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Illustre Lebensbeichte

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Dem Schlußpunkt des „Musikprotokolls“, der mit dem neuaufgebauten ORF-Symphonieorchester unter Milan Horvath und dem Kölner Studio für elektronische Musik nicht etwa in Graz, in einem Konzertsaal, sondern in einer Werkshalle im oststeirischen Gleisdorf gesetzt wurde — diesem Finale folgte einen Tag später im Grazer Opernhaus die österreichische Erstaufführung des Krenek -Werkes „Karl V.“ nach und damit das Ende eines dem Komponisten gewidmeten Teil-Festivals (oder Festivalteiles), Kreneks Standort im Jahr 1933, als er den fünften Karl vollendete, fixierend, und zwar in einem typologischen Ausmaß, das, unabhängig von der Einschätzung des Werkes, Respekt gebietet und Erschütterung nicht ausschließt.

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Dem Schlußpunkt des „Musikprotokolls“, der mit dem neuaufgebauten ORF-Symphonieorchester unter Milan Horvath und dem Kölner Studio für elektronische Musik nicht etwa in Graz, in einem Konzertsaal, sondern in einer Werkshalle im oststeirischen Gleisdorf gesetzt wurde — diesem Finale folgte einen Tag später im Grazer Opernhaus die österreichische Erstaufführung des Krenek -Werkes „Karl V.“ nach und damit das Ende eines dem Komponisten gewidmeten Teil-Festivals (oder Festivalteiles), Kreneks Standort im Jahr 1933, als er den fünften Karl vollendete, fixierend, und zwar in einem typologischen Ausmaß, das, unabhängig von der Einschätzung des Werkes, Respekt gebietet und Erschütterung nicht ausschließt.

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Die Geschichte mit der Geschichte ist bekannt: Die Wiener Staatsoper, die dies „Bühnenwerk mit Musik“ 1934 uraufführen wollte, ließ erst einmal aus Angst vor politischen Kollisionen mit dem bereits im Gleichschritt marschierenden Deutschen Reich das Projekt in fortgeschrittenem Probenstadium fallen und griff es später nie mehr wieder auf. Der Verdacht, die kulturpolitisch heikle Konstellation sei damals vielen hochwillkommen erschienen, läßt sich nicht nach-, aber auch nicht von der Hand weisen.

Das Erbe, das ängstlich liegengelassene, wurde auch nach 1945, nachdem Prag noch 1938 die Uraufführung riskiert hatte, nicht angefaßt. Des Komponisten zögerndes Temperament, seine Skepsis gegenüber neuen Techniken des Komponierens — sie widerfuhr hier seinem eigenen Werk. Nicht Wien, sondern München brachte die erste Aufführung nach dem Krieg zustande, und nach der Östefreichpremiere des Werkes in Graz hat die Staatsoper Wieder einmal eine Sorge los — sofern diese für sie überhaupt existierte.

Nicht gerechtfertigt, aber nicht so ganz unverständlich erscheint das Zögern von Operndirektoren, nach diesem schwer einzuordnenden Werk zu greifen. Den Begriff Oper hat der kluge Komponist wohlweislich ausgeklammert, doch kommt man auch beim Sprechstück (das es auf weite Strecken ist) oder beim „szenischen Oratorium“ in die Fänge begrifflicher und stilistischer Verwirrung. Mit dem Allheilmittel der Rückblende ausgestattet, die dem Hörspiel legitim war und vom Film korrekt übernommen werden konnte, ist diese Lebensbeichte eines dem Tode nahen Kaisers doch sehr der epischen Technik ausgeliefert — mögen die einzelnen Stationen des Erinnems, des Rechtfertigungs- suchens, des Wunsches nach Bestätigung, richtig gehandelt zu haben, in Ekkehard Grüblers manieristi- schen Bühnenbildern auch eine sehr illustre Illustration erfahren.

Man bleibt kühl und hält Distanz bis auf den Augenblick, da der Kaiser zu sterben droht. Jegliches Ge spräch verstummt, jeglicher Zutritt wird verwehrt, der Vorhang fällt, das Publikum marschiert in die Pause und begreift plötzlich die Einheit von Ort und Zeit und Geschehen. Nach der Pause: Aus das Theater. Des Epos’ zweiter Teil beginnt.

Erschwerend für ein Bühnenwerk solcher Machart sind die vielen religiösen, theologischen, moralpolitischen Reflexionen; der Sprech-Sing- Fall macht zwar manches deutlich, leider aber auch den etwas spröden Tonfall von Kreneks Text. Daß es, wenn Kantilenen aufsteigen, um den Zwölftonfall geht — er hatte 1933 schon historischen Charakter — fällt kaum ins Gewicht. Ängstlich hütet sich der Komponist — Ausnahmen bestätigen die Regel —, eine Kantilene aufklingen zu lassen (wozu die Situation wiederholt einlädt) oder ein durchhörbares Ensemble zu schreiben. Auch mit dem Wort, mit dem Rezitativ, geht er erbarmungslos um, läßt es vom Instrumentarium verschlingen. Bleiben somit von dieser eher widerborstigen Partitur nach zweimaligem Anhören einige mit Verve komponierte Chorszenen, der schlichte Ton des Kaisers, die poetische klangliche Einfärbung der wenigen Frauenauftritte und das lyrisch ausgesponnene Intermezzo vor dem zweiten Akt Im Gedächtnis. Die Aufführung in der -Inszenierung des Krenek-Restaurators Hans Hartleb wirkte dicht, präzise, war gut besetzt und unter Berislav Klobucars Leitung vital und sensibel musiziert. Dem dominierenden Titelsänger Keith Engen, der seine Karriere in Graz begonnen hat, assistierten nahezu alle Solisten des Hauses in mittleren, kleinen und kleinsten Rollen. Eine große Ensembleleistung war auch aus dem Orchestergraben zu hören.

Der Komponist, mit der Aufführung sichtlich zufrieden, stellte sich immer wieder dem Beifall des Publikums. Er mag sich damit abgefunden haben, daß seine Vaterstadt Wien den Aufführungswunsch des Sohnes der alten innerösterreichischen Residenzstadt überlassen hat.

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