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Hirngespinst oder Gnade?

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Aus einer religionspsychologischen Untersuchung von Theophil Thun, Professor an der Pädagogischen Hochschule Paderborn, mit dem Titel „Die religiöse Entscheidung der Jugend“ (Ernst-Klett-Verlag, Stuttgart) folgen nachstehend einige Auszüge aus dem ersten Kapitel. Im Anschluß an sein Buch „Die Religion des Kindes“, das vor vier Jahren im gleichen Verlag erschienen ist, verfaßte Thun diese Dokumentation der religiösen Einstellung der Jugend. Er besuchte innerhalb ‘ eines halben Jahres mehrmals in regelmäßigen Abständen 17 verschiedene Schulklassen in drei Städten: die letzte Klasse der Volksschule, die letzten Klassen an höheren Schulen und sechs s Berufsschulklassen.

Nach einleitenden Kontaktgesprä- j chen, bei denen Thun pädagogisches 1 und seelsorgerliches Einfühlungsvermögen zugute kam, spürten seine jungen Partner schnell, daß ihnen ein Mensch gegenüberstand, der sie ernst nahm und ihren Wunsch, von den Erwachsenen gerecht beurteilt zu werden, | nicht nur respektierte, sondern unter- \ stützen wollte. Thun verheimlichte seine Publikationsabsicht nicht, legte | die Fragen offen dar, die freiwillig mit j kurzen Niederschriften beantwortet I wurden. Er sammelte von 357 Jugend- I liehen — Jungen, Mädchen, katho- g lischen und evangelischen, im Alter von 14 bis 25 Jahren — im Laufe der Zeit 6000 Äußerungen zu den Themen: Gottglauben und Glaubenszweifel — Das Wirken Gottes im eigenen Le- | ben, im Leben der Völker, in der Natur und im Kosmos — Die Bedeu- | tung von Jesus Christus — Gebet — 1 Kirche — Verkündigung von Himmel | und Hölle, Engel und Teufel, Erschaf- | fung der Welt — Das Gewissen — Der | Tod und das Leben nach dem Tode, k

Das Gesamtresultat spiegelt die 1 weitgehende Demokratisierung des 1 religiösen Lebens, seine Verweltlichung 1 und Unverbindlichkeit. Die traditio- | nellen Institutionen haben an Wirk- 1 kräft Verl oteli:;1 die Entscheidung fällrj dem einzelnen- zp, der sich emeT’Mehr- zahl von de-facto-Nichtchristen oder religiös Indifferenten konfrontiert sieht. Das bedeutet eine enorme Über- ( forderung der jungen Seelen, die sich , noch nicht der Verantwortung für die Zukunft bewußt sein können und auch nur selten stark genug sind, um eine isolierte Entscheidung inmitten der tiefen religiösen Zerrissenheit der Um- 1 weit zu treffen.

Thun glaubt, trotz der differenzier- ten Reaktionen der Jugendlichen — differenziert nach Konfession, Alter, . Bildung, Familie — feststellen zu können, daß gerade in der Krise der zivilisierten Welt und angesichts der allgemeinen Unsicherheit und Gefährdung eine religiöse Elite sich zu bilden scheint — gegen die Macht des Unglaubens. So tröstlich eine solche Hoffnung sein mag, sie sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß die vorliegende Dokumentation im Grunde nur ein weithallendes Echo der religiösen Unentschiedenheit der Erwachsenen wiedergibt. In diesem Sinne legt Thuns Buch von der Entscheidung der Jugend zugleich Rechenschaft über das Verhalten der älteren Generation ab.

Sie erhält keine „befriedigende" Zensur — im Gegenteil: das Buch ist ein aufrüttelnder Appell.

Mädchen, katholische Volksschule, 14—15 Jahre:

„Ich spüre es innerlich, daß es einen

Gott gibt, vielleicht durch das Gewissen. Es ist wie eine innere Stimme.“ Knabe, evangelisch, 14—15 Jahre: „Viele Menschen glauben nicht an Gott. Sie wollen diesen Gott einfach nicht sehen. Sie sagen: wenn ich ihn gesehen habe, dann glaube ich auch daran. Wir Menschen stellen uns Gott wie einen Menschen vor, aber in Wirklichkeit ist er es nicht. Manchmal kommen mir auch Zweifel auf. Manchmal denke ich, er solle sich doch zeigen, damit alle Menschen an ihn glauben. Dann würde auch das Böse nicht mehr auf der Erde sein.“

Mädchen, katholisch, 15—16 Jahre: „... Meistens sind es ganz einfache Leute, die richtig glauben oder aber sie sind höchst gebildet und glauben auf Grund ihres Wissens. Die andern Menschen aber, die nur teilweise gebildet sind, jagen meist dem Reichtum nach, und für sie ist es zu unbequem, zu glauben, da man sich dann ja auch darnach richten und dann darnach leben muß.“

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