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Kennedy und die „Eierköpfe“

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Nicht alle Staatsmänner sind der Meinung des deutschen Bundeskanzlers, daß es am besten ist, wenn in der Politik die Arbeit der Praktiker nicht durch intellektuelle „Besserwisser“ gehindert wird. Der junge Präsident der USA ist offensichtlich der Auffassung, daß in der heutigen arbeitsteiligen Gesellschaft die Regierung es sich nicht mehr leisten kann, auf die Mitarbeit der mehr oder minder „freischwebenden“ Intelligenz zu verzichten. Er hat zu einem beträchtlichen Ausmaß sein Team an Universitäten und aus Gruppen der Intelligentsia rekrutiert, Fachleute auch da heranziehend, wo vorher kaum eine parteipolitische Verbindung bestand.

Der hier in Angriff genommene Prozeß der Integration der Intellektuellen in verantwortliche Staatsstellungen geht weiter als etwa seinerzeit die Bemühung F. D. Roosevelts, sich auf einen „b r a i n trust"liberaler Ratgeber zu stützen. Der „New Deal“ F. D. Roosevelts hat zwar im sogenannten „Küchenkabinett“ der von ihm als Experten oft herangezogenen liberalen Reformenthusiasten (seine Gegner bezeichneten sie als „die Langhaarigen“ — die „Eierköpfe“ waren noch nicht erfunden!) eine Art Privatkonzil etabliert gehabt, aber nach außen im wesentlichen Politik mit den ordnungsmäßigen Partei- und Administrationsfunktionären gemacht.

„Harvard öffnet alle Türen"

Kennedy indes gab vielen der jungen Intellektuellen Funktionen, wo sie nicht nur beraten, sondern handeln können — handeln müssen. Sie sind nicht nur seine Quelle der Unterrichtung, nicht nur die Stelle, wo Pläne ausgearbeitet werden, sondern sind auch zum großen Teil Ausführungsorgane der beschlossenen Maßnahmen, nachdem der Präsident die Entscheidung getroffen beziehungsweise dem Kongreß vorgelegt hat.

Stellt aber nun eigentlich das Kennedy-Team einen besonderen Typ der amerikanischen Intelligenz dar? Man hat das zu umschreiben versucht. Kurz nach dem Abschluß der wesentlichen Regierungsemennungen durch den neuen Präsidenten begannen in Washington Bonmots umzugehen, die das Auswahlprinzip ironisierten. So gaben Kritiker schmunzelnd weiter: „Ich habe immer gedacht, daß ,Yale‘ der beste Schlüssel ist — es stellt sich heraus, daß zu Regierungsämtern nur ■Harvard“ die Türen öffnet!“ („Yale“ ist nicht nur der Name einer Universität, sondern auch der des bekanntesten Sicherheitsschlüssels in den USA.) Nun stimmt es zwar, daß unter den höheren oder mittleren Experten, die Kennedy in die Administration berief, sich eine Anzahl ehemaliger Akademiker aus Harvard befindet — vor allem aus der Juristischen Fakultät und der Wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung.

Aber ebenso viele haben einen Ausbildungshintergrund anderer Universitäten oder stammen aus der administrativen oder industriellen Praxis.

Daß Harvard-Leute zuerst einmal auffielen, das heißt, daß der junge Präsident an der Universität, an der er selbst studiert hat, an der er eine Reihe von bedeutenden Leuten kennengelernt hat, sich nach Mitarbeitern umgesehen hat, ist kaum verwunderlich: man vertraut verantwortungsvolle Aufgaben zuerst einmal solchen Leuten an, die einem aus persönlicher Bekanntschaft als für die eine oder andere Frage kompetent erscheinen. Man hat aber darüber hinaus teilweise — gerade auch in Europa — in der Kennzeichnung „Harvard“, die man dem Typ der „E g g h e a d s“ seiner Wahl ganz allgemein verlieh, auch eine inhaltliche, eine richtungsmäßige Auswahl zu erkennen gemeint. So stellt ein anderes Washingtoner Bonmot die Frage: „Wo liegen die neuen Grenzen?“ („The New Frontiers“) und antwortet: „Sie beginnen in Harvard und gehen dann schnurstracks nach links", das heißt in schönem Einver-

nehmen mit ihren europäischen Gesinnungsgenossen unterstellen die „rechten“ Gegner jeder fortschrittlichen Tendenz einet) „Linksdrall" ih'J1W Richtung „schleichender Sozialismus“. Eine solche Kennzeichnung der neuen Administrationsmannschaft ist ebenso falsch wie die von Senator Mundt dem früheren Präsidenten Eisenhower in den Mund gelegte — von Ike dementierte! — Behauptung, daß sie „links, unter zu starkem Einfluß der Gewerkschaften" sei. Aber es hat schon einen Grund, daß der Name der Universität Harvard als Kennwort für das Ausleseprinzip Kennedys bei der Rekrutierung seiner Mitarbeiter so oft auftaucht.

Sie widersagten McCarthy

Man meint damit allerdings nicht nur sie als Einzeluniversität, sondern benutzt ihren Namen weitgehend als stellvertretend für einen gewissen Typ von akademischen Institutionen, die sich ebenso durch hohen qualitativen Rang ihrer Lehrer und ihres Studentenkorps auszeichnen wie durch ein ganz bestimmtes eigenwüchsiges Gepräge in ihrer Beziehung zum allgemeinen Erziehungsprinzip. Harvard, Yale, Princetown und etwa ein halbes Dutzend anderer Universitäten innerhalb der sogenannten „Ivy League“- Hochschulen haben eine gewisse Synthese zwischen Traditionsbewußtsein und aktuellem Unabhängigkeitsstreben erreicht, die gelegentlich Aufsehen erregte. So hat Harvard zum Beispiel sich während der Mac- Carthy-Periode demonstrativ geweigert, seinem Stab zusätzliche antikommunistische Loyalitätserklärungen abzuverlangen — einer Forderung, der viele andere Universitäten nachkamen —, nicht weil es „links“ optierte, sondern weil es in guter New-England-Tradition sich für durchaus fähig hielt, die Integrität der Universität ohne Schnüffelmethoden und Einschüchterungsmaßnahmen aufrechtzuerhalten.

Als älteste Universität des Landes, ursprünglich am Vorbild von Eton und Oxford ausgerichtet, hat Harvard in mancher Hinsicht das Prinzip der akademischen Autonomie, der Unabhängigkeit, die die alten europäischen Universitäten gegenüber staatlicher und gesellschaftlicher Kontrolle und Einmischung auszeichnete, am konsequentesten aufrechterhalten.

Eine kleine Anzahl von anderen Universitäten (und Colleges, z. B. das Mädchencollege von Vassar) haben bis zu. einem gewissen Grade diese

Haltung übernommen. Wenn es alse richtig ist, daß John F. Kennedy aus diesem Reservoir sich einen beträchtlichen Teil seiner Mitarbeiter geholt hat, das heißt aus dem akademischer Bezirk, wo unabhängiges Denken dazt geführt hat, auch zu gesellschaftliches Aktion bereit zu sein, so hat das im Grunde wenig mit einer bestimmter theoretischen „Harvard“-Denkweise mit Bezug auf spezielle Doktrinen der Sozialphilosophie zu tun.

In diesem intellektuellen Raum diskutiert und argumentiert man nicht nur „links vom Zentrum“, sondern gelegentlich auch „jungkonservativ“. Was irgendwie repräsentativ für den Menschentypus zu sein scheint, der ihm entstammt — und es handelt sich ja keineswegs etwa nur um Professoren, die von Kennedy für den Staatsdienst geworben wurden, sondern meist um Männer der Praxis, die hier ihre Ausbildung erhalten und einen akademischen Grad erworben haben — ist, daß ihr geistiges Rüstzeug solide, ihre Gefühle für die Realität modern und ihr Denkstil undogmatisch ist.

Und sie sind zumeist jung, diese „Eggheads“, die heute nicht nur in Schlüsselpositionen der neuen Administration ihren Platz eingenommen haben, sondern auch zum Beispiel in der „Familie Weißes Haus“, das heißt einem neuen inoffiziellen „Küchenkabinett“ der ständigen Spezialsekretäre und Sonderberater des Präsidenten angesiedelt wurden.

All diese Männer sind keineswegs, was eigentlich die spöttische Bezeichnung „Eierkopf“ meint, weltfremd, utopistisch-idealistisch, von unrealen Reformideen besessen. Adlai Stevenson zum Beispiel, gegen den ja dies Wort vor allem angewandt worden ist, kann auf eine Fülle von praktischen Erfahrungen im Dienst seines Landes zurückblicken. (Er hat übrigens sowohl in Princeton wie in Harvard studiert.) Aber sie haben, hat man den Eindruck, über all ihrem Fachwissen nicht den Kontakt mit einem Grundgefühl für humanistisch-historische Kontinuität verloren. Und sie kommen aus einem intellektuellen Umkreis, der stets übernationale Beziehungen ge- pfle# h?|,kHarvard}T;wd

Universitäten der gleichen Art haben weitgehend in Lehrerschaft und Studentenkorps Austausch und Begegnung mit dem Ausland gepflegt. Obwohl ursprünglich in Stil und „Menschenmaterial“ von wohlhabendem, gebildetem, ja teilweise leicht snobistischem Provinzialismus einer von Boston und Philadelphia ausstrahlenden „Elite“- Vorstellung geprägt, hat sich hier allmählich eine Atmosphäre entwickelt, in der man Georges Kennans Feststellung als unerträglich empfand: „Ich kann wenige Länder in der Welt aufzählen, in denen der Künstler, der Schriftsteller, der Komponist oder der Denker allgemein so geringe Achtung genießt wie in unserem Land.“

Man trägt wieder „Intellekt"

Kennedy hat demonstrativ dem widersprochen. Einhundertfünfundfünfzig „Eggheads“, das heißt Dichter, Maler, Schriftsteller, Schauspieler, Professoren usw., sind von ihm zur Feier seiner Amtsübernahme persönlich eingeladen worden, und sein Kabinett rekrutierte neben Experten weitgehend geistige Menschen!

Und der Harvardtyp reagierte positiv, einsatzwillig. Lion Trillings Hoffnung wurde Wirklichkeit, möchte man meinen: „Nicht länger mehr ist eine offen zur Schau getragene Unbeteiligt- heit an nationalen Gefühlen der erste Schritt ins geistige Leben, den das Zeremoniell vorschreibt. Zum erstenmal in der Geschichte des modernen amerikanischen Intellektuellen braucht Amerika nicht a priori als die vulgärste und dümmste Nation der Welt vorgestellt zu werden.“

Der Prozeß der Integration der Intelligentsia in die nationale Politik der USA ist keineswegs abgeschlossen. Er hat in tastenden Formen gerade begonnen. Er wird vielleicht Rückschläge zu verzeichnen haben. Einzelfälle mögen ihn als gefährlich erweisen. Aber Herbert von Borch dürfte recht haben, wenn er in seinem faszinierenden Amerikabuch „Die unfertige Gesellschaft“ feststellt:

„ … Parteistrategen, die den Intellektuellen suchen, der Intellektuelle, der bestätigt, … daß seinesgleichen begonnen habe, einen Präsidenten zu lieben … : ein Übergang … zu etwas noch Unbekanntem, aber anderem!“

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