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Die Freude am Erzählen

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Diese Erzählungen wurden mit dem großen österreichischen Staatspreis für Literatur ausgezeichnet. Oder anders ausgedrückt: sie wurden zum Anlaß genommen, einen der größten deutschsprachigen Schriftsteller der Gegenwart zu ehren, wobei der Staatspreis eher seinem ganzen Schaffen als nur diesen Erzählungen gilt. Wie dem auch sei, hier liegt ein wahres Kunstwerk vor, das im Leser das Verlangen wachruft, alle Werke des Autors, die er noch nicht gelesen hat, aufzuspüren. Vor allem: „Die verlorene Geliebte“, „Das große Halleluja“, „Das Prager Triptychon“. Ein wenig mühsamer ist es, aber, wenn man den kämpferischen Geist Johannes Urzidils in unmittelbarer Aussage näher kennenlernen will, ausgesprochen lohnend, alle halbwegs zugänglichen Artikel und Redensauszüge Urzidils in literarischen Zeitschriften nachzulesen. Hat man dies nach Möglichkeit getan, kommt man unweigerlich zur Ansicht, daß sie gesammelt zwischen zwei Buchdeckel gebracht werden und so eine gesicherte geistige Existenz erfahren sollten. Von bleibendem literarischen Interesse sind nicht allein seine Erinnerungen an die Prager Zeit. Ebenso erhaltenswert sind seine Berichte und sein Nachsinnen über den geistigen Kampf, den ein im Exil lebender Dichter durchzufechten hat: Eine im Oktober 1961 in der Zeitschrift „Wort in der Zeit“ abgedruckte Ansprache, „Dichtung ex ponto“, zum Beispiel, die Professor Urzidil anläßlich der neunzigjährigen Gründungsfeier der Social Scientific Society for Intercultural Relations in New York gehalten hat. Wohlgemerkt: der geistige Kampf. Vom ersten Tag in der neuen Heimat an hat der schöpferische Schriftsteller ein zähes Ringen um die Erhaltung seiner Sprache, um die Authentizität ihrer vielfältigen Assoziationen, durchzukämpfen.

Überraschend ist bei Urzidil vor allem die Tatsache, daß seine größte Schaffensperiode in eine Zeit fiel, da er schon sein fünfzigstes Lebensjahr überschritten hatte. „Obwohl ich Schon bereits 1916“, schrieb Urzidil vor zwei Jahren, „in den Zeitschriften des deutschen und des österreichischen Expressionismus Gedichte, Prosaarbeiten und Essays und auch späterhin eine Anzahl von literarischen und theoretischen Büchern veröffentlichte, so habe ich doch erst nach dem tiefen Hiatus des zweiten Weltkrieges — und eigentlich erst in den Vereinigten Staaten — das hervorgebracht, womit mein Name für die meisten Leser verbunden ist.“ Warum, wird uns nicht erklärt. War es deshalb, weil ihm der Daseinskampf und andere literarische Arbeit keine Zeit dazu überließen oder seine Kräfte zu sehr in Anspruch nahmen? Oder hat man es hier mit einem schöpferischen Vorgang zu tun, worüber in den meisten Fällen selbst der Dichter keine gültige Aussage machen kann?

Als Professor Urzidil neulich in Wien war, sagte er im Laufe eines kurzen Privatgesprächs: „Es hat mir sehr viel Freude gemacht, die Erzählungen zu schreiben!“ Es war keine belanglose Feststellung. Die Konstruktion mancher der Erzählungen ist so raffiniert, daß man manchmal zurückblättert, um zu erfahren, wie der Autor es „gemacht“ hat. Aber die Freude des meisterhaften Erzählers am Erzählen ist es sicherlich, der die Geschichten einen Teil ihres Zaubers verdanken:Freude an den Menschen, die er schildert — manche sind geradezu unvergeßliche Gestalten — und an der Sprache. Viel Weisheit und sehr viel Verständnis für das tägliche Leben „kleiner“ Leute besitzt Urzidil, aber auch Witz und Humor, die manchmal offen zutage treten, manchmal hintergründig sind, doppelsinnig, wie ein mit einem halboffenen Auge schlafender Hund. „Stellenweise ein wenig verwelkt“, sagt er so nebenbei über eine Frau, und trifft mitten ins Schwarze. Nicht nur „ein wenig“ verwelken die Frauen, auch nicht „teilweise“, sondern zunächst einmal eben stellenweise.

Ein Dichter ex ponto. „Er sieht das Leben anderer Menschen“, sagt Urzidil, „und einer anderen Natur in neuen und unverwechselbaren Formen bestätigt. Er hat hinter die Berge gesehen, wo auch noch Leute wohnen, und je größer er selbst ist, um so genauer und sorgfältiger gewährt er auch die kleinste Zacke eines kleinsten Blattes.“

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