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Gefahren eines „Alleinganges“

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Die verworrene Lage, die im Zusammenhang mit der Erweiterung der EWG entstanden ist, eignet sich keinesfalls zu Debatten während eines Wahlkampfes. Außerdem ist der österreichische Kurs, getragen von den beiden großen Parteien, bereits eindeutig festgelegt, wobei der Ballhausplatz von Schweden und der Schweiz unterstützt wird, ein verhandlungspolitisches Aktivum, das nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Die Drei vertreten immerhin eine Bevölkerung von zwanzig Millionen, deren Willen nicht einfach übergangen oder unter Druck gesetzt werden kann, wie etwa die Enklave der Benelux-Staaten. Bei einem Alleingang wäre Österreich als kleiner und äußerst exponierter Staat wirklich ein Spielball der Hauptmächte und widerspruchsvoller fremder Interessen. Unter diesen Umständen ist es erstaunlich, daß die oppositionelle Freiheitliche Partei für ihre Wahlpropaganda die Parole ausgegeben hat, den engsten Anschluß an die EWG zu fordern. Dieser Wunsch entsprang der ehemaligen großdeutschen Ideologie, die unter veränderten Verhältnissen auch heute nach neuen Wegen, Mitteln und Formen sucht, um die Selbständigkeit der Außenpolitik zu beschränken und die Zweite Republik auf einen „deutschen Kurs“ festzulegen. Tatsächlich ist bereits ein Negativismus entstanden, der in der Darstellung gipfelt, alles wäre schlecht, verfehlt und minderwertig. Die krankhafte Sucht, das Vaterland unter allen Umständen herunterzureißen, ist anscheinend das Ergebnis eines historischen Masochismus. Diese „Einstellung“, deren Tradition weit zurückgeht, wird jedoch, soweit sie sich auf die wirtschaftliche Integration bezieht, durch zwei einfache Hinweise widerlegt. Die EWG bildet in ihrer heutigen Gestalt nämlich eine Gruppe von Staaten mit teurer Lebenshaltung, und jeder vollwertige Beitritt hätte bedenkliche Teuerungswellen zur Folge, vor allem im Sektor der Lebensmittel. Außerdem ist Österreich infolge seiner geographischen Lage zum Handel mit anderen Donaustaaten genötigt, und es ist ausgeschlossen, sich nach dieser Richtung dem Diktat Brüssels zu unterwerfen.

Zuletzt werden die Thesen der Freiheitlichen Partei durch die Tatsache entkräftet, daß sich die Handelsbilanz zur Zeit günstig gestaltet. Eine Untersuchung des Warenverkehrs im freien Europa während der vergangenen Jahre gelangt zu überraschenden Ergebnissen. Zunächst zeigt der Export der einzelnen Staaten, nach den jährlichen Zuwachsraten berechnet, daß sich im Rezessionsjahr 1958 Dänemark, Frankreich und Finnland einer bedeutenden Expansion erfreut hatten. Auch andere Länder erzielten gute Ergebnisse. Die Schatten der Rezession lagen auf Großbritannien, Belgien, Österreich und Norwegen, in Übersee auf den Vereinigten Staaten. Später änderte sich das Bild. In den Jahren 1959 und 1960 galten Frankreich und Italien als die Hauptgewinner der EWG. Die EFTA kam erst verspätet, im Jahre 1960, zum Zug, besonders die Schweiz, Portugal, Österreich und Schweden. Das Vorjahr brachte bereits eine Verflachung der Konjunktur, doch fielen die höchsten Zuwachsraten auf Österreich, die Schweiz, Griechenland, Italien und Irland. Die Randstaaten des freien Europa — Finnland, Irland, Spanien und Griechenland — unterlagen fremdartigen Tendenzen individueller Prägung. Gemessen an dieser stürmischen Bewegung des Europahandels verharrten anderseits die Vereinigten Staaten, mit Ausnahme der Importe des Jahres 1959 und der Exporte des Jahres 1960, in einer merkwürdigen Erstarrung, die vermutlich die übereilte Vorstellung begünstigte, als wäre der wirtschaftliche Aufstieg des freien Europa bereits gesichert.

Unter allen Umständen lehrt di Entwicklung, daß Österreich mit den Bemühungen zur Überwindung des Handelskrieges durch eine Assoziierung den richtigen, vor allem jedoch den einzig möglichen Weg eingeschlagen hat.

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