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HEIMAT DER SUDETENDEUTSCHEN. Widerlegung der tschechischen Kolonisationstheo rie. Von Dr. Josef Starkbaum, Geleitwort von Msgr. Emanuel Reichenberger. Heraus- gegeben von Norbert Starkbaunu Volkstum-Verlag, Wien, 1967, 380 Seiten, 8 128.-—.

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HEIMAT DER SUDETENDEUTSCHEN. Widerlegung der tschechischen Kolonisationstheo rie. Von Dr. Josef Starkbaum, Geleitwort von Msgr. Emanuel Reichenberger. Heraus- gegeben von Norbert Starkbaunu Volkstum-Verlag, Wien, 1967, 380 Seiten, 8 128.-—.

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Seit Prof. Bretholz ist der Streit über die Frage nicht verstummt: Waren in Böhmen zwischen dem VII. und dem XI. Jahrhundert Deutsche ansässig? Zwei Umstände stehen einer schlüssigen Antwort im Wege. Erstens schwebt über dem ganzen Thema der alte Schulspruch „Quod gratis asseritur, gratis nega- tur”. Es gibt gar wenige, und zwar lateinische, Quellen über jene Zeit. Nichts hindert den Nachfahren, das Dunkel der Vorzeit je nach Lust und Liebe mit edlen slawischen Fürsten oder mit freien germanischen Bürgern zu bevölkern. Ein unsträfliches Beginnen, solange es um Romane geht! — die sind denn auch, so odier so, geschrieben worden. Die Geschichtsschreibung aber ist, zweitens, mit aktueller politischer Zielsetzung verbunden geblieben. Zwar kann im Allgemeinen — und der Autor des vorliegenden Buches bestätigt dies — eine Geschichtsfrage des X. Jahrhunderts keine rechtliche Bedeutung für politische Fragen des XX. haben; dennoch ist dies die übliche Auffassung. Freilich ist auch im Besonderen nachzuweisen, daß die Lösung der Geschichtsfrage weder so noch so politische Bedeutung haben kann. Waren nämlich die Deutschen in den böhmischen Ländern nach 1100 eingewandert, so ist doch wahr, daß sie nachher die verschiedensten Rechte in optima forma juris erhalten hatten. Waren umgekehrt die Deutschen in den böhmischen Ländern seit der Zeitwende ununterbrochen ansässig, so ist doch wahr, daß sie zufrieden waren im Staat der Premysliden zu leben; und diesen nennt Starkbaum — ja gerade er mehr als andere — einen slawischen Staat. Für diesen neuesten Forscher über die Frage bestand also ebensoviel Anlaß als für jeden anderen, sie unvoreingenommen zu besprechen; jedenfalls aber muß die Kritik sich über seine Arbeit aussprechen.

Leider jedoch kann die Kritik nicht den Autor um Aufklärungen ersuchen; weder er noch der hochwürdige Schreiber der Einleitung haben die Herausgabe erlebt. Sie ist dem pietätvollen Sohn des Verfassers zu verdanken. Wie ist nun diesem die „Widerlegung der tschechischen Kolonisationstheorie”, der Nachweis der Bretholztheorie gelungen? Das kann endgültig erst ein Fachmann nach detaillierter Nachprüfung sagen; aber der stehen einige Mängel der mühevollen Arbeit entgegen.

Hätte sich Starkbaum darauf konzentriert, . eine ganz systematische Ortsnamenliste aufzustellen, jeweils mit der Angabe: Wann ist deutsche Bevölkerung zuerst belegt? Ist eine Siedlung von Deutschland her belegt, und wie? — hätte er die Liste durch eine Karte ergänzt, jeweils mit den Zeichen: Kreuzei, „Deutsche Siedlung von auswärts belegt”, und Ringel, „Deutsche, Siedlung von auswärts nicht nachzuweisen” — ja, dann hätte er der Forschung einen großen Dienst erwiesen. So aber wird dies jemand — Freund oder Gegner — noch tun müssen. Unterdessen schwebt über seiner Arbeit ein anderer alter Schulspruch: „Qui nimium probat…!” Er hat — und hätte er die Karte gezeichnet, dann hätte er selbst dies vielleicht besser bedacht! er hat die böhmischen Länder derart mit vermeinten unvordenklich deutschen Orten eingedeckt, daß man nicht mehr sieht, wo die Pfemysliden überhaupt das tschechische Element hemahmen… Gegenwärtiger Rezensent ist, Gott’s Donner!, der letzte, der das monarchische Element bei Böhmens Aufbau unterschätzen möchte; aber ein nationalpolitisches Zauberstück, wie es Starkbaum den Pfemysliden zutraut, scheint uns zu hoch gegriffen. Dazu kommt noch etwas. Starkbaum hat die Literatur in der anderen Sprache gelesen, und dafür sei ihm Ehre; denn „hüben und drüben” wird das nicht immer gemacht. Doch ist anscheinend das Vermächtnis des Slawischen nicht seine Stärke. Daraus ergeben sich dann Behauptungen, so erstaunlich, daß der Rezensent richtig befangen wird. Einem Toten gegenüber hielte man sich da gern an das „Risum teneatis, amici!” Aber erstens versagt sich der verewigte Autor selbst den Sarkasmus keineswegs. Zweitens ist es wohl klar, daß die betreffenden Seltsamkeiten als Begründung dienen können, um überhaupt eine Besprechung der Hauptthese ablehnen zu dürfen. Nehmen wir also ein paar Beispiele. Starkbaum erwähnt Wittingau und Mährisch-Trübau; doch was die Ortsnamen Tfebon und Trbovä über die Siedlungsgeschichte aus- sagen, bemerkt er nicht. — Er meint, die Vladyken wären richtig germanische Waldinge… so, jetzt wissen wir, warum die Erzbischöfe von Montenegro diesen Titel führten! Er zitiert einen Gewährsmann, wonach genug Ortsnamen im Sudetenraum auf Goteö und Quaden zurückzufüh- ren seien, darunter Kotoged (S. 131). Also Kotojedy — die Goten! ja, wenn man die Goten auf gef ressen hat, damit wäre die slawische Barbarei freilich erwiesen. Auch zitiert Starkbaum Guido List „ohne mit der Wimper zu zucken”. Doch genug des Sarkasmus! Ernsthaft ist, was wir vorhin sagten. Solche Dinge stehen dem im Wege, daß man sich mit den konkreten Angaben des Werks be schäftige; daß man gewichtige Argumente — die Sprachgemeinschaft zwischen Bayern und mährischen Sprachinseln (S. 255) — ernsthaft überprüfte. Der Schluß heißt also: Vivat qui sequitur! Es lebe jener, der dieses Material wirklich in verwendbaren Ordnung bringt und der weitere Forschungsergebnisse erreicht.

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