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Körper und Seele — der Mensch

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Zudem räumt die Kirche mit einer Irrlehre auf, die im abendländischen Kulturkreis von Plato in Gang gesetzt wird und die den Bau der Menschenrechte auf das ärgste bedroht: mit der Lehre, daß der Mensch nur Seele sei, dieweilen der Körper, der Leib, das Fleisch zum häßlichen Kerker entwürdigt wird. Ginge die Würde des Menschen spurlos in der Seele auf, wir könnten Menschen quälen, martern, kränken, schänden, verstümmeln, töten, ohne die Würde zu zerstören. Der Sitz der Würde des Menschen ist in Blut und Fleisch: Gott ist Fleisch geworden. Damit ist für alle Zeit und in Ewigkeit die Eigenwürde des Leibes dokumentiert: In den Falten der Lehre von der Auferstehung des Leibes verbirgt sich der tiefste Sinn, den das Wort

„Menschenwürde“ empfangen kann. Das ist der Grund, weshalb der heilige Thomas von Aquin, dieser Fürst der Philosophen und Theologen, dieser Geistesriese, an ungezählten Stellen seines Gesamtwerkes die Wesenseinheit von Leib und Seele herauskehrt und lehrt, daß die mit dem Leib vereinte Seele gottähnlicher sei als die von ihm gelöste! Der ganze Mensch ist Träger der Würde, das ranghöchste Wesen im sichtbaren Kosmos, je und je die vollkommenste Realität: Jeder Mensch, ausnahms- und unterschiedslos jeder Mensch, ist Sinnträger des Universums, spiegelt das ganze Sein unauswechselfoar wider.

Die Souveränität des Gewissens

Nie wieder sollte die Menschenwürde mit soviel denkerischer

Wucht ins Licht geworfen werden wie vom heiligen Thomas von Aquin. Ihm dankt das Menschengeschlecht gleichermaßen die umrißklare Fassung des Lehrsatzes, daß der Mensch, obwohl Glied des Menschengeschlechts, Bürger des Staates, Sohn der Kirche, niemals in den Gemeinschaften aufgeht, vielmehr a'llemal singuläre Individualität als unersetzliche Person behauptet. Was nützte es, wenn das Menschengeschlecht das Rennen gewänne und nur ein einziger Mensch um des Menschengeschlechts , willen seine Würde verlöre! Gattung Mensch und singuläre Person sind je und je eigenständige Größen, die nicht aufeinander zurückgeführt werden können. Daraus folgt eine neue, revolutionäre, nie mehr eingeholte urchristliche Lehre, die Thomas von Aquin prägt und als Baustein von schwerstem Gewicht an die nachkommende Welt weitergibt: die Lehre von der absoluten Achtung vor dem Gewissen des Einzelmenschen; die Absolutheit ist so „absolut“, daß es bei Thomas heißt: „Selbst das irrende Gewissen bindet, hat Vorrang vor jeder Obrigkeit, sei es kirchlicher, sei es staatlicher Art!" Das Recht auf Gewissensfreiheit ist anerkanntermaßen die erste Erscheinungsform eines Menschenrechtes im Katalog der Grundrechte der modernen Welt. Kurz: Souverän ist das Gewissen! Wenn man nur schon heute in der ganzen, ungeteilten Welt die Lehre des Aquinaten verstünde und beherzigte! Der Terror hätte längst sein Regiment eingestellt.

Das christliche Fundament des Völkerrechts

Wieder einen Grundstein als eigenständigen Beitrag zum Bau einer wohnlichen Welt für das Menschengeschlecht schafft das Christentum mit der spanischen Barockscholastik im 16. und 17. Jahrhundert herbei; an deren Spitze steht der Dominikanermönch Franciscus de Vitoria, der an der Universität von Salamanca lehrt und ein Schüler seines Ordensbruders Bartholomäus Las Casas ist, des guten Vaters der gequälten Indianer. Dfe Vitoriä hält seine weltbewegenden Vorlesungen über die Indianer und deckt' den; Wesenszusammenhang zwischen den Menschenrechten,, dem Völkerrecht und dem Weltfrieden auf.

Zum Schluß: Wer denkt daran, daß das jüngste, das Mariendogma aus dem Jahre 1950 neuerdings, unter zwei Gesichtspunkten die Würde des Menschen beglaubigt: ein Mensch wird in den Himmel leiblich aufgenommen, der nicht zugleich Gott ist, und dieser Mensch ist eine Frau, eine Mutter.

So sei denn der Rundigang beendet.

Mögen die eingangs erwähnten Weltpakte über die Menschenrechte in naher Zukunft von einem so großen Teil der Völker ratifiziert werden, daß sie in Rechtskraft erwachsen und völkerrechtlich wirksam werden, wie die große Enzyklika des großen Papstes Johannes XXIIL „Pacem in Terris" sie vorgezeichnet hat. Das Rundschreiben über den Frieden auf Erden belehrt die Menschheit über den Weg, auf dem allein gehörige Garantien der international anerkannten Menschenrechte zu haben sind: durch die Einrichtung einer zwingenden internationalen Gerichtsbarkeit, durch das Einsetzen und Wirken eines von allen Nationen unabhängigen, nur dem Recht und dem Gewissen unterworfenen Weltgerichtshofes für den Schutz der Menschenrechte, der vom Vertrauen aller Nationen und aller Menschen getragen wird: So kommt der Friede der Welt zustande! Nur im Frieden kann der Mensch seinen Sinn erfüllen, sein Dasein entfalten.

Der Gruß, den die Engel in der Weihnacht dem Menschengeschlecht entbieten, einem Geschlecht, dem Gott, der Herr, magna cum reveren- tia, mit großer Ehrbezeigung, sich nähert (Thomas von Aquin), lautet nicht: Wohlstand, nicht: Reichtum, nicht: Gesundheit, nicht: Ruhm, nicht: Glück, er lautet einfach: Fax! Friede! — der kommt, wenn die Menschen guten Willens sind.

Der Friede kann nur herrschen, wenn jeder Mensch die Würde eines jeden vorbehaltlos anerkennt; wenn jeder in jedem den Nächsten sieht, den Christus uns unserem Schutz befiehlt

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