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Die Bestechlichkeit ist einer der allgemeinsten menschlichen Charakterzüge, und selbst der Beste unter uns kann auf irgendeine Art bestochen werden. Der leibliche Mensch ist verderblich, „korrupt”, ja, durch den Sündenfall ist er nicht nur der außerordentlichen Schenkungen Gottes verlustig gegangen, sondern ebenfalls in seiner Natur verwundet und geschwächt worden. Daher ist er auch bestechlich.

Worin besteht aber nun das Wesen der Bestechlichkeit? Der Bestochene wird entweder durch Erscheinungen, Eindrücke und Aussagen in seiner Urteilskraft geschwächt, wodurch er zu einem Fehlurteil oder Fehlentschluß gelangt, oder auch durch ein Versprechen bestimmt, zu seinem Vorteil eine Handlung gegen sein bestes Wissen und Gewissen zu begehen. Der Ausdruck „Bestechung, bestechend, bestechlich” deckt also zwei ethisch und geistig sehr verschieden zu” wertende Erscheinungen. Es ist offensichtlich, daß der Verliebte, der durch zwei schöne Augen „bestochen” wird, und der Beamte, der nach Erhalt einer „kleinen Zuwendung” seine Amtsgewalt mißbraucht, keineswegs derselben sittlichen Kategorie angehören. Der durch „Aeußerlichkeiten” über das Wesen und die Natur einer Sache (oder auch eines Menschen) Irregeführte ist das Opfer seiner eigenen Oberflächlichkeit. Derjenige hingegen, der seinem Gewissen zuwiderhandelt, ist (im engeren Sinn des Wortes) kein „irrender”, sondern ein sündiger Mensch. Er hat das verkauft, was unverkäuflich sein sollte — sein gewissenbestimmtes Ich.

Während wir aber nun geistig der Bestechlichkeit durch Trugbilder immer wieder verfallen, steht es wahrscheinlich um unsere Bestechlichkeit im ethischen Sinn auch nicht viel besser. Die große Mehrzahl unserer Mitmenschen hat lediglich verschiedene Tarife; die wahrhaftig moralischen bilden nur ein kleines Häuflein. Würden wir zum Beispiel 10 Schilling demjenigen bieten, der eine kleine Gemeinheit begeht, eine bestimmte Handlung gegen das Gewissen, die geheim bleibt und strafrechtlich nicht verfolgt werden kann, so gäbe sicherlich nur ein geringerer Prozentsatz der Versuchung nach.

Was aber geschähe, wenn wir mit einer Offerte von 1000 oder 10.000 Schilling kämen? Bei 100.000 Schilling gäbe es sicher noch mehr Um-Fälle. Mit diesem Betrag kann man sich schon luxuriöse Reisen, prächtige Autos und Pelze kaufen. Die Reihen der „Resistance” würden sich schon bedenklich lichten. Und erst bei 500.000 Schilling! Da winken bereits Eigenheime, gesicherte Existenzen, das Wohlleben auf Jahre hinaus. Und wie wäre es schließlich bei Millionenbeträgen? Die Leute, die ihr Gewissen utilitär und rational im Nu „modernisiereri” und mit höchster Virtuosität eine neue Kasuistik für ihr Handeln aufbauen würden, dürften sich in hellen Scharen melden. Sie würden mit fertigen Plänen daherkommen, wie man das unscheinbare Stück Niedertracht auch dazu benützen könnte, unendlich viel Gutes zu tun ...

Bei weiteren Steigerungen, Summen, bei denen der reine Geldwert verblaßt und die Macht in eisiger Nacktheit hervortritt, würde der Kreis der entschlossen Widerstehenden sich wahrscheinlich nicht mehr beträchtlich vermindern. Das Fähnlein der Aufrechten würde weiter trotzig oder auch lächelnd, blaß vor verhaltener Erregung oder finster in seiner Entrüstung, dasitzen und sich nicht rühren. Mancher dieser Nein-Sager würde fürchterliche Versuchungen niedergekämpft haben, andere wieder hätten das schmutzige Angebot achselzuckend abge- lęhnt, .dfnn was ihr uniutete,. war ihrem Wesen so fremd, daß eine Versuchung nicht einen Augenblick an sie herangetreten war.

Freilich versucht unter diesen Umständen der Teufel manchen der Starken in einer ganz anderen Form, und zwar in • der Gestalt der Hoffart, die eine zusätzliche Gefahr für den Ueberwinder der Versuchung darstellt. So berichtet uns Gilson von einer mittelalterlichen Anekdote, derzufolge eine Nonne, die der Teufel überreden wollte, das sechste Gebot zu übertreten, verzweifelt ausrief: „Warum gehst du denn nicht zur Schwester Eusebia, die auf ihre Keuschheit gar so stolz ist?” Darauf erwiderte der Böse lachend: „Das fällt mir gar nicht ein, denn vom Stolz auf ihre Reinheit ziehe ich einen viel größeren Nutzen, als ich je von ihrem sündigen Nachgeben erwarten könnte!”

Nun dürfen wir uns jedoch keinem ethischen Nihilismus hingeben und nicht vergessen, daß selbst bei Abzug der Hoffärtigen immer noch einige wenige übrigbleiben, deren Haltung uns lehrt, welch große Möglichkeiten dem der Gnade sich öffnenden Menschen innewohnen. Die breiten Massen der Schwachen wurden zu allen Zeiten von den Heiligen, diesen Leuchttürmen einer gefallenen Menschheit, überragt. Sie verkörpern den Heilsweg für uns alle.

„Getäuscht” werden kann allerdings auch der Heilige, dessen Willensstärke und Gnadenbereitschaft manchmal einer erstaunlichen Urteilsschwäche gegenüberstehen. Anderseits dürfen wir nicht übersehen, daß die grobe Bestechung selten ist. Es wird nicht oft geschehen, daß man uns das rote Gold mit einem schmierigen Lächeln in die Hand zu drücken versucht. Der homo venalis, der bestechliche Mensch, ist nicht nur das Opfer materieller Versuchungen, sondern er wird auch von klug berechneten Lobhudeleien, bloßen Versprechungen, verführerischen Wahnvorstellungen bedrängt. Der reiche Mann, der den Maler für das schmeichlerische Porträt fürstlich belohnt, die Frau, die den ungeliebten Würdenträger seiner (und ihrer) gesellschaftlichen Stellung wegen heiratet, der übereifrige Angestellte, der vor seinem Brotherrn servil dienert, der Redner, der mil geistigem Blendwerk und honigsüßen Phraser erfolgreich um die Gunst des Publikums buhh — sie alle sind zugleich Bestochene und Bestecher.

In keiner menschlichen Domäne ist jedoc!

die Bestechlichkeit durchgreifender, „wissenschaftlich” mehr durchdacht, brutaler angelegt und von größerer Bedeutung als in der modernen Politik. Nicht nur versucht der einzelne Volksführer, Kandidat oder Mandatar seine Wählerschaft mit Lob, Preis und wilden Versprechungen zu betören, sondern die Mehrzahl der zeitgenössischen Ideologien ist geradezu Angelegt, die Massen auf Kosten unpopulärer Minderheiten durch eine erfundene Gloriole zu verherrlichen und sowohl dadurch als auch durch die chiliastische Versprechung einer wunderbaren Utopie zu bestechen. Während die Bestechlichkeit vor 1789 nur der Krebsschaden der Höfe und Bürokratien war, wurde dann die Bestechlichkeit und Betörung der breiten Massen zur Pest der Völker.

Der christliche Realismus versprach lediglich, das Leiden des sündhaften Menschen im Schatten des Kreuzes sinnvoll zu machen. Der gierige homo venalis der Neuzeit, dem fast von allen Seiten das Paradies auf Erden versprochen wird und der buchstäblich nach den Sternen greift, ohne sich selbst beherrschen “zu können, lebt /heute in der lähmenden Angst des fürchterlichsten aller Jahrhunderte. Kein Wunder; denn obwohl der Mensch immer korrupt war, so ist seine Bestechlichkeit nie so raffiniert ausgebeutet und diese planvolle Ausbeutung in allen Ländern so bewußt zum System erhoben worden wie gerade jetzt. Bestechlichkeit heißt aber Mißachtung des Gewissens und der Vernunft, der Attribute des Menschen, die ihn radikal vom Tier unterscheiden. Wer also Gewissen und Vernunft bewußt „verkauft”, verneint seine Menschenwürde, seine Seele und seinen Geist. Er entscheidet sich frevelhaft für Tod und Wahnsinn.

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