6619408-1955_52_17.jpg
Digital In Arbeit

Friede auf Grden!

Werbung
Werbung
Werbung

Wir alk kennen jenes wundersame Gemälde Meister Aitdorfers, auf dem sich das Geheimnis der Christnacht inmitten einer Ruine begibt. Während der herzzerreißenden Weihnachtsfeste der Kriegszeit schien es uns manchmal, als ob der alte Meister, dessen Augen doch schon seit Jahrhunderten geschlossen sind, eigens für unsere Zeit gemalt habe, in der Vorschau dessen, daß die Völker des Abendlandes den Heiland wirklich einmal in Ruinen erwarten müßten: Ruinen ihrer Dörfer und Städte, Ruinen ihrer Höfe und Häuser, Ruinen sogar ihrer Kirchen und Dome. Aber bald gelangten wir zu der tieferen Einsicht, daß der Meister mit jenen Ruinen einen inneren Zustand der Welt andeuten wollte. Wir fühlten, daß die Trümmer, unter denen wir wandelten, nur der Ausdruck einer viel schmerzlicheren Zerstörung waren. Wir erkannten, daß alles äußere Geschehen den Ausdruck eines inneren bedeutet, das Zutagetreten und Offenbarwerden dessen, was in den Tiefen unseres Wesens vorgegangen war. Denn unsere Städte konnten nur zerstört werden, Weil der edle Geist der Väter, der sie einst erbaute, nicht mehr darinnen wohnte. Unsere Heime sanken dahin, weil die Wurzeln der Familie ihr Erdreich verloren hatten, und die Trümmer unserer Kirchen bekannten, daß die Liebe Christi keine Heimat mehr in unserer Mitte hatte, die Völker unseres Erdteils nicht mehr verband.

Von dieser erschütternden Erkenntnis her müssen wir die Tatsache begreifen, daß uns heute, Jahre nach Beendigung des Krieges, die Zeit noch keinen Frieden gebracht hat, daß sich noch immer Tausende Gefangener nach der Heimat sehnen, Abertausende vom Kriege getroffene Menschen in banger LIngewißheit ihres Schicksals harren, und die Völker immer noch durch verschlossene Grenzen und feindliche Gefühle getrennt sind. Eine so tief und so schrecklich zerstörte Welt wie die unsere läßt sich nicht ohne weiteres durch Verhandlungen und Verträge herstellen. So wichtig und notwendig die Bemühungen um sie sein mögen, auch sie gehören ja nur der äußeren Welt an, in der sich die Geschehnisse der inneren offenbaren. Es ist also nicht an dem, daß wir die Verantwortlichkeit für den Frieden den Lenkern der Staaten allein zuschieben dürfen, der Friede ist nicht nur eine politische, er ist vor allem eine religiöse Angelegenheit. Zwar sind viele Friedensschlüsse, welche die Weltgeschichte verzeichnet, ja wahrscheinlich alle, ausschließlich im politischen Raum geschlossen worden — es war dies der tiefste Grund ihrer geringen Dauer. Alles, was nur auf menschliche Einsicht und Kraft gründet, teilt unweigerlich deren Grenzen, teilt die menschliche Vergänglichkeit. Wir kennen in der gesamten Weltgeschichte nur einen einzigen wahren Frieden, den Frieden der Christnacht, denn das Kind in der Krippe von Bethlehem war ja selbst der Friede, von dem der Prophet weissagte: „Er wird die Schwerter zu Pflugscharen machen und die Lanzen zu Sicheln.“ Jeder Friede,, den wir ersehnen, muß daher diesem einzig wahren, diesem zartesten und zugleich gewaltigsten der Weltgeschichte nachgebildet sein.

Der Friede der Christnacht kam zustande, indem Gott gleichsam einen Strich durch die gesamte bisherige Rechnung der Weltgeschichte

Gottes Kind heißen. Der Friede der Christnacht war, also zunächst ein Friede nicht zwischen Mensch und Mensch, sondern zwischen Gott und Mensch. Dem Engelgesang „Friede auf Erden“ steht voran das „Ehre sei Gott in der

machte: wo sonst Sünde und Schuld, Zorn und Vergeltung geherrscht hatten, da sollten fortan Gnade, und Liebe, Vergebung und Barmherzigkeit walten, und wo der Mensch .den Fluch der Verstoßenhcit getragen hatte, da sollte er nun

Höhe“. Ehe wir Friede mit den Menschen schließen können, müssen wir Friede mit Gott machen. Die Ehre Gottes erfordert, daß wir das Gesetz, nach dem er handelt, zum Gesetz unseres Handelns machen, in unbedingten Liebeswillen die Arme allen unseren Brüdern ausbreiten, kühn und enthusiastisch das üben, was Gott an uns übte.

Aber dies entspricht nun freilich nicht den -Gepflogenheiten der Welt. Hier tritt vielmehr ein tiefer Mangel der bisherigen christlichen Geschichte zutage. Das Gesetz der Weihnacht hat fast immer nur im religiösen Raum der Kirche von Christ zu Christ Gültigkeit besessen, von Volk zu Volk vermochte es wenig, da galten weithin nach wie vor die harten Gesetze der Macht, der Vergeltung, der nackten Nützlichkeit und Selbstsucht. Es bedeutet eine der größten christlichen Aufgaben der Zukunft, darzutun und durchzusetzen, daß das Gesetz der Christnacht auch im Völkerleben seine Gültigkeit erhält mit allen Konsequenzen des unbedingten Liebeswillens, der Vergebung und der Brüderlichkeit.

Aber ist nicht gerade dies das Unwahrscheinlichste, was in unserer Christus entfremdeten Zeit geschehen könnte? Es ist tatsächlich eine äußerste Unwahrscheinlichkeit, nur daß eben bei Gott kein Ding unmöglich ist. Wenn der Friede der Christnacht das Vorbild unseres Friedens bedeutet, so ist er auch das Vorbild unserer Friedenshoffnung. Lösen wir uns doch von der Vorstellung, daß nur die Politik und die Mächtigen der Erde den Frieden schaffen, und öffnen wir uns der Wahrheit, daß vielmehr das Werk jener weithin von uns abhängt, daß wir alle mitwirken, den Frieden zu schaffen oder zu verhindern, daß jede Bereitschaft zur Liebe, jede Versöhnlichkeit, der wir unser Herz erschließen, ihn herbeiruft, und jede Schroffheit, jedes feindliche Gefühl ihn verzögert, mit einem Wort, daß sich eben im äußeren Geschehen der Welt nur ihr innerer Zustand, unser aller Zustand spiegelt. Nein, nicht auf die Mächtigen allein kommt es an! Der Friede der Christnacht, von Gottes Seite her der Menschheit angeboten, er wurde von der menschlichen Seite her ermöglicht, nicht durch die Herrscher der Erde, sondern durch die unbekannte, stille Dienerin des Herrn.

Es geht heute wie damals darum, daß die Welt den Heiland in sich aufnimmt. Der Stunde des Gottessohnes geht die Stunde der Gottesmutter vorauf wie der Morgenstern der Morgenröte. Die Nachbildung des Friedens der Christnacht verlangt von uns die Nachfolge der allerseligsten Jungfrau.

Nun werfen wir noch einmal einen Blick auf das Werk Meister Altdorfers. Unter dem zerstörten Dach, über dem die Engel schweben, sehen wir niemand als die Heilige Familie, einsam vom Lichte des Christuskindes bestrahlt. Aber nicht lange, und in diese Ruinen werden die Hirten hereinströmen, und dann werden hier die Könige aus dem Morgenlande niederknien. Auf die Stunde Marias folgt die Stunde des Erlösers, auf die stille Heilige Nacht das Fest der Erscheinung. Auch in unsere Ruinen wird sein Glanz fallen: die Epiphanie unseres Herrn bedeutet den Frieden der Erde.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung