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Fröhlich in die Katastrophe?

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Wer nicht glauben will, daß in den USA derzeit Bereitschaft zur Verschwendung und ökologische Ignoranz „in” sind, sollte das Buch „Alle Sorgen dieser Welt” von J. P. O'Rourke lesen. Es wird ihm das Grausen kommen.

Warum sollen wir uns über die Zunahme der Weltbevölkerung, Hungerkatastrophen, die Vergiftung der Natur, über Armut, Seuchen und Rassenhaß Sorgen machen? Warum lassen wir uns von Wanderpredigern und Weltuntergangspropheten, ob sie GLORAL 2000, Hoimar von Ditfurth, Club of Rome, Greenpeace oder Konrad Lorenz heißen, unser schönes, lustiges Leben vergällen, statt unser Bier zu trinken und Golf zu spielen oder mit der Freundin einen Erlebnisurlaub zu genießen? Sind jene, die uns ständig sagen, daß mit unserem Planeten etwas schiefläuft, nicht Miesmacher, die keine Ahnung haben? Oder, schlimmer: Wissen sie nicht etwa selbst, daß alles in Ordnung ist, und handeln wie Wahrsager, die eine Katastrophe vorhersagen, um für deren Abwehr Spenden verlangen zu können?

J. P. O'Rourke, der als „politischer Humorist” vorgestellt wird, bejaht alle diese Fragen. Liest man ihn genauer, erweist sich sein Buch als Cocktail aus Verantwortungslosigkeit, Unwissenheit und jener Art von dümmlichem Gewitzel, das Kapital aus den Vorurteilen und der Unwissenheit des Publikums schlägt.

Was hat er beispielsweise zur Umweltzerstörung zu sagen? Dazu fällt ihm eine Beise mit amerikanischen Öko-Touristen ein, die in den lateinamerikanischen Begenwald führte. Dort fiel ihm auf, daß die Luftfeuchtigkeit relativ hoch ist, es in der Nacht kaum abkühlt und daß die Pflanzen uninteressant sind - den Gummibaum und den Philodendron kennt er von zuhause —, daß man manchmal schwindelfrei sein muß, und besonders fiel ihm auf, daß die Natur eigentlich sehr grausam ist, weil Larven der Erntemilbe sich in seinen Beinen festsetzten und schrecklichen Juckreiz erzeugten. Über die Natur hat er außerdem noch in Erfahrung gebracht, daß sie „nicht eigentlich gesund ist”, denn wenn man tote Tiere inspiziere, stelle man fest, daß sie von Läusen, Flöhen, Zecken und anderem Ungeziefer befallen seien. Am meisten stören ihn die „Öko-Freaks”, die ständig davon reden, daß der Regenwald in Gefahr sei, und, meint er, eine säuerliche Naturromantik anbeten.

Es ist schon richtig, daß es eine falsch verstandene Naturromantik nicht erst seit Rousseau gibt, auch, daß es von der „natürlichen Kraft der Auslese” und ähnlichem Unsinn nicht weit ist zu den Konzentrationslagern, und ebenso, daß in der sogenannten New-Age-Welle mehr geschwätzt als gedacht wird. Aber das ist nur die eine Seite. Die andere Seite besteht nämlich in der Einsicht, daß nicht jeder, der auf die Gefahr hinweist, daß wir die Erde allmählich für Menschen unbewohnbar machen, ein „Knallkopf” ist, wie O'Rourke sich ausdrückt. Dabei erübrigt sich, auf seine Sichtweise näher einzugehen, denn die sogenannten Argumente, die er verwendet, sprechen für sich. Wenn eine Studie zeigt, daß etwa 75 Prozent unseres Wasserverbrauches im Badezimmer stattfinden, fällt ihm dazu ein: „Dem Himmel sei Dank. Stellen Sie sich doch nur vor, was für eine Schweinerei es gäbe, wenn es im Wohnzimmer verbraucht würde.” Über diese Art Humor werden jene nicht besonders lachen, die chemisch gereinigtes Wasser teuer kaufen müssen. Aber O'Rourke trinkt ohnehin lieber Bier.

Zum Problem der Kernkraftwerke weist er darauf hin, daß zwar unmittelbar nach dem Unfall in Tschernobyl 32 Menschen starben, aber jährlich 65 Bergleute in den USA sterben und 45.000 Amerikaner im Straßenverkehr ums Leben kommen. Diesem „Argument” könnte man anfügen, daß auch Mordopfer, Radfahrer und Flugzeugpassagiere sterben - aber was ändert dies daran, daß rund um Tschernobyl die Erde zehntausende Jahre lang verseucht sein wird?

Nach hundert Jahren Stromversorgung der USA mit Atomkraft ergebe sich strahlender Abfall in der Gesamtgröße eines alten New Yorker Backsteinhauses. Dazu der Autor: „Ich kann mir eine Reihe von New Yorker Stadtvierteln vorstellen, in denen drei Morgen mit Atommüll Spaziergänge sicherer machen würden, und zudem würde die Gegend besser erleuchtet”. Die an Leukämie Erkrankten werden sich darüber nicht sonderlich amüsieren.

In ähnlicher Weise wird über das Zusammenleben verschiedener Kulturen gesprochen, über Seuchen, über Umweltzerstörung („Auf lange Sicht sind wir alle tot” - also wozu die Aufregung?), über ökonomische Gerechtigkeit und über das Wachstum der Weltbevölkerung. Jeder Mensch, der über den Rand seines Golfplatzes hinaussehen und denken kann, weiß, daß der Zustand der Erde in energetischer, ökologischer, aber auch kultureller Hinsicht bei Fortführung unserer gegenwärtigen Politik sehr bald in eine Katastrophe nicht mehr reparierbaren Ausmaßes umkippen wird. Wir wissen nicht, ob wir den „point of no return” schon erreicht haben - die Erde stirbt langsam, und wenn wir auch nicht „die Natur” ausrotten, der Mensch hat, wenn er so weitermacht, gute Chancen, zu den aussterbenden Arten zu gehören. Das kann einem natürlich gleichgültig sein, man kann auch in der Pestgrube singen.

Jeden Warner einen Knallkopf nennen kann nur, wer selber ein gewaltiger Knallkopf ist. Oder ein Mitläufer und Opportunist, der verblendeten Mitmenschen nach dem Mund redet. Der Autor dürfte von letzterer Sorte sein. Durch sein Buch zieht sich als roter Faden die Verhöhnung des Vizepräsidenten AI Gore und seines vernünftigen ökologischen Buches. Das Ausmaß, in dem sich die Clinton-Gegnerschaft derzeit mit rassistischen, antiökologischen und wahnwitzigen irrationalen Strömungen paart, ist Anlaß zur Sorge - nicht nur um die USA.

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