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Das Drama der Dramen
DAS RELIGIÖSE DRAMA DES MITTELALTERS. Von Alexander Grtinberf.
DAS RELIGIÖSE DRAMA DES MITTELALTERS. Von Alexander Grtinberf.
3 Bändchen. Bergland-Verlag, Wien 1965. Österreich-Reihe Nr. 296/297: 52 Selten, 4 Bilder; Nr. 301—303: 100 Seiten, 12 Bilder; Nr. 309-310: 56 Seiten, 9 Bilder. Insgesamt 80 S.
Das religiöse Drama des Mittelalters hat der Literaturgeschichte immer schon Verlegenheit bereitet. Seine Bedeutung, das heißt die Grundlegung der deutschen Bühne überhaupt, ist nicht zu übersehen, die verwirrende Fülle seiner Arten, Abarten und Unarten aber verlangte eben mehr als das Abschreiben von den Vorgängern …
Hier liegt nun das Lebenswerk eines erst kürzlich zu früh Verstorbenen, Alexander Grünberg, vor, über das künftige Literarhistoriker nicht werden hinweggehen können. Den imensen Stoff, das abendländische religiöse Theater vom 9. Jahrhundert, das ist von der Gründung des Fränkischen Staates bis in die Reformationszeit, bändigt der nicht zu überhörende Nadler-Schüler mit der Annahme, diese Epoche des religiösen Theaters sei ein Auf und Ab, besser: eine Synthese antik-christlichen (südlich-romanischen) rationalistischen Formstrebens und nordisch-germanischer idealistischer Formflucht. Dem kann man im ganzen beipflichten oder nicht — die unzähligen Belege hiefür im einzelnen muß man zur Kenntnis nehmen.
Vorgängern wie Langes „Oster- feier“, aber auch eigenen Sichtungen und Schlichtungen folgend, teilt der Verfasser die Materie in a) das streng liturgische Drama der Oster- feier und Weihnachtsfeier (am Altar, lateinisch, Kleidung der Priester);
b) das semiliturgische Drama der Antichrist-, Sponsus-, Oster- und Weihnachtsspiele (im Kirchenschiff oder vor dem Portal, lateinisch und landessprachig, Darsteller noch Kleriker, aber schon in mehr weltlichem Kostüm) und c) das Passions- und Mysterienspiel (auf öffentlichem Platz, Darsteller: Laien, Sprache: die des öffentlichen Lebens, Kleidung: reich, weltlich. Technisch wird das religiöse Drama durch die antiken Bühnenelemente des mimischen Theaters unterwandert und entwik- kelt, der anfängliche Widerstand der Kirche gegen sie erlahmt, und schließlich lebt besonders das Passionsspiel (dies ist nicht mehr Gegenstand der vorliegenden Untersuchung) in der vorwiegend klerisch- bäuerlichen Obhut der Laienspiele unserer Tage fort.
Das zu den einzelnen Gruppen gesteuerte Material ist überreich, zum
Teil handschriftlich neu überprüft und kritisch beurteilt.
Grimberg kennt beispielsweise im liturgischen Drama drei Gruppen von 240 erhaltenen Osterfeiern, gipfelnd in der „Feier Eichstädt I“, und will im Magierspiel der späteren dramatischen Szenen der Weihnachtsfeier sehr naheliegende aktuellpolitische Anspielungen (Investiturstreit, Kreuzzüge!) und nordisch-mythische Einschmelzungen (die drei Nornen — die Heiligen Drei Könige) sehen.
Die Gruppe des semiliturgischen Dramas verkörpern drei Antichrist- und Jungfrauenspiele; aus der Liturgie, das heißt der „Feier“ heraus sind ferner die Osterspiele und Weihnachtsspiele gewachsen, erweitert durch Szenen, in denen der unsterbliche Mimus sein derblustiges Narrenspiel treibt.
Die dritte Gruppe, die Passionen, haben zur Grundlage die Marienkla- gen, Magdalenen- und Emausspiel und die hessische „Erlösung“. Den Anfang macht im 13. Jahrhundert Benediktbeuren. Im 14. Jahrhundert folgen Wien, Maestricht und St. Gallen, im 15. und 16. Jahrhundert Sebastian Wild, die Tirolergruppe und die Grundtexte für Erl und Höritz; die erste Oberammergauer Fassung ist erst 1662 nachweisbar. Die Dimensionen dieser Spiele sind gewaltig. Sie dauern bis zu vier Tagen, bieten hunderte Darsteller (und Tiere!) auf und sind damit ein sinnfälliger Ausdruck des Zeitdenkens und der Weltauffassung von damals, die ganz im Banne einer makrokosmischen Lebensauffassung (Welt im Spiel!) steht. Eine gewisse Veräußerlichung und Verweltlichung ist unverkennbar.
Damit schließt der Verfasser seine weitausholenden Nachweise und Betrachtungen — eine ausgezeichnete Materialsammlung mit einem scharf profilierten Weltbild. Beide werden nachwirken. Dr.
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