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Als er die Welt blaurosa sah...

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Pablo Picasso zählt heute zu den wenigen Künstlern im 20. Jahrhundert, deren Schaffen sich auch beim extrem konservativen Publikum „durchgesetzt“ hat, das sonst noch immer dem Kanon der Kunstformen des ausgehenden neunzehnten anhängt. Auch die Mißtrauischen, die, die stets mit dem Begriff der Scharlatanerie und des Blagueurtums operieren, wenn ihnen schwer Zugängliches, Verschlüsseltes vorgesetzt wird, und die auch heute noch einzig und allein klassizistisch-idealischer und pseudo-realistischer Kunstübung den so beliebten „Wahrheitswert“ zusprechen, haben erkannt, daß diese proteische Künstlernatur, dieser phantastische Verwandlungsartist aus Spanien, zu den wichtigsten unserer Epoche zählt. Die Reihe der Publikationen über Picasso ist längst unübersehbar, die Unzahl wichtiger Schriften und Kataloge für den Kunstinteressierten längst nicht mehr greifbar geworden. Erstaunlich ist allerdings, daß die in Ficassos Schaffen so entscheidenden Jahre zwischen 1900 und 1907, also die Zeit der sogenannten „Blauen' und „Rosa Periode“,- bisher noch in keiner umfassenden kritischen Analyse dargestellt, die Werke dieser Spanne in ihrer Einheit betrachtet wurden.

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Pablo Picasso zählt heute zu den wenigen Künstlern im 20. Jahrhundert, deren Schaffen sich auch beim extrem konservativen Publikum „durchgesetzt“ hat, das sonst noch immer dem Kanon der Kunstformen des ausgehenden neunzehnten anhängt. Auch die Mißtrauischen, die, die stets mit dem Begriff der Scharlatanerie und des Blagueurtums operieren, wenn ihnen schwer Zugängliches, Verschlüsseltes vorgesetzt wird, und die auch heute noch einzig und allein klassizistisch-idealischer und pseudo-realistischer Kunstübung den so beliebten „Wahrheitswert“ zusprechen, haben erkannt, daß diese proteische Künstlernatur, dieser phantastische Verwandlungsartist aus Spanien, zu den wichtigsten unserer Epoche zählt. Die Reihe der Publikationen über Picasso ist längst unübersehbar, die Unzahl wichtiger Schriften und Kataloge für den Kunstinteressierten längst nicht mehr greifbar geworden. Erstaunlich ist allerdings, daß die in Ficassos Schaffen so entscheidenden Jahre zwischen 1900 und 1907, also die Zeit der sogenannten „Blauen' und „Rosa Periode“,- bisher noch in keiner umfassenden kritischen Analyse dargestellt, die Werke dieser Spanne in ihrer Einheit betrachtet wurden.

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Pierre Daix und Georges Boudaille bieten in ihrer bei Bruckmann in München erschienenen Riesendoku-mentätion nun . erstmals eine imponierende, fast lückenlose Bestandsaufnahme dieser Jahre, eine Untersuchung, die stilkritisch, phänomenologisch, in Beschreibung und Interpretation und nicht zuletzt in geistesgeschichtlicher Zuordnung kaum einen Wunsch offenläßt. Die Darstellung reicht von den frühreifen Jugendwerken bis zu denen erster Meisterschaft, auf die der Bruch mit der Tradition und die Zuwendung zum Kubismus folgte. Die Fülle des Materials war gigantisch, die Reihe der hier verarbeiteten Einzeldokumente überrascht, rückt manches Werk in neue Zusammenhänge und Perspektiven. Beziehungen zur vorangegangenen präfauvistischen Periode des Zwanzigjährigen (Ausstellung bei Vollard 1901) und zur folgenden präkubistiscben, die dem rosa Klassizismus folgte (nach dem Aufenthalt in Gosol, übrigens 1906 und nicht wie im Klappentext steht 1905), werden immer wieder spürbar, die Einheitlichkeit der Entwicklung dadurch gewahrt.

Picasso selbst hat den Autoren gewichtige Ratschläge und Hinweise gegeben, da und dort korrigierend eingegriffen. Archive der großen Museen, Sammler und Picasso-Forscher haben dazu beigetragen, daß hier ein für diese Periode erster systematischer Oeuvrekatalog mit allen wichtigen Angaben ausgearbeitet werden konnte, in dem jedes Werk möglichst exakt und „objektiv“ fixiert wurde. (Nur ein einziges Institut verweigerte den Autoren seine Hilfe, die Barnes Foundation, die allerdings ein paar bedeutende Gemälde und fünf Zeichnungen Picassos aus dieser Zeit besitzt.) Nun, wozu ein solcher Katalog? „Die bisherigen Veröffentlichungen galten in der Regel dem Ziel, dem Leser einen Eindruck von dem unermeßlichen Reichtum und der unermüdlichen Vielfältigkeit von Picassos Schöpfungen zu vermitteln. Man denke nur an Namen wie Apollinaire, Reverdy, Eluard, Raynal, Kahnweiler, Sabartes, Christian Zervos, Alfred H. Barr jr. oder Bernhard Geiser. Und eben diese Fülle der Analysen und Interpretationen ist es nun, die gebieterisch nach einer Synthese verlangt. Hinzu kommt, daß die älteren Schriftsteller zu Picasso Stellung

nehmen in einer Zeit, da er selbst noch sehr viel mehr umstritten war als bewundert wurde und besonders die Jahre zwischen 1900 und 1907 der Öffentlichkeit wie der Forschung weitgehend noch verschlossen waren. Jene Altersgenossen Picassos waren zur Zeit ihrer wichtigsten Publikationen meist wohl auch noch zu jung, um genügend Aufmerksamkeit zu finden. Die Forschung und die öffentliche Sammeltätigkeit beschäftigten sich mit dem Fall Picasso noch wenig.“ Das hat sich grundlegend geändert: Museen und Fachinstitute spezialisieren sich bereits häufig auf Erforschung und Studium der Quellen der Kunst des 20. Jahrhunderts. Systematische Analysen sind zur Notwendigkeit geworden. Eine Menge Vergessenes wird erneut in seiner Bedeutung erkannt, kommt zu Ehren. Unsere Auffassung, unser Urteil in bezug auf die Frühzeit der Moderne, unsere Kenntnisse in Stilbezügen haben sich grundlegend gewandelt. Picasso und die mit ihm befaßte Forschung haben davon vielleicht mehr als mancher andere Künstler profitiert: Vor allem was die Datierung betrifft, konnten im

vorliegenden Werk wichtige Korrekturen gemacht werden. Hinsichtlich einiger Ausstellungen (etwa bui Serrurier, 1905), besonders aber “hinsichtlich seines Aufenthaltes im katalanischen Dörfchen Gosol (1906); wobei es bei diesem Datum um nichts weniger als um die Geburtsstunde des Kubismus geht. Selbst eingeweihte Kenner werden in diesem Buch Neuentdeckungen machen können, bisher unveröffentlichte Bilder finden, die weder reproduziert noch ausgestellt worden sind. Und sie werden ein verdienstvoll ausführliches Tatsachenmaterial finden, dessen Erarbeitung Picassos Freund Jaime Sabartes zu danken ist. Herzstück des über 350 Seiten starken Bandes ist freilich der Oeuvrekatalog, mit dem endgültige feste Grundlagen für eine wissenschaftliche Weiterarbeit geschaffen, künftiger Forschung der Weg geebnet wurde. '

PICASSO: BLAUE UND ROSA PERIODE. Von Pierre Daix und Georges Boudaille. Verlag Bruckmann, München. 342 Seiten, 751 Abbildungen, 61 Farbtafeln.

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