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Die Anrufung der großen Jury

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Der Sieger beim 19. Ingeborg -Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt ist Ferdinand Schmatz. Als Neo-Juror hat er als einziger der elfköpfigen Jury beide Autoren, die er vorgeschlagen hat, zu einem Preis gebracht: Sein Schützling Franzobel (mit bürgerlichem Namen Stefan Griebl) erhielt den mit 200.000 Schilling dotierten Hauptpreis, Gundi Feyrer, die derzeitige Grazer Stadtschreiberin, bekam - nach intensiver Suche nach ihr - den Trostpreis in Form eines 3sat-Stipendiums in der Höhe von 6.000 DM zugesprochen. Dazwischen reihten sich die die Westdeutsche Ulrike Kolb, der Ostdeutsche Ingo Schulze und der als Kind von Bulgarien nach Deutschland •geflüchtete Ilija Troja-now. Die Schweiz ging heuer leer aus.

Das Wettlesen folgt nämlich längst seinen eigenen Gesetzen, die jenen des Showbusiness zum Teil recht nahe kommen. Es ist eine mediale Inszenierung, die allerdings mit dem Inhalt nicht ganz kongruent ist. Denn wieviele Menschen würden sich die im Klagenfurter OBF-Landesstudio verlesenen Texte anhören, gäbe es nicht die Schnellrichter, die über die Qualität des Gehörten zu befinden haben. Darin, und nur darin liegt der Unterhaltungswert der Veranstaltung. Der Bachmann-Preis ist demnach für Leute, die Spaß an der intellektuellen Akrobatik an mitunter recht belanglosen literarischen Erzeugnissen haben.

Der von Schmatz eingeführte Begriff der „erschwerten Sprache” als heutige Definition von Literatur hat den Sieg davongetragen: ein Sieg des Arti-fiziellen über den Gehalt. Es geht weniger darum, ob jemand etwas zu sagen hat, und mehr darum, wie er etwas oder eben nichts sagt. Der Bewerb ist ein Fest der Literaturkritik, nicht aber der Literatur.

So erfährt jemand, der nur den Lesungen und anschließenden Diskussionen beiwohnt, einiges über die Kritiker, weniger jedoch über die Autoren. Wenn Iris Radisch von der „Zeit” während der Diskussion über Mariella Mehrs Text meint, daß sich die Jury im besten Fall in der Beschreibung des Textes einig ist, völlig uneinig aber in seiner Interpretation, dann hat sie mit ihrer zänkischen Art allerhand dazu beigetragen. Während etwa ihr vom Autor zum Kritiker hinabgestiegener Lieblingsfeind Thomas Hettche den Romanausschnitt Ilija Trojanows als gut gemacht beurteilt, kann sie den Sinn dieses „Imitats” nicht erkennen. Doch läßt man sich sogar auf eine Diskussion über die Zuständigkeit der Jury ein, etwa wenn sich der Grand-seigneur der Runde, Peter Demetz, bei Andreas Neumeisters „Zeitgeistpredigt” ohne kulturbürgerliche Verbindlichkeiten (Radisch) als inkompetent erklärt und dabei auf heftigen Widerspruch Thomas Rothschilds stoßt. Aber genau im Konflikt innerhalb der Jury liegt auch die Spannung. Mit je flapsigeren Formulierungen die Juroren einander in die Haare kriegen, umso publikumswirksamer ist die Veranstaltung.

Auf diese Weise soll man, nach dem Willen der Veranstalter, Einblick in die Beurteilungskriterien der Literaturkritiker bekommen, um den Literaturbetrieb transparenter zu machen. Tatsächlich weiß man danach so manches über die (literarischen) Vorlieben der Juroren, ein paar Details aus ihren Biographien, viel über ihre Temperamente und vor allem, und darauf kommt es ja besonders an, über ihre Bildung und Belesenheit. Denn die Jury besteht zum Großteil aus hochgebildeten und hochbezahlten Menschen, die noch in der Vorläufigkeit ihrer Bewertungungen eine unglaubliche Souveränität besitzen, der die meisten Texte der Autoren ohnedies nicht standhalten können. Über die Kriterien, nach denen ein Text beurteilt wird, erfährt man hingegen nur so viel, daß es deren unendlich viele gibt und man sie, mitunter sogar innerhalb eines Textes wechseln kann; je nachdem wie sich die Gruppendynamik entwickelt. Daran kann auch die unbeirrbare Seriosität eines professoralen Klaus Amann nichts ändern. Freilich geben alle unisono die Subjektivität ihres Urteils zu, doch macht das die Sache nicht eben besser.

Verena Auffermann, Kritikerin unter anderem für die „Süddeutsche Zeitung”, bringt die Methode, die sie bei Iris Radisch ausmacht, auf den Punkt: „Sie können nicht Sätze rausfischen wie Gummibärchen.” Doch das ist genau die bevorzugte Methode vieler in der Jury. Sie picken Sätze heraus und zerkauen sie solange, bis sie sie, schal und leer geworden, wieder ausspucken können. Und je mehr Autof(inn)en bereits verzehrt worden sind, desto mehr gehen die Statements in feuille-tonistische Routine über. Da kann es schon einmal passieren, daß ein Text wie jener Enrico Danielis, der sehr viel über heutige Befindlichkeiten aussagt, von nahezu der gesamten Jury nicht wahrgenommen wird, weil er von der professionellen Checklist nicht erfaßbar ist.

Einige der Preisrichter, so gewinnt man im Laufe der Zeit den Eindruck, haben sich von den Lesern bereits so weit wegbewegt, wie so mancher Politiker von seinen (ehemaligen) Wählern. Diese Art des Literaturbetriebes dient deshalb nicht mehr Vermittlung von Literatur, sondern ist -ähnlich wie die heutige Politik - eine Art Entfremdungsprozeß.

Erfreut durfte der bei der Preisfin-dung leicht indisponiert wirkende Moderator Ernst Grissemann am Ende verkünden, daß der Bürgermeister der Stadt Klagenfurt auch für das 20. Jahr die Abhaltung des Wettlesens zugesagt hat. Hat irgendwer gezweifelt?

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