wird von so ziemlich jedem Soziologen und Nationalökonomen die Auskunft erhalten, daß die Neger ungefähr zehn Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, und man wird auf die weitere Frage nach dem Grundproblem, wer denn eigentlich ein Neger sei — also nach dem überaus schwierigen Mischlingproblem —, die Antwort erhalten, daß Neger jeder sei, der noch nicht die colour-line, also die Farbenlinie, über' ;h ritten habe. Wo oder wann man aber die colour-line überschreitet, das ist die kritische Frage. Es ist daher nicht etwa so, daß es eine wirklich verläßliche Statistik darüber gäbe —. selbst Gunnar Myrdahl, der ein aufsehenerregendes Buch über die Negerfrage veröffentlicht hat, war nicht in der Lage, an Hand wirklich authentischer Ziffern zu arbeiten —, sondern Neger ist, wer sich als Neger bekennt. Das Negerproblem endet also nicht etwa beim Quadronen oder Oktronen, sondern es endet dort, wo es sich in die weiße Gemeinschaft bereits so eingegliedert hat, daß man sein Negerblut nicht mehr zur Kenntnis nimmt oder nichts mehr davon weiß. Welche Tragödien aus dieser Tatsache entstehen, habe ich selbst an einem Beispiel erlebt, wo als Produkt einer Ehe zwischen zwei, nach europäischer Ansicht, praktisch weißen Ehepartnern, ein fast völlig schwarzes Kind die Welt erblickte und dieses Kind die Ursache eines beruflichen und sozialen Bankrotts- seiner Eltern innerhalb weniger Wochen wurde. Es ist also fast sicher, daß der Prozentsatz von zehn Prozent viel zu niedrig gegriffen ist.

Ein weiteres Moment von besonderer Bedeutung ist die Tatsache, daß es auch eine lokale „Farbenschranke“ gibt —, und zwar zwischen dem Norden und dem Süden. Etwa nördlich von Washington sinkt der Prozentsatz der Negerbevölkerung . rapid, und abgesehen von ein paar ganz großen Großstädten, wie etwa New York und Chikago, spielt das Negerproblem dort keine Rolle mehr. Die Negerkolonie in Chikago, im äußersten Norden der Vereinigten Staaten, ist übrigens gerade durch die Weißen hervorgerufen worden, die einen großen Streik in der Chikagoer Industrie mit der Anwerbung von Negerarbeiter.n seinerzeit beantwortet hatten. Südlich der colour-line wird jedenfalls das Negerproblem erst zu einem wirklich ersten Problem. Hiefür sind verschiedene Umstände maßgebend, von denen zwei die wichtigsten sind. Erstens, daß der größte Teil der Negergesetzgebung nicht Bundesrecht, sondern Einzelstaatenrecht ist. und daß daher der Einfluß der Bundesregierung in dieser Richtung, soweit er überhaupt ein rein legaler sein kann, auf diese Frage ein sehr geringer ist. Zweitens, gibt es nicht nur ein geschriebenes, sondern auch ein ungeschriebenes Recht — oder, wenn man sagen will, ein ungeschriebenes Unrecht —, und man kann zwar den Ku-Klux-Klan verbieten und gegebenenfalls den einen oder anderen einsperren, aber man kann nicht die halbe Bevölkerung einsperren, und man kann nichts tun gegen einen tatsächlich durchgeführten Boykott. Und dabei sind wir vielleicht bei einem der Hauptprobleme angelangt.

Es handelt sich hier nicht etwa schlecht-wegs um irgendwelche atavistische Verfolgungskomplexe, sondern es ist vielmehr so, daß angesichts des wesentlich stärkeren Vermehrungskoeffizienten der Neger tatsächlich die Gefahr besteht, daß sich zumindest in einzelnen Südstaaten das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Weißen und Negern — letztere einschließlich der Mischlinge aller Grade — ständig zuungunsten der Weißen verschiebt. Nun sind aber Demokratien auf dem Mehrheitsprinzip aufgebaut, und man kann es nicht völlig unverständlich finden, daß in einzelnen Staaten die Angst vor einer Majorisierung auf ganz legalem Wege auch von sehr vernünftigen und gemäßigten Leuten vertreten wird. Die Bemühungen der Bundesregierung sind jedenfalls in den letzten Jahrzehnten, noch mehr in den letzten Jahren, sehr intensiv dahingegangen, kein Unrecht widerfahren zu lassen. Wir finden heute Neger nicht nur im Heer, sondern auch in der Polizei, bei den Straßenbahnschaffnern, ja sogar an Universitäten, kurz in Stellungen, wo dies noch vor zehn Jahren kaum denkbar gewesen wäre. Viel bat auch der zweite Weltkrieg dazu beigetragen. Die zwei schwierigsten Probleme, die eigentlich heute noch zu lösen sind, sind die Frage der Mischehen und die Frage der Koedukation der Kinder. Es ist kein Zweifel, daß sogar in den gegenüber der Farbenfrage liberalistischen Kreisen doch mehr oder weniger ein Grundsatz des alten deutschen Rechtes praktische Geltung hat, daß „das Kind der schlechteren Hand folge“, und die Ausbrüche des Hasses und der Verfolgung haben fast ausnahmslos in zwei Gruppen von Fällen ihren Anlaß: entweder in der gewollten oder ungewollten Vermischung beider Rassen, also im „Mann-Frau-Problem“ oder in dem Schulbesuch durch Kinder beider Farben, der nur allzu leicht zum Ausbruch von Konflikten zwischen den Eltern führt.

Und was sagen nun die Neger dazu? Wobei wieder unter Negern nicht nur Schwarze, sondern Mischlinge aller Grade verstanden sein sollen. Die eine Gruppe der Neger — und das ist diejenige, auf die vielleicht die meiste Hoffnung zu setzen ist — steht auf dem Standpunkt, daß ein Neger kein Weißer sein kann und sein will, daß er aber ein vollwertiger amerikanischer Staatsbürger sein kann und sein will. Die zweite Gruppe trachtet möglichst rasch die Farbenschranke zu übertreten, vor allem durch Heirat mit immer weißeren Schattierungen. Für diese Gruppe ist eine Schattierung heller mehr wert als die größte Mitgift oder die höchste soziale Stellung. Während die erste Gruppe vor allem in jenen Gegenden vertreten ist, wo die Neger eine Majorität oder wenigstens eine stärkere Minorität bilden, ist die zweite Gruppe vor allem dort vertreten, wo die Neger eine kleinere Minorität sind und rein mengenmäßig auch am ehesten aufgesaugt werden können. Die dritte, vielleicht gefährlichste, wenn auch zahlenmäßig geringste Gruppe, steht unter der Losung: „No reconcilitation“ — keine Versöhnung! Das ist jene Gruppe, die auch kommunistischen und anarchistischen Einflüssen am stärksten zugänglich erscheint und die für angeblich oder tatsächlich widerfahrenes Unrecht Revanche zu nehmen wünscht. Es ist interessant, daß in dieser ziffernmäßig sehr kleinen Gruppe sich -o-gar einzelne Wirrköpfe befinden, die die Rückkehr zu einer Negersprache, ja selbst zu einem Negerkult oder ähnlichen Dingen befürworten, und die vor allem auch die Hauptmasse jener höchst unerwünschten Agitatoren im afrikanischen Kolonialgebiet stellen, wo sie unter Umständen nicht ganz ungefährlich sein können. Die große Masse der Neger aber gehört zur Gruppe eins oder zwei, weist interessanterweise eine starke Neigung zum Sektierertum auf. ist gutmütig, wenn auch manchmal primitiv, arbeitsam und spricht überhaupt keine andere Sprache als das englische Amerikanisch und wünscht auch gar keine andere zu sprechen, ebensowenig wie sie etwas anderes wünscht, als amerikanischer Vollbürger zu sein.

Vom Standpunkt des Fremden, der in das Land kommt, seien noch zum Schluß dieser Skizze zwei Dinge erwähnt. Das erste ist, daß der Nichtamerikaner bei Mischlingen, etwa vom Oktronen aufwärts, ziemlich ratlos dasteht und sie im allgemeinen nicht mehr von weißen, insbesondere von manchen slawischen oder romanischen Typen auseinanderkennt. Viele Amerikaner behaupten, daß sie dies könnten, aber eine wirklich verläßliche, rassenmäßig-biologische Feststellung scheint, zumindest für den Nichtfachmann, wohl praktisch unmöglich. Manche Balkaneinwanderer erscheinen dem Besucher der Vereinigten Staaten „negroider“ zu sein als sogenannte Mischlinge. Es ist für den Nichtamerikaner eine Unterscheidung deshalb ganz besonders schwierig, weil eben der größte Teil der Neger und Mischlinge ein mindestens ebenso gutes Englisch spricht wie der weiße Amerikaner, so daß also die sprachliche Unterscheidung praktisch wegfällt. Es scheint dem Europäer überhaupt so überaus merkwürdig, daß es hier eine rassische Minorität gibt, die sich weder durch sprachliche noch durch religiöse noch durch irgendwelche traditionelle Merkmale besonders unterscheidet — vielleicht allerdings nur für ihn nicht.

Zweitens aber fällt dem Europäer — und seltsamerweise fast nur ihm — immer wieder auf, wie stark sich innerhalb der Neger die einzelnen Typen des Bantu-, Zulu- und Nordafrikanegers fast rein erhalten haben. Ihm erscheinen — ganz abgesehen von den Farbenschattierungen der Mischlir ;e — die Neger keineswegs als eine komplexe, homogene Masse, und er hat das Gefühl, daß auch unter den Negern seihst wieder Rassenoder Stammestrennungslinien bestehen, die offenbar freiwillig, ja bewußt nicht leicht überschritten werden.

Wenn der europäische Wissenschaftler sondierend dieses vielleicht größte Problem der Vereingten Staaten betrachtete und mit wissenschaftlichen Argumenten und ziffernmäßigen Berechnungen keine Lösung findet, dann verfällt er immer wieder in die Überzeugung, die jeden Besucher dieses großen und freien Landes, des „Vaterb.ides der Unmöglichkeiten“, befällt, daß es nämlich ganz unmöglich erschiene, daß dieses Land nicht sicherlich aus sich heraus eine Lösung audi in dieser Frage im Geiste der Freiheit und Menschlichkeit finden wird, mag sie auch noch so viel Geduld und Verständnis auf allen Seiten beanspruchen.

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