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Meer der Mitte

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Schon Friedrich Ratzel hat auf die wichtige Stellung hingewiesen, welche die „Mittelmeere“ unter den geographischen Gebilden der Erde einnehmen. Unter diesen wieder kommt dem europäischen Mittelmeerraum eine überragende Bedeutung zu: Alexander von Humboldt sagt von ihm in seinem „Kosmos“; „An keinem Punkt der Erde ist mehr Wechsel der Macht und unter geistigem Einfluß mehr Wechsel eines bewegten Lebens gewesen.“

In Ernst Kornemanns hinterlassenem Werk liegt die Summe einer 50jährigen Forschungsarbeit vor. Es gibt vom Aufstieg Makedoniens unter Philipp II. (359 v. Chr.) bis zum Einbruch des Islam in die Mittelmeerwelt (641 n. Chr.) ein großartiges Gemälde der auf- und absteigenden mediterranen Machtbereiche, ihrer Kulturen und ihrer Uebergänge, Ueberschneidungen und Durchdringungen. Iranismus und Hellenismus sind nicht als Antithesen gesehen, sondern als „die Schwestern Hellas und Persien“ des Aischylos. Ueberzeugend legt Kornemann die tiefe Beeinflussung der europäischen Geisteswelt durch die iranische dar. So wird auch eine meisterhafte Darstellung des großen Staatsaufbaues der Achämeniden dem ersten Abschnitt des Werkes („Die Weltherrschaft der Makedonen“) vorangestellt, der die hellenistische Welt des von Alexander geeinten Ostmittelmeerraumes in eben jener wechselseitigen Beziehung der „beiden Schwestern“ darlegt. Der zweite Abschnitt behandelt (über den ersten Band hinausgreifend) die „Weltherrschaft der Römer“ (145 v. Chr. bis 305 n. Chr.): die Republik und das, als einmaliges geschichtliches Phänomen, das ganze Mittelmeer allein beherrschende Prinzipat. Die Vorherrschaft liegt nun bei Italien und dem Westen. Wieder steht am Ende dieser Epoche ein Perserkrieg, der die Aspirationen der Sassaniden zerstört — die Weltmachtstellung der Achämeniden bleibt ihnen endgültig versagt. Neben den Persern treten die Germanen in den Mittelmeerbereich ein. Das christliche Mittelalter ist zu jenem Zeitpunkt im Kommen, da der dritte Abschnitt: „Die Spätantike: Neurom und Neupersien“ einsetzt. Constantin I. führt das „metaphysische Weltzeitalter“ herauf. Ueber dieser Epoche steht nicht nur Julius Caesar, sondern wiederum Alexander der Große: „Der Universalismus von Staat und Kirche, der schließlich über alle Welt gesiegt hat, geht in letzter Linie auf den kosmopolitisch denkenden großen Makedonen zurück.“

Die mediterrane Einheit geht durch den Einbruch der Germanen verloren, das durch die Reichsreform des Heraklios geschaffene byzantinische Reich kann anderseits den Mittelmeerraum nicht vor dem Einbruch des Islams bewahren, dem auch das Sassanidenreich zum Opfer fällt, den Kalifen ein höchst bedeutsames staatspolitisches und kulturelles Erbe hinterlassend.

In großartiger Schau weist der Schlußabschnitt das Fortwirken von Romanismus und Iranismus in der christlich-abendländischen Welt und im arabischen Großraum nach und im Staufenkaiser Friedrich II. schließlich sammeln sich noch einmal alle Elemente, die den Mittelmeerraum bewegt, belebt und erleuchtet hatten. Kornemann ist nicht nur ein tiefschauender Kenner großer weltgeschichtlicher Zusammenhänge, sondern auch ein vortrefflicher Psychologe und Charakterzeichner. Unmöglich ist es, die Fülle der Bezüge aufzuzeigen, die fast Seite um Seite aus der Darstellung des Gegenstandes für die Erkenntnis des Gleichzeitigen oder Werdenden aufleuchten.

Der Patriarch. Ein Raumbild. Von Grete Scheuer. Leykam-Verlag, Graz, 1952. 14() Seiten.

Die Handlung: Keine dramatischen Verwicklungen, die einer Lösung bedürfen, nur eine Gratulationskur an einem Neujahrsvormittag, ein traditionelles Essen im großbürgerlichen Hause Siegmund Egkhmanns, des Herrn eines steirischen Hammerwerkes nach der Jahrhundertwende. Das einzige, die „Handlung“ vorwärtstreibende und wie ein Leitmotiv in der Reaktion auf die zahlreichen Personen abgewandelte, bei den Hauptpersonen gegen Schluß bis zur psycho-physischen Katastrophe gesteigerte Spannungsmoment ist die erwartete Heimkehr des wohl in winterliche Bergnot geratenen Sohnes und Erben. Die Gestaltung: Keine herkömmlich erzählende Milieuschilderung — der Untertitel: „Ein Raumbild“ hält das Versprochene! —, sondern eine an das antike Drama gemahnende Komposition, die unter Wahrung des Gebotes der Einheit von Ort und Zeit mit dem erwähnten Minimum an Handlung eine zwar noch in sich geschlossene Gemeinschaft in der Bipola-rität der revisionsbereiten Besitzerherrlichkeit und der subkutan aufbruchreifen Unterordnung agieren macht. So sind die Personen keine epischen Gestalten, sondern Funktionsträger eines Dramas, die ihrer Bedeutung nach teils symbolische Gültigkeit (besonders die Hauptfigur Siegmund Egkhmarfn!) gewinnen, teils episodisch zu wirken haben. Dabei zeugt die Heranziehung sonstiger Elemente abendländischer Dramentechnik: des Novellistischen, Burlesken, Idyllischen usw. von einer souveränen Beherrschung der Kompositionskunst. Besondere Hervorhebung verdient das dem Sujet angepaßte Sprachkolorit. Mit all dem legitimiert sich die Autorin des „Patriarchen“ als Dichterin. Dr. E. Schubert

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