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Moro zieht den Gurtel enger

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Die vom Ministerrat beschlossenen Sparmaßnahmen sind wie ein Reif in der Frühlingsnacht auf den freudigen Glauben der Italiener gefallen, daß sie plötzlich alle reich geworden seien und ihre wirtschaftlichen Probleme gelöst hätten. Lange Jahre günstiger Konjunktur haben auch in Italien das Schlagwort vom Wirtschaftswunder geprägt. Aber Wunder sind rar und in der Wirtschaft nicht existent. Das Anwachsen des Handelsdefizits mit dem Ausland allein im vergangenen Jahr um mehr als drei Milliarden Mark, die Einbuße der Lira um fast ein Zehntel ihres Wertes im gleichen Zeitraum und die wachsenden Schwierigkeiten der Industrie angesichts der allgemeinen Vertrauenskrise, das für die Investierungen notwendige Kapital aufzutreiben, bedeuten ein böses Erwachen aus der allzu großen Zuversicht.

Die Regierung Moro-Nenni hat es auf sich genommen, zu teils sehr unpopulären Maßnahmen zu greifen, um Nachfrage nach Kosum-gütern und Produktionsmöglichkeiten in Einklang zu bringen. Denn immer noch gilt das Gesetz, daß das Geld so viel wert ist wie die Summe der Güter, die hinter ihm stehen. Zunächst hat man den Preis für Normal- und Superbenzin um 14 Lira, das sind fast 70 Groschen, hinaufgesetzt. Statt 96 und 106 wird man künftig 110 und 120 Lire für einen Liter Benzin bezahlen müssen. Zugleich werden neue Autos und Motorboote beim Ankauf mit einer Steuer belegt, die je nach dem Hubraum zwischen 7 und 15 Prozent des Preises schwankt. Italien hat ein Jahr geradezu spektakulärer Motorisierung hinter sich. Man schätzt, daß 1963 eine Million neuer Autos zugelassen worden sind, das sind um 40 Prozent mehr als 1962. Der Benzinverbrauch ist von 3,8 auf 4,6 Millionen Tonnen angestiegen.

Die Landstraßen und schon gar die der Städte können den Verkehr nicht mehr bewältigen. Häfen und Seen werden von Motorjachten durchpflügt — nicht immer zur Freude der Urlauber.

In einer italienischen Wochenschau konnte man neulich eine witzige Szene sehen. Wie würde es in unseren Städten aussehen, wenn wir nur die Autos zuließen, die tatsächlich bezahlt sind, fragte der Sprecher. Und wie durch ein Zauberwort verschwand plötzlich das Verkehrsgewühl, und ein paar alte, rumpelige Kleinwagen huschten eilig du eh die leeren Straßen. So schlimm ist es natürlich nicht, aber man darf fragen, wieviel von den 1000 Milliarden Lire, die die Italiener 1963 für ihre neuen Autos ausgegeben haben und von denen 2000 Milliarden ins Ausland gingen, sind tatsächlich bereits verdient gewesen? Und wieviel davon sind auf Katenkäufe zurückzuführen gewesen? In der kommunistischen „Unita“, also einer unverfänglichen Quelle, erklärt ein Autobusfahrer des öffentlichen Dienstes ernsthaft, daß er zum Streik gezwungen sei, weil er eben ein neues Auto gekauft habe und Wechsel auf 91.000 Schilling für den Erwerb einer amerikanischen Küche auf Abzahlen unterschrieben habe. In den beiden letzten Jahren sind die Löhne und Gehälter in Italien um 30 Prozent gestiegen, die der Staatsangestellten ßogar um 50 Prozent. Es ist klar, daß die plötzlich enorm vermehrte Nachfrage mitgeholfen hat, die Preise in die Höhe zu treiben.

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