Apokalyptischer LSD-Rausch
In Paul Divjaks neuem Roman „Dardanella“ fügen sich Realität und Imagination zu einem endzeitlichen Textmeer zusammen.
In Paul Divjaks neuem Roman „Dardanella“ fügen sich Realität und Imagination zu einem endzeitlichen Textmeer zusammen.
„Ein Gewitter zuckte am Himmel, an dem Tag, als es der Welt zu viel wurde und die Kettenreaktionen in Asien die Herrschaft über das Kühlwasser erlangten, der Himmel im Nahen Osten wiederholt von Raktenleuchten erhellt wurde und die letzten Kähne mit Hoffnungssuchenden vor dem Festland unseres Kontinents kenterten.“ Das scheint das Setting, als sich der adipöse Ich-Erzähler, ein bekennender Leistungsverweigerer und erfolgreicher Loser, an Bord der Dardanella – wer denkt da nicht an „Sweet Dardanella“ von Bing Crosby und Louis Armstrong – wiederfindet, eine „blasse 160 Kilo-Boje in den Weiten der Ozeane“. Doch so eindeutig ist nie etwas in den Büchern Paul Divjaks. Dass gleich auf den ersten Seiten in einem Traum Aldous Huxley, der mit dem Schweizer Chemiker Albert Hofmann, dem Entdecker der bewusstseinserweiternden Substanz LSD befreundet war, als gutmütiger Großvater auftaucht, nährt die Vermutung, hier ist jemand auf einem (Horror-)Trip. Farbsensationen, Klangvisionen, sprechende Tiere, wieder auferstandene Schauspieler und eine hübsche Tänzerin sind Teile des Geschehens, auch Joints und Kokain haben späterhin noch ihre Auftritte.
Schon vom Druckbild her fügt sich in diesem schmalen, als Roman bezeichneten Buch nichts zu einem Ganzen. Die kurzen Absätze wirken wie aus einem Textmeer herausgefischte Bruchstücke, manchmal von der kleinen Welle der sogenannten „Tilde“ als Abschnittstrenner voneinander abgesetzt. Es sind Erinnerungsfetzen, Filmszenen, Zitate, Nachrichtenmeldungen und Erklärungsversuche für all die Übel der Welt, die sich – wie im eingangs zitierten Satz – zu einem Katastrophenprotokoll summieren. Müllinseln ziehen vorbei, verlassene Siedlungen an den Küsten, Brände, Mord und Totschlag; das akustische Begleitprogramm sind stereotype Sprachbilder und Gemeinplätze. Ein Finanzhai aus Zürich ist über Bord gegangen und treibt nun „situationselastisch wie im wirklichen Leben“ auf dem Wasser. Andernorts scheint das Leben noch recht normal weiterzugehen; elegante Damen gustieren in vornehmen Boutiquen – „Sie waren Gefangene und zahlten obendrein dafür.“
Farbsensationen, Klangvisionen, sprechende Tiere, wieder auferstandene Schauspieler und eine hübsche Tänzerin sind Teile des Geschehens.
„Wir hatten alle das Leben der Logik der Wirtschaft untergeordnet und verwechselten Sinn mit Erfolg … Eine große vernichtende Erzählung liegt über all den vielen kleinen“, lautet eine der wohl richtigen, aber zugleich hilflosen Sentenzen auf der Suche nach dem Warum. Und vor allem, wie nun darauf reagieren? „Wir starrten alle auf unsere Smartphones, wie immer.“ Auch die Denkbilder ändern sich nicht. Hat die Technik gerade alles zur Implosion gebracht, wird Hilfe nach wie vor aus dem Maschinenraum erwartet: „Ein Hoch der Technik! Das Leben ist unter Kontrolle. Der Mensch hat wieder Oberwasser, setzt die Segel, bestimmt den Kurs.“ Aber das tut er eben nicht mehr, zumindest nicht in Divjaks Apokalypse, in der ein Tsunami, beziehungsweise das „Bild einer riesenhaften Welle … das sechste Massensterben“ einläutet. Als das Lamm in der „Offenbarung des Johannes“ das sechste Siegel öffnet, kommt das gewaltige Beben über die Erde, als die sechste Posaune ertönt, vernichtet die Schar der apokalyptischen Reiter mit Feuer, Rauch und Schwefel ein Drittel der Menschen. Tatsächlich scheinen Assoziationen in diese Richtung viel näherliegend als die im Klappentext angebotenen Bilder von Odysseus, Lebensreise und Narrenschiff. Oder man liest „Dardanella“ als Drogenrausch-Variation auf Kathrin Rögglas Roman „Die Alarmbereiten“ aus dem Jahr 2010.
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