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Der Mangel an Liebe
AMORE. Von Dlno B u 11 a 11. Hans-Deutsch-Verlag, Wien, 1964. 330 Seiten. Preis 138 S.
Der Titel dieser Übersetzung ist derselbe wie im italienischen Original, und das ist gut. In diesem Fall geht es nämlich nicht um den billigen Snob-Appeal willkürlich, gebrauchter Fremdwörter, sondern um eine kompetente Kürzforrri,' den Inhalt eines Buches auszudrücken, vielleicht sogar zu versinnbildlichen. Mit der simplen deutschen Bezeichnung „.Liebe“ wäre hier viel verloren, das heißt, es käme zu einer verfälschten Aussage durch den Titel.
Warum fällt es uns modernen Menschen so schwer, das Wort Liebe auszusprechen? Weil wir mit dem, was es in sich schließt, fast oder gar nichts anfangen können. Erhabenheit ist uns fremd, wir sträuben uns gegen Hehres und Romantisches, alles verwoben in diesen fünf Buchstaben, die für die eher positiven Bereiche unserer Empfindungswelt stehen. Liebe, das ist Substanz, Schönheit, Größe, Traurigkeit und Schmerz, daher in diesem Fall für „Amore“ eine unzureichende Ubersetzung. Denn dieses Wort erfaßt auch jene Grenzbezirke menschlichen Fühlens und Handelns, die vom Abwegigen bis zur Verdammnis reichen und ihre Wurzeln in unserer nackten, irrlichternden Existenz haben. Amore kann ebenso Wahnsinn wie Glücksrausch bedeuten, Hingabe, Selbstzerstörung, den Taumel und den Sturz, bis all das, worin sich ein Mensch verstricken kann, ausgeschöpft und abgelitten ist.
Amore: Ein Mann mittleren Alters, erfolgreich, rast- und liebelos. Er verfällt dem mehr als suspekten Reiz eines durchtriebenen Flittchens. Gezeichnet von der totalen Unfähigkeit, zu lieben oder Liebe zu erwecken, muß er den Weg der Selbstverleugnung gehen, um überhaupt zu überleben. Die zersetzende Leidenschaft, in die er sich in maso-chistischer Verzweiflung tiefer und tiefer hineinfallen läßt, die er mit dem kalten Wahn eines Selbstmörders weiterjagt, ist seine Bindung an das Dasein. Dieser Antonio fühlt sich nur mehr in Zerrissenheit bestätigt, sein Halt ist das totale Ausgeliefertsein an Laide, die ihn belügt, betrügt, erniedrigt und damit unbewußt am Leben erhält. Schließlich ist seine Existenz nur noch ein einziger bettelnder, flehender Schrei: zertreten und ausgelöscht zu werden als Individuum, das aus sich selbst heraus lebensunfähig ist. Laide ist ein ideales Werkzeug, sie ist sozusagen der Dolch, den Antonio in rasendem Tempo in sich rotieren läßt. — Das Ende ist ein In-sich-Zusammenfallen der beiden Menschen nach durch-messenem Inferno, eine Auflösung der Persönlichkeiten innerhalb der Grenzen, die für die meisten zum Leben, für einzelne jedoch zum Untergang gezogen sind. Normalität kann tödlich sein.
Brillant geschrieben und mit psychologischem Raffinement bis ins klinische Detail vorstoßend, vermittelt dieses Buch Einblick in Sphären, die, Kreuzungspunkt, menschlicher Extremsituationen sind. Bei aller Bewunderung, die unser Intellekt für derlei Meisterschaft hat, fehlt doch der Beifall des Gefühls, um den Akkord der Zustimmung voll zu machen. Wann endlich, so fragt man immer wieder, wird eine intakte menschliche Beziehung an Stelle von Krankhaftem Gegenstand eines außergewöhnlichen Buches sein? Titel Vorschlag: „Liebe“.
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