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Heimat und Fremde

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BENEIDET DIE FURCHTSAMEN. Roman von Yael D a y a n. Aus dem Englischen. Kindler-Verlag, München. 316 Seiten. Preis 16.80 DM. — EINE REISE. Erzählung von H. G. Adler. Verlag bibliotheca christiana, Bonn. 304 Seiten. Preis 18.50 DM.

Das Entstehen einer neuen Nation im jüdischen Staate gibt der Literatur unserer Zeit manchen Inhalt und Auftrieb. Diesmal, in dem Buche „Beneidet die Furchtsamen“, setzt sich eine Frau, Yael Dayan, mit grundsätzlichen Fragen dieses Phänomens auseinander, mit dem Seelischen vor allem, das aus dem erstaunlichen Werden eines uralten, jungen Volkes erwächst. Die Handlung des Romans führt zu gewissen Höhepunkten; aber sie sind nur vereinzelte Merkzeichen auf dem seelischen Wege, den die Dichterin von seinem Anfang bis zu der klar herausgestellten Nutzanwendung verfolgt. Irvi, ein russischer Jude, ist nach Palästina, das inzwischen zum freien Staate Israel wird, ausgewandert, aus der alten, unerträglich gewordenen Heimat in eine fremde neue Heimat. Er lebt mit seiner Familie in einem eben erst geschaffenen Dorfe. Sein Sohn Nimrod, schon in der neuen Heimat geboren, soll zu einem furchtlosen Manne heranwachsen. „Wir sind“, sagt Irvi, „ein neuer Typ, wir sind Felsen.“ In den Kämpfen gegen die Arsber hat die Jugend ihren Mut zu erweisen. Ein Freund Nimrods kehrt als verstümmelter Krüppel aus dem Kriege heim und hinterläßt mit seinem Selbstmord dem jungen Menschen ein schriftliches Vermächtnis, worin es heißt: „IcfiwVfB,- daß ich das Gute in Dir abgetötet habe — die Furcht.“ Nimrod, mit einer ungarischen Jüdin vermählt, erlebt selbst Furcht und Angst, als sein Kind in Lebensgefahr schwebt. Jetzt erfüllt ihn eine ganz neue, ungekannte Wärme, die in ihm alle Tiefen aufwühlt wie nichts zuvor. Aus der Wandlung vom kalten „Felsen“ zum wahren Menschen erwachsen Sinn und Bedeutung des bemerkenswerten Buches. Von außerordentlichem Werte erscheint uns auch die Darstellung der Gegensätze zwischen dem armseligen

Dorfe und der Stadt Tel Aviv, einem verwirrend lebhaften Spiegelbild hohler westlicher Zivilisation. Das in' vollem Sinne Zeitgemäße dieses Buches geht leider an einer Stelle über das rechte Maß hinaus, dort wo die Verfasserin mit einem Zugeständnis an eine Unsitte der Literatur von heute die Grenzen des guten Geschmacks verläßt.

Denselben Problemen, die Yael Dayan anfaßt und auf ihre Art zu lösen versteht, widmet H. G. Adler seine große Erzählung „Die Reise“ — nur daß er sich mit anderen Mitteln den aufwühlenden Fragen zuwendet. Diesen Gegensatz zwischen zwei geistig verwandten Autoren zu beobachten, ist ungemein reizvoll. Wenn das Schlagwort vom Surrealismus Geltung haben soll, so kommt es bei Adler zu seinem Rechte. Die wie ein Alptraum anmutende, zuweilen ins Groteske gesteigerte Formgebung verbindet sich mit dem Zerrbild einer steinharten Wirklichkeit. Es geht hier um die Familie eines alten Arztes, die aus ihrer angestammten Heimat auf eine Reise ins Nichts geschickt wird. Sie alle sind nur mehr Gespenster. Einer der Antreiber erklärt in mörderischer Verhöhnung seines Auftrages: ,.lch erlaube Sie ja, aber man erlaubt mir nicht, Sie zu erlauben!“ Auf Grun d einer “Verordnung del^MlffiSJetiums wird dem Arzte die Ausübung seiner Praxis „gegen Entgelt wie auch unentgeltlich“ untersagt. Den Soldaten bedeutet die Landkarte mit den eingezeichneten Stellungen der Feinde das, was sie Heimat nennen. Nirgends fällt in dem erschütternden Buche ein Wort, das sich auf einen politischen oder rassischen Standpunkt festlegen würde. Das Ganze ist die realistische Vision einer erzwungenen Reise der namenlos Gewordenen.

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