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Digital In Arbeit

Ein Film von der Nachkriegsjugend

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Die Systematik ist ein Grundzug des deutschen Wesens. Sie wirkt, bisweilen wütet sie in allen „vier Zonen“ des Lebens, organisierend in der Gemeinschaft, metho- disierend bei der Arbeit, rationierend im Genießen und schematisierend in der Kultur.

Der erste Blut-Boden-Film hatte ein jahrzehntelanges Gefolge. Er wurde 'System in der Nichtsystemzeit. Ihm folgte nach 1945 der Trümmerfilm, Kind anderer Elterri, aber Schüler der gleichen Ecole. Der erste, „Die Mörder sind unter uns", war ein grbSer oi & 5ä AÄlißL&h heißen Debatten, bei uns fand er achtungsvolle Aufnahme und tiefbewegte Anteilnahme. Audi der zweite Streich, „Razzia", war durch seine anständige Gesinnung und routinierte Spieltedinik noch warmer Sympathie sicher. Doch der dr.ttc folgt sogleich. Man mödite auch ihm, dem neuen Film „Irgendwo in Berli n", aus dem gleichen Grunde zugėneigt sein, doch kühlt die Glätte der nunmehr ausgewachsenen Schablone empfindlich die Flamme des Herzens. — Irgendwo in Berlin. Einer der vielen Straßenzügen, an deren Ruinenfassaden noch oben Türen kleben. Manchmal wohnen auch noch Menschen dahinter. Auf den Schutthaufen spielen verwahrloste Kinder, Berlins Besprisornys, mit Feuerwerkskörpern Krieg: In Linie angetreten. Stoßtrupp. Bunker knacken. Es liegt ihnen in den Knochen. Daheim steht ja auch noch unter den paar armseligen geretteten Habseligkeiten der Miniaturpanzer, der ewige Zinnsoldat, das deutsche Spielzeug der letzten Jahrhunderte. Doch sind diese Ruinen auch Schnittpunkte anderer Begegnungen (Polizei und Unterwelt) und Schicksale (Heimkehr, Unfall, Tod) Man sieht, ohne Zweifel ein trächtiges Thema. Besonders das Problem der Nachkriegsjugend, das freilich hier nur flüchtig gestreift wird und mit dem verbindlichen Vorhalt der Arbeit (für 8- bis lOjäbrige!) kaum an der Wurzel gepackt, geschweige denn zu lösen versucht wird, wäre in schärferen Konturen ein dankenswertes Unternehmen. Hier bleibt es bei aller Sauberkeit zu blutleer. In Erinnerung haften ein paar große Szenen, der zerfetzte Schuh des Heimkehrers, der verwirrte Geist eines ewigen Soldaten, die müde Frage eines sterbenden Buben: „Warum?“ Vielleicht nimmt dem Film das geradezu rasende Untalent der Bubendarsteller viel von seiner Wirkung. Vielleicht ist es aber auch, daß wir seit der Berliner Aufführung des Films schon ein gutes Jahr älter geworden sind.

„Captain Boykot r", ein englischer Film, erzählt die Geschichte des blutsauge- rischen Gutspächters Charles Boykott, den die Irische Landliga 188C durch gewalt-

losen Widerstand — eben durch Boykott, wie man es seitdem nennt — zur Auswanderung zwang. Ein zeitlos gültiges Thema, ein anständiger, eindrucksvoller Film.

Der französische Film „Abenteuer im Fernen Osten“ stammt aus der

Zeitįf da es das „Wiener Journal“ noch gab (eine Schlagzeile davon taucht im Film auf). Auch der große Menschendarsteller Conrad Veidt war noch am Leben. Doch rennt dejr Film auch heute noch nicht offene Türen ein, wenn er das blutig . Abenteuerliche jedweder Diktatur — hier Glück und Ende eines kleinen Führers im großen Asien — anprangert. Wenn zudem gescheite Worte fallen, wie das von den Kolonisatoren, die immer mehr geben als nehmen müßten, ist ihm Aktualität vermutlich auch noch für den Rest unseres Jahrhunderts sicher.

Auf die Hebrideninsel Skye, auf der.nach starrem Urväterrecht ein frommes und zugleich hartes Fischervolk lebt, führt der englische Film „D i e Briide r“. Der Film, der vom Kampf zweier Brüder um eine Frau erzählt, hat Stimmung, Atmosphäre, ohne Zweifel. In der anderen Waagschale liegt die breite Ausmalung der Rieht- und Mord- szenen. Das Opfer der Stammesjustiz zum Beispiel schwimmt, einen Fisch auf den Kopf gebunden, im Meer und muß zuwarten, bis die gierigen Vögel im Sturzflug auf-die Beute seinen Schädel spalten. Es ist dies der perfekteste der in den letzten Monaten gezeigten Filmmorde. Den Möven am Donaukanal wird in der nächsten Zeit besondere Aufmerksamkeit zu schenken sein. .

Ein ausgezeichnetes Spannungsmoment bringt der russische Marinefilm „D a s vierte P e r i s k o p“. Bei einem Manöver — wohl im Frübsomrtier 1941 — greifen Frieden und Krieg so ineinander, daß’die Grenzen zwischen Übung und' Ernstfall kaum mehr zu erkennen sind. Der im ganzen effektvoll gedrehte Film ist nicht ganz frei vön Denkfehlern. So entbehrt zum Beispiel der Befehl des russischen Torpedobootkommandanten, auf die getarnte Naziyacht das Feuer zu eröffnen, dabei aber gleichzeitig das dort gefangene russische Zernierungskommando Zu schonen (!), sichtlich der militärisch-taktischen Logik. Es entbehrt in gewissem Sinne auch der Logik, daß aus der Berliner Sowjetzöne (siehe oben) mit großem Aufwand gedrehte Gegenkriegspropagandafil-ne und gleichzeitig aus Rußland selbst auffallend häufig militärische Filme zu uns kommen.

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