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Täglich mehrere Malbriefe von HAP Grieshaber an Margarete

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An die zehntausend „Malbriefe” schickte HAP Grieshaber(1909-1981) im Lauf der Jahre an Margarete Hansmann. Grieshabers Metier war der Holzschnitt, aber die Malbriefe sind Aquarelle. So wurde das Kennenlernen der beiden zum Anstoß für eine kreative Explosion, für die Entstehung eines Parallelwerkes, das sich neben Grieshabers Holzschnitten durchaus sehen lassen kann. Das den Holzschnitten sogar etwas voraus hat: Das Leichte, Lockere, Duftige, Luftige, Unverbindliche der Improvisation.

Resondere Bedeutung gibt den Grieshabers Aquarellen die Tatsache, daß er noch auf dem Sterbebett prophezeite, man werde schon noch sehen, daß er ein Maler gewesen sei, obwohl er kein einziges Ölbild gemalt hatte. Das ist allerdings nicht so zu verstehen, als hätte der Tod sein Projekt Malerei durchkreuzt. Grieshaber war 72 Jahre alt, als sein „kaputtes, von Zigaretten und Alkohol malträtiertes Herz” (Wolf Schön) endgültig versagte. .

Zwar setzen bekanntlich gerade die bildenden Künstler große Hoffnungen auf ihr Spätwerk, die auch sehr oft eingelöst werden, siehe etwa Picasso oder Chagall oder Budolf von Alt. Doch der stets in das Exil der Graphikabteilungen der Sammlungen verwiesene Grieshaber dürfte eher seine Gleichwertigkeit mit den Malern im Sinn gehabt haben.

Aber vielleicht dachte er dabei doch auch an seine Malbriefe. Die Aquarelle in seinen Briefen bieten die Möglichkeit, das malerische Potential dieses Künstlers sehr viel genauer einzuschätzen, als dies ohne sie möglich wäre, und der Reichtum, der dabei zum Vorschein kommt, mag auch manchen Grieshaber-Bewunderer überraschen.

Weshalb der Bildband der Deutschen Verlags-Anstalt sehr viel mehr ist als „nur” das Dokument einer Künstlerbeziehung, welches Genre er freilich um ein besonders reizvolles Werk bereichert. Er stellt, wie gesagt, außerdem und vor allem eine wichtige Ergänzung des Grieshaber-Werkes dar, enthält viele Arbeiten von ganz besonderer farblicher Finesse, besonderem ästhetischem Reiz, und viel Experimentelles, im besten Sinne Undiszipliniertes, das Einblick in den Schaffensprozeß gestattet.

Damit stehen die Aquarelle auch in einem reizvollen Spannungsverhältnis zu den zum Teil monumentalen, technisch überaus anspruchsvollen, in den Rang von Tafelbildern erhobenen Holzschnitten, wahren „gedruckten Malereien” mit ihren komplizierten Schichtungen, Lasuren und Nuancen. „Warum spricht niemand bei mir von Originalen?” beklagte er sich in einem Brief vom 16. November 1972.

HAP Grieshaber war ein „Verächter bürgerlicher Kunstgesinnung, die sich von den Nazis so widerstandslos mißbrauchen ließ”, schreibt Wolf Schön in seinem Nachwort „Der Holzschneider, der ein Maler war”. Das Attribut „engagiert” lehnte er ab - es war für ihn überflüssig, denn Kunst war für ihn unteilbar und eine nicht engagierte Kunst undenkbar.

Grieshaber durchtauchte die NS-Zeit in der inneren Emigration, schlug sich mit Handlangerdiensten durch und landete nach dem Krieg auf der Achalm hoch über Beutlingen, als „schwäbischer Noah nach der braunen Sintflut ... mit wunderlichem Getier im Gefolge.

Ostfriesische Schafe, ein Hänge-bauchschwein aus Vietnam, einen indischen Pfau, Islandponys, Siamkatzen und englische Bulldoggen, einen bissigen Affen, sanfte Perlhühner und anderes Federvieh beherbergte der Eremit in seiner legendären Einsiedelei. Die stumme Kreatur, mit der er in franziskanischer Einfalt Zwiesprache hielt, bevölkerte den bukolischen Teil seines Werks, hat ihm die kreatürliche Kraft des Ursprünglichen gesichert -„Die dunkle Welt der Tiere” heißt die berühmte Holzschnittfolge, in der sich barocke Lebenslust mit der Klage über die unerreichbare Fremdheit des unbeseelten Lebens vermischt.”

Sein Können als Drucker ermöglichte Grieshaber, als gesuchtem Illustrator von Büchern, den Bückzug aus der Konsumwelt. Er hatte eine Schriftsetzerlehre und ein Kalligraphiestudium absolviert und sein Stilgefühl an den strengen mittelalterlichen Holzschnitten geschult, als er vor dem Zweiten Weltkrieg für Jahre auf Reisen ging - nach Ägypten, Arabien und Griechenland, wo er die Freude am Ornament und an der Farbigkeit in sich aufnahm.

Grieshaber war 58, Margarete Hansmann 46 Jahre alt, als sie sich kennenlernten und sie seine Gefährtin und Mitarbeiterin wurde. Ihr Mann, der nazifeindliche Journalist und Verleger F. C. Hansmann, hatte das Ende der Nachkriegsnot nicht mehr erlebt. Sie kam mit dem Schriftsteller Johannes Poethen aus Griechenland zurück, wo gerade die Obri-sten die Macht ergriffen hatten. Man schrieb 1967 - das Jahr vor der großen Infragestellung der deutschen Verhältnisse. Margarete Hansmann ist viel unterwegs.

An manchen Tagen bringt der Briefträger dreimal Expreßpost von der Achalm. Die Briefe sind eine wilde Mischung von Politik, Beflexion über Kunst und Privatem, Aktualität und Mythologie, direkt Ausgesprochenem und in Metaphern Ausgedrücktem, privaten Kürzeln und Anspielungen auf die griechische Götterwelt. Die Erörterung darüber, wie die Totenschilde der Gefolgsleute der Staufer in die Herrgottskirche von Creglingen gelangten, steht gleichgewichtig neben höchst privaten Botschaften, Anmerkungen zu Heinrich Boll und kleineren oder größeren Bosheiten, wie etwa, Helene B. (wer immer auch gemeint sein mag) sei halt „eine Bauhaustante und weiß nicht genau, auf was es ankommt.”

Der letzte abgedruckte Brief ist vom 19. Oktober 1979 und lautet: „Doch noch ein Gast, der Herbst.”

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