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Koexistenz in Gottesfurcht und Wahrheit!

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„Ecce ego declinabo super eam quasi fluvium pacis: Siehe, ich leite das Heil ihr zu wie einen Strom“ (Is. 66, 12). Diese Verheißung, vorherverkündet in Isaias' messianischer Weissagung und geheimnisvoll erfüllt vom menschgewordenen Wort Gottes im neuen Jerusalem, der Kirche, möge — das ist Unser Wunsch, geliebte Söhne und Töchter des katholischen Erdkreises — noch einmal über die ganze Men-schenfamilie hin erschallen, als Segensgruß Unseres Herzens am heutigen Heiligen Abend.

Ein Ström des Friedens in die Welt! Dies ist die Sehnsucht, die Wir zulängst in Unserem Inneren gehegt, für die Wir am inbrünstigsten gebetet und Uns eingesetzt haben seit dem Tag, an dem es der göttlichen Güte gefiel, Unserer bescheidenen Person das hohe Amt, vor dem man erzittern kann, des gemeinsamen Vaters der Völker aufzuerlegen, das Amt des Stellvertreters gerade dessen, dem die Völker als Erbe zukommen! (Ps. 2, S).

Wenn Wir in einer Gesamtschau die verflossenen Jahre Unseres Pontifikats zusammenfassen, und zwar unter dem Blickpunkt des Auftrags, der sich für Uns ergibt, aus der alle umschließenden Vaterschaft, mit der Wir betraut wurden, so scheint Uns, die göttliche Vorsehung habe Uns die besondere Sendung zuweisen wollen, in geduldiger und schier aufreibender Tätigkeit beizutragen zur Rückführung der Menschheit auf die Pfade des Friedens.

Beim Herannahen des Weihnachtsfestes, während in Uns das Sehnen immer heftiger wurde, hinzueilen zur Krippe des Friedensfürsten, um Ihm Sein geliebtes Geschenk, die befriedete und ganz wie in einer einzigen Familie zusammengefaßte Menschheit darzubieten, war Uns stattdessen — in den ersten sechs Jahren — die unsagbare Bitterkeit beschieden, um Uns herum nur Völker zu sehen in Waffen, fortgerissen von der unsinnigen Wut gegenseitiger Zerstörung.

Wir hofften — und mit Uns hofften viele — daß, nachdem sich die Erregung des Hasses und der Rache endlich erschöpft hätte, bald das Morgenrot einer Zeit beständiger Eintracht an-btechen würde. Statt dessen dauerte jener beängstigende Zustand der. Not und Gefahr, fort, von der öffentlichen Meinung mit dem Namen „kalter Krieg“ bezeichnet, der in Wirklichkeit wenig oder nichts mit dem wahren Frieden, aber vieles mit einer Waffenpause gemein hatte, die beim geringsten Anstoß ins Wanken kommt. Unsere jährliche Rückkehr zur Krippe des Erlösers bestand weiterhin in einem bekümmerten Anerbieten von Schmerzen und Aengsten, mit dem sehnlichen Wunsch, daraus den notwendigen Mut zu schöpfen, um nicht nachzulassen, die Menschen zum Frieden zu mahnen und den rechten Weg zu Ihm zu weisen.

Können Wir wenigstens jetzt, zur sechzehnten Weihnacht Unseres Pontifikats, jenes Verlangen erfüllen? Wie von vielen versichert wird, ist langsam an die Stelle des kalten Krieges ein Zustand der Entspannung zwischen den streitenden Parteien getreten — wie eine gegenseitige Gewährung des Atemholens, eine Entspannung, der man nicht ohne eine gewisse Ironie den Namen „kalter Friede“ gab. So gerne Wir anerkennen, daß er irgendwie einen Fortschritt in dem mühsamen Heranreifen des eigentlichen Friedens darstellt, ist er doch noch nicht das Geschenk, das des Geheimnisses von Bethlehem würdig wäre, wo „die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Erlösers, erschien“ (Tit. 3. 4). Er steht doch zu sehr im Widerspruch mit dem Geist der Herzlichkeit, Offenheit und Klarheit, der um die Krippe des Erlösers schwebt.

Was anderes versteht man tatsächlich in der Welt der Politik unter dem kalten Frieden als das bloße Nebeneinanderbestehen verschiedener Völker, das aufrechterhalten wird durch die gegenseitige Furcht und beiderseitige Ernüchterung? Nun ist es klar, daß die einfache Koexistenz nicht den Namen „Frieden“ verdient, wie ihn die in der Schule jener hohen Geister Augustinus und Thomas von Aquin geformte christliche Ueberlieferung zu bestimmen gelernt hat als ..tranquillitas ordinis — Ruhe in der Ordnung“. Der kalte Friede ist nur eine vorläufige Ruhe, deren Dauer bedingt ist von der wechselvollen Empfindung der Furcht und von der schwankenden Berechnung der jeweiligen Kräfte, während sie nichts an sich hat von der rechten Ordnung. Diese setzt eine Reihe von Beziehungen voraus, die auf einen gemeinsamen, gerechten und rechten Zweck hinzielen. Bei Ausschaltung jeglichen Bandes geistiger Ordnung zwischen den Völkern, die so bruchstückartig „koexistieren“, ist der kalte Friede weit entfernt von jenem Frieden, den der göttliche Meister predigte und wollte, und der auf der seelischen Einheit in der gleichen Wahrheit und in der Liebe beruht. Der heilige Paulus bezeichnet ihn als „pax Dei“, als einen Frieden, der vor allem die Gedanken und die Herzen verpflichtet (vgl. Phil. 4, 7) und sich in /einträchtiger Zusammenarbeit auf allen Lebensgebieten, das Politische, Soziale und Wirtschaftliche nicht ausgeschlossen, auswirkt.

Dies ist es, weshalb Wir nicht wagen, den kalten Frieden dem göttlichen Kind darzubieten. Es ist nicht der einfache und feierliche Friede (pax), den die Engel den Hirten in der Heiligen Nacht besangen; noch weniger ist es der Friede Gottes (pax Dei), der alles Begreifen übersteigt und eine Quelle tiefinnerer und voller Freude ist (vgl. ebd.); aber es ist nicht einmal jener Friede, von dem die gegenwärtige, schon sehr heimgesuchte Menschheit träumt. Dennoch möchten Wir den Mängeln des kalten Friedens im einzelnen nachspüren, damit aus seiner Leere und unsicheren Dauer in den Lenkern der Völker und in jenen, die irgendwelchen Einfluß auf diesem Gebiet ausüben können, gebieterisch das Verlangen wach werde, ihn schnellstens in den wahren Frieden zu verwandeln, der in Wirklichkeit Christus selber ist. Ist nämlich der Friede Ordnung und die Ordnung Einheit, so ist Christus der Einzige, der die Menschengeister in der Wahrheit und Liebe einen kann und will. In diesem Sinn zeigt ihn die Kirche den Völkern mit den Worten des Propheten als den Frieden selbst „Et erit Iste pax“ (Mich. 5. 5 — vgl. Liturg. Off. D. N. J. C. Regis, passim).

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