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Aus Ostdeutschland
Das Hintergründige des Lebens, das Hineinwirken metaphysischer Kräfte in die Welt, die Frage nach dem Sinn des Leides, beschäftigen den Schle-sier Martin Geister in seinem Roman „Licht auf meinen Wegen“. Er folgt damit einer alten Tradition der Dichtung seiner früheren Heimat. Die Geschichte und der Untergang einer alten ostdeutschen Großkaufmannsfamilie werden ein wenig schwerflüssig erzählt. Am lebendigsten sind einige Gestalten aus dem schlesischen Grenzland, vor allem das Mädchen Wadja — „ein Gefäß der Frömmigkeit und der Anmut“ — und seine halb polnische Familie. Die Kontrastierung und gegenseitige Bereicherung deutscher und slawischer Elemente im schlesischen Grenzgebiet ist Geister gut gelungen. Die Stärke seines Buches liegt in einzelnen Szenen, während im ganzen noch die letzte Verdichtung und Gestaltung fehlt.
Der Berliner Herbert Geisler läßt uns, durch die Brille des Feldgeistlichen einer Panzerdivision im Osten, einen Blick tun in die Katastrophe des deutschen Rückzuges in Rußland, und in die schweren Berliner Nachkriegsjahre. Dieser Priester, Franz Bruckner, ist ein Mann, der nicht nur das Christentum predigt, sondern es zu leben versucht, der immer da ist, wo Hilfe nottut, der Problemen nicht ausweicht und die Nöte und Gefährdung seiner Zeitgenossen genau kennt. Ein aufrechter und redlicher Mann, der aus seiner christlichen Grundeinstellung für jede Lage das richtige Rezept weiß und immer auch mit der eigenen Existenz zu zahlen bereit ist. Und doch gibt es da einige bedenkliche Verzeichnungen und Deutungen der Gesamtsituation, was soll man davon halten, wenn dieser Geistliche, der sein eigenes Leben nicht schont, einem jungen Leutnant, der zu einer Exekution befohlen ist und als gläubiger Christ Gewissensbedenken hat, die Worte sagt:
„Tun Sie das, was derzeit Ihre Pflicht ist, Leutnant, und vergessen Sie nie im Leben diese Stunde.
Denn dann, Leutnant..., dann werden Sie später nur noch Christ und nichts als das sein!“
Kommt es gerade für den Christen nicht auf die Augenblicksbewährung an? Es gibt da auch die folgende Stelle:
„Zwar unterstand die Waffen-SS formell dem
Reichsführer SS, war aber in der Praxis nichts anderes als eine vierte Waffengattung, ausgezeichnet durch Elan, Einsatzbereitschaft und vorbildliche Kameradschaft. Sie kämpfte für ein neues Europa, und ihre Divisionen waren vorwiegend im Osten eingesetzt, und zu ihnen waren Freiwillige aus vielen europäischen Staaten gestoßen, und immer stärker bildete sich in ihren Reihen ein europäischer Geist heraus, der niemals antichristlich sein konnte ...“
Solche Auffassungen sind gefährlich, gerade in einem Buch, das sicher ein Beitrag zu der so notwendigen Verarbeitung unserer Vergangenheit sein will. Geisler verwickelt sich da verschiedentlich in gefährliche Widersprüche, die bei dem unbefangenen Leser mehr Schaden als Nutzen stiften könnten.
Die Klarheit und Unbedingtheit, die wir für die Beschäftigung mit der dunklen Vergangenheit des „Dritten Reiches“ brauchen, herrscht in der kleinen Schrift eines jungen deutschen Autors, „Anfrage“, die soeben im Claassen-Verlag, Hamburg, erschienen ist. Christian Geiß ler, Jahrgang 192S, stellt darin schonungslos und unerbittlich an die Generation der damals Erwachsenen die Frage nach ihrer Verantwortung und ihrer Schuld. Die Frage auch nach „der Schuld des Verschweigens, der bequemen Ratlosigkeit, der Nachlässigkeit im Denken ...“ Denn Geißler geht es nicht nur um all die furchtbaren Geschehnisse während des Naziregimes, sondern ebenso darum, daß jene Tatsachen endlich aufgearbeitet, in ihren Ursachen ergründet und bewältigt werden müssen. Er läßt bei seiner Abrechnung auch keineswegs seine eigene Generation (die er wegen des Versagens der Erwachsenen die „Generation ohne Väter“ nennt) beiseite:
„Cut“, heifit es einmal, „es ist nicht deine Schuld und nicht meine, was an faktisch Vergangenem vorliegt; aber es ist sehr wohl unsere Schuld, was in Zukunft mit dem, was war, geschieht. Man kann das, was war, nicht trennen von dem, was kommt-, man kann nicht vorwärtslaufen, ohne zu wissen, woher man kommt! Man kann, ja, aber man sollte nicht, sofern vorwärtslaufen nicht heißt: sich selbst davonlaufen!“ Für solche Überlegungen ist es hohe Zeit! Beschämend nur, daß diese „Anfrage“ aus den Reihen der jungen Generation kommen mußte. Möge sie nicht ungehört verhallen. Denn von der ehrlichen Verarbeitung der Vergangenheit hängt das Gesicht unserer Zukunft ab. Und einmal könnte es zu spät sein.
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