6701728-1963_33_12.jpg
Digital In Arbeit

Dichter erzählen

Werbung
Werbung
Werbung

STERNENSTAND. Novellen von Werner Bergengruen, 232 Seiten, Preis -13,89 sEr,,,- DIE SCHWESTERN AUS DEM MOHRENLAND. Erzählung von Wer- ner Bergengrue n. 160 Seiten. Preis 9.80 sFr. — DIE BARMHERZIGEN PFERDE. Erzählung von Lutz Besch. 56 Seiten. Alle drei im Verlag der Arche, Zürich. — DIE GABE UND DER AUFTRAG. Geschichten und Gedichte von Albrecht Goes. Union-Verlag, Berlin. 194 Seiten. — DER MENSCH AN DER WAND. Erzählungen von Josef Martin Bauer. Franz-Ehrenwirth-Verläg, München. 252 Seiten. Preis 14.80 DM.

Erzählenkönnen ist eine Gabe, die den Menschen unserer Zeit immer seltener zuteil wird. Vielleicht liegt es daran, daß wir auch nicht mehr richtig zuhören können. Wir haben zuviel anhören müssen, dessen Kenntnis sich nicht lohnt. Man müßte trotz böser Erfahrungen wieder Vertrauen haben.

Wer verdiente es denn sonst als die Dichter?

Es kommt auf die Perspektive an, aus der man die Welt sieht. Für Werner Bergen- gruen ist diese Welt heil, weil er die Gnade hatte, einen Standort wählen zu können, von dem aus die Abgründe keine Furcht einflößen. Fabel und Parabel kommen oft aus der ferneren, verklärten Vergangenheit — dem goldübersonnten alten Italien etwa, in dem sich die klassischen Konflikte an klassischen Charakteren ereignen. Es erinnert an die heitere Welt Boccaccios, was da in den nun in vierter Auflage vorliegenden Novellen unter dem Sammeltitel „Sternenstand” erzählt wird. Nur ist es weniger frivol und der Belehrung um einiges näher denn der bloß gehobenen Unterhaltung. Dem Leser ist es schwerelose Freude. Die Tiefe auszuloten, wäre man gehalten, vieles zweimal zu lesen, um von der gepflegten Sprache nicht über innere Bedeutung hinweggetragen zu werden.

Bergengruen selbst spricht in Kapitel 16 seiner Erzählung „Die Schwestern aus dem Mohrenland” diese Befürchtung indirekt aus. Es ist da eben zweierlei Lesart möglich. Viele „alte Herren” werden sich an der Erzählung, die so fein gewebt ist, köstlich amüsieren und in ihre Studentenzeit vor dem ersten Weltkrieg zurückversetzt fühlen, während die Grübler der schweigsamen Generation die Lektüre öfter mit der Frage unterbrechen, ob solche Studentenstreiche nicht Tieferes zu offenbaren hätten. Sie haben es. Der gute Erzähler hat stets zwei Ebenen, und es obliegt dem Leser, die ganze Simultanbühne im Auge zu behalten.

Wortreicher und in einem von den Beilagenspalten der Zeitungen bevorzugten Sinn romantischer erzählt Lutz Besch. Freilich gewinnt das Pferd in der technisierten Welt an Symbolkraft, und Natur als Trost und Lösung ist ein echtes Bedürfnis. Ob jene Heimkehr zur Scholle aber nicht auch ein falsches Wunschbild ist, der „Busen” der Natur nur Aufreizung zu einer Erfüllung, die es gar nicht in dieser Form gibt? Die Tragödie Ernst Wiecherts lag darin und jegliches Scheitern des literarischen Sozialtourismus in Berg und Wald ist darin schon beschlossen.

Auch bei Albrecht Goes liegen solche Gefahren. Doch mündet ihm Natur stets in Übematur. Er ist ein gütiger Erzähler, dem „Heimat” ein Begriff in des Wortes umfassender Bedeutung ist. Sein Buch enthält Erzählungen und Skizzen ohne literarische Raffinesse, dazwischen Gedichte, die in ihrer Schlichtheit ergreifen. Man begreift an Albrecht Goes am ehesten, worin die eingangs angedeutete Schwierigkeit des Erzählens und Zuhörens liegt. Das Herz ist offiziell abgeschafft, und nur wenige haben den Mut, sich dazu zu bekennen, ohne sentimental zu werden. Es ist nicht erste Aufgabe der Kunst, Trost zu spenden, aber sie kann sich trotzdem nur überzeugend legitimieren, wenn sie ihn spenden kann. Wer des Trostes bedarf — und wer bedürfte seiner zuzeiten nicht? —, lese Albrecht Goes und lasse die Herzverächter lachen!

Dem Gewebe der Phantasie stellt Josef Martin Bauer sein breites Mauerwerk schwerblütiger Realistik gegenüber. Die Art dieses Autors hat wirklich etwas Barockes an sich. Er bevorzugt das Handfeste nach bayrischer Art, alles ist gradlinig und bei aller Verschränkung unkompliziert. Die Probleme, die sich Menschen und Dichter oft selbst bereiten, lehnt er als „Spintisie- rerei” ab; ‘Mo’tfrä bieten Hdlzknechi üiid Waschfrau genug und ein Schurke ist-und bleibt ein Schurke. Zugegebenermaßen ist diese herbe Note nicht jedermanns Sache. Aber es wäre ungerecht, Bauer in den Blut- und-Boden-Mythos einzuordnen. Er macht keinen Mythos aus der Natur. Holz ist Holz und Schnaps ist Schnaps. Und Liebe ist Liebe. Ja, worüber schreibt der Mann denn dann Seite um Seite und woher kommt die für seine Werke bekannte exorbitante Breite?

Er ist eben ein Erzähler, der nichts vergißt. Er weiß, daß nichts so faszinierend ist wie die Wirklichkeit und daß das Leben Stoff für Ewigkeiten bietet. Wie man’s bringt — das ist die Kunst!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung