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Beer — kein neuer Grimmelshausen

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DIE TEUTSCHE.V WINTER-NÄCHTE. Von Johannes Beer. 4 6 Seiten. Frei 34 M. — DIE KURZWEILIGEN SOMMER-TXGE. Von Johann Beer. 428 Seiten. Prei S4 DM. Beide Insel-Verlar. Wiesbaden.

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DIE TEUTSCHE.V WINTER-NÄCHTE. Von Johannes Beer. 4 6 Seiten. Frei 34 M. — DIE KURZWEILIGEN SOMMER-TXGE. Von Johann Beer. 428 Seiten. Prei S4 DM. Beide Insel-Verlar. Wiesbaden.

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Aus fast jeder der 406 beziehungsweise 429 mit zeitgenössischen Kupferstichen illustrierten Seiten, die Johann Beers neuentdeckte sprach- und abenteuerfunkelnde Barockromane umfassen, können wir Belege dafür nehmen, auf welche Weise Beer von Grimmelshausen sich unterscheidet. Also ist der Stempel, der ihm unversehens auf- gedrückt ward und der lautet, dieser stehe unmittelbar in dessen Nähe, fälsch, und wir sehen vielmehr, wie sehr beide durch jene drei Jahrzehnte, die zwischen ihren Geburtstagen liegen, nicht verbunden, sondern fundamental getrennt sind.

Wie Grimmelshausen von den spanischen Amadis- und Picaro- Romanen, welche des Cervantes Anfänge beherrschten, herkommt, ist Beer aus diesen einschließlich Grimmelshausens zu verstehen. Auch in Ihm lebt die barocke Diesseits-Jen- seits-Spannung und jene zwischen konfessioneller und freireligiösmystischer Haltung, blinkt jene Einstellung, die im barocken Theater in Reinkultur sich erhob und wonach der Lauf der Welt als Spiel vor Gott abrollt.

Doch als Beer 1655 in St. Georgen im österreichischen Salzkammergut das Licht der Welt erblickt, liegt der Dreißigjährige Krieg, der Grimmelshausens Jugend und Welt prägte, bereits sieben Jahre zurück. So geschieht es, daß in Beers Werk nicht Kriegsläufte und wandernde Schelme den Inhalt bestimmen, sondern ansässige Landedelleute und Studiosi nebst galanten Streichen holdem Weibsvolk aller Stände die wechselnden Helden und Heldinnen sind: in einer sich konsolidierenden Gesellschaft, die inmitten der geistigen Unrast des 17. Jahrhunderts nach neuen Formen sucht.

Entscheidender noch ist ein anderer Unterschied. Während Grimmelshausen zum katholischen Glauben übertrat, wirkt der das Jahrhundert weithin bestimmende römische Ordo-Gedanke in Beer erst in vielfacher Brechung. Hatte er auch zu nächst die Schule des Benediktinerklosters zu Lambach in Oberösterreich besucht, so folgte er doch schon 1670 seinen sich dem Druck der Gegenreformation entziehenden protestantischen Eltern nach Re- gensburg, geht in das dortige humanistische Gymnasium, studiert zeitweise protestantische Theologie, bis er als Altist und Komponist an den Hof des Herzogs von Sachsen-Weißenfels berufen wird.

Allein daran vermögen wir eine Summe von Einflüssen abzuschätzen, die Beer, wie seinen Hauptwerken, neue, unverwechselbare Charakteristiken verleihen, wozu als Hauptkomponente sein Österreichertum zu rechnen ist, dem er auf eigenartige Weise treu bleibt. Er spiegelt alles Geschehen zumeist in eine Landschaft, die in einem Traumterrain siedelt, das üppige Ebenen vom dämonisch-heroischen Alpenreich trennt, worin unschwer seine Jugendheimat zu entdecken ist.

Wiewohl die Strenge der Latinität und der musikalischen Gesetzlichkeit in seiner Sprache durchschim- mern und sein Werk, im Gegensatz zu jenem seiner meisten Zeitgenossen, von ungenießbarer Allegorik und müßigen Wortspielereien sauber halten, schenkt ihm sein Österreichertum jenen anmutig tänzerischen Duktus und jene Eleganz des Stils, die seine Lektüre auch uns zum Vergnügen machen. Zugleich ist sein Blick weit und frei genug, Tragfähiges und Überlebtes an den hierarchisch-feudalen Gesellschaftsformen seiner Epoche zu unterscheiden. Da er Dichter ist und nicht Politiker, Liebender des Lebens und nicht Revolutionär, geht sein Sinn nicht dem Umsturz nach oder dem Protest, sondern entwirft in vielen kleinen Zügen, die vorerst kaum auffallen, die Ahnung einer sich ändernden Gesellschaft — hauptsächlich dadurch, daß er den Adel und die Bevorrechteten ebenso in aller Menschlichkeit zeigt wie die unteren Schichten. Nicht also, indem er Fürsten und Geistlichkeit dem Hohn unterwürfe, läßt er den kleinen Mann glänzen, sondern, indem ihm Bauern und Dienstboten als Menschen ebenso wert wie des Spotts bedürftig sind wie die übrige Gesellschaft auch, schafft er geistige Befreiung.

Daran denken wir, durch und durch vergnügt durch Beers Lebenswonne, während die Trauer darüber in uns wächst, daß das Leben dieses Dichters und Musikers 1700 in seinem 45. Jahr unter einem verirrten Pfeil beim Vogelschießen endete, bevor er weitere Werke von weltliterarischem Rang und kulturhistorischem Wert hinterlassen konnte. Was verschlägt’s, daß ihm keine Figur wie Grimmels hausens gewaltig durch die Zeiten ragende „Landstörzerin Courasche“ (als Band 76 des Deutschen Taschenbuchverlages neu erschienen) gelang, die selbst ein Brecht in ihren weiblich-mythischen Dimensionen beschneiden mußte, um sie seinem ideologischen Konzept einzupassen •— Beer strebte nicht danach. Seiner in allen schnellen Gangarten gewandten Feder wurde eine Epoche zur Hauptgestalt. So öde übrigens, wie das Feld der barocken Prosa eben jetzt angesichts der durch Richard Alewyn erfolgten glücklichen Neuentdeckung Beers dargestellt wird, war es nicht.

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