6668570-1960_48_16.jpg
Digital In Arbeit

Jüdische Märchen und Legenden

Werbung
Werbung
Werbung

DER BORN IUDAS. Legenden, Märchen und Erz anhingen. Gesammelt von Micha Josef bia Gorion. Übertragen von Rahel bin Gorion. Neu herausgegeben und mit einem Nachwort von Emanuel bin Gorion. Insel-Verlag, Wiesbaden 1959. 796 Seiten. Dünndruckausgabe. Preis 24 DM

Micha Josef bin Gorion gehört durch sein literarisches und editorisches Werk zu den großen Interpreten des Judentums und seiner Geschichte durch die Jahrtausende. Aufgewachsen im ostjüdischen Ghettomilieu, in dem kleinen ukrainischen Städtchen Dubowa, kam er, nach dem Besuch der Talmudhochschule in Woloshin (Litauen), 1890 nach Breslau, wo er, ebenso wie später in Berlin und Bern, unter sehr bedrängten Umständen Philosophie studierte, um sein fundiertes rabbinisches Wissen durch die abendländische Bildung zu ergänzen. Es folgten entbehrungsreiche lahre privater Studien, wissenschaftlichen Forschens und literarischer Arbeit, wieder in Breslau. 1911 siedelte bin Gorion endgültig nach Berlin über, wo er bis zu seinem Tode, 1921, lebte. In jener Zeit entstanden seine Hauptwerke.

So bedeutend bin Gorions kritische Schriften zur ludenfrage, seine Erzählungen (die an Erinnerungen aus der jüdischen Umwelt seiner Jugend anknüpfen) und seine Wiedererzählungen jüdischer Mythen und Legenden auch sind — sein schönstes und bedeutendstes Werk bleibt „Der Born Judas“. Eine unvergleichliche Sammlung altjüdischer Volksdichtungen in Märchen und Legenden, die Rahel bin Gorion, die Gattin des Herausgebers, hervorragend aus dem Hebräischen ins Deutsche übertragen hat. Schon beim ersten Erscheinen der Sammlung in den Jahren 1916 bis 1923 (ebenfalls im Insel-Verlag) wurde dem Werk Weltrang zugesprochen, man verglich es in seiner Bedeutung mit den Grimmschen Hausmärchen und „1001 Nacht“.

In den zumeist mittelalterlichen Quellen entnommenen Geschichten liegt der 3000jährige Weg des jüdischen Volkes offen vor uns; sein Glaube und seine Weisheit, Kampf und Verfolgung, Triumph. Klage und Läuterung — alles ist da in den Schicksalen der Helden und Märtyrer und der einfachen Leute aus dem Volk.

Erschütternd Emanuel bin Gorions, des Sohnes, Bemerkung im Nachwort, wie eine vom Berliner Schocken-Verlag 1934 besorgte Ausgabe „den ,Born Judas' aus einem der Weltliteratur angehörenden Buche des deutschen Sprachkreises zu einer Trostfibel einer von der beginnenden Heimsuchung betroffenen engeren Gemeinschaft werden ließ, die darin ... Weisheit, Mut und Glauben der Altvorderen wiederfand und an der geistigen Hinterlassenschaft des mittelalterlichen verfolgten Juden sich stärkte beim Anbruche eines modernen Mittelalters, grausamer und wilder als jenes erste und jede Notzeit sonst“.

Diese Notzeit ist oft bedrängend gegenwärtig, wenn wir dank der neuen Ausgabe den so lebendigen Born nun wieder rauschend hören dürfen, beglückend in seiner unerschöpflichen Fülle, aber auch beschämend und mahnend. „Ich will nicht der Stein sein, der die Quelle verriegelt“, sagt Emanuel bin Gorion am Schluß seines Nachwortes. Es ist nun an uns, zu h ö r e n. Das Buch sollte in jeder Bibliothek, vor allem auch in denen der Schulen, stehen. Es wird der Jugend wahrer als die beste historische Unterweisung sagen, wie das Judentum wirklich ist.

KIRCHENBAU. Von Reinhard Gieselmann / Werner Aebli. Verlag Girsberger, Zürich. 160 Seiten mit 150 Photos uad Plänen. Alle Legenden in deutsch und englisch. Preis 28.50 sfrs.

Mit diesem großzügig ausgestatteten Buch schuf der Verlag ein Werk von nahezu lexikalischer Verwendbarkeit, dem es erstmalig gelang, alle wesentlichen Tendenzen des Kirchenbaues seit dem Beginn der Neuzeit zu registrieren und in Wort und Bild lebendig zu machen. Bisher existierte kein Sammelband, der die grandiose Vielfalt der verwirklichten Lösungen als Anregung und Diskussionsbeispiel derart überzeugend vorzustellen wußte. Keine wesentliche Kirche der Gegenwart, deren Geist und Stil für das internationale Gespräch um das christliche Gotteshaus in Frage kommt, ist ausgelassen. So ist ein Handbuch entstanden, das zwar ausdrücklich Architekten, Geistlichen und Theologen gewidmet, jedoch ebenso dem interessierten Laien unentbehrlich ist. Läßt auch die Vergleichung der Stilelemente der neueren Perioden erkennen, wie sehr die Kirchenarchitektur vom jeweils zeitgenössischen Profanbau zehrt, von ihm abhängig ist, so ist doch anderseits das große Positivum der zahlreichen, trotz solcher Abhängigkeit entstandenen originalen und auf ihre Weise epochebildenden Kirchenbauten nicht zu übersehen, die ihrerseits auf die Profanarchitektur zurückwirken. Ob wir die sehr lebendigen Gestaltungen amerikanischer Universitätskapellen betrachten, Oscar Niemeyer auf der Suche nach einer dialogischen Raumsprache begleiten (Kirche San Francesco in Pampulha, Brasilien), in der von Erik Brygg-man erbauten Friedhofskapelle, die bei Turku in Finnland liegt, einen durch schräggestellte Bankreihen aktivierten Raum, der auch die Bäume und Sträucher des Friedhofs durch eine Glaswand einbezieht, erleben oder bekannteren Bauten wie jenen der Basler Thomaskirche oder Ronchamp begegnen: Es sieht darnach aus, als sei heute im Kirchenbau nahezu alles möglich, was noch vor Jahrzehnten zu erbitterten Kämpfen geführt hätte. Die klugen Texte der Verfasser zeigen indessen, daß die Verschiedenartigkeit der Möglichkeit kein Chaos darstellt, sondern Gesetzmäßigkeiten folgt, denen früher oder später neue große Stilrichtungen entspringen können.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung