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Kritik und Utopie

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Der Intellektuelle, sofern er wirklich als Intellektueller angesprochen werden kann, ist gerade heute von einer ständigen inneren Unruhe getrieben, von seelischen Spannungen erfüllt und epochalen Problemen aufgewühlt. Von ihm erwartet man, daß er überall die Probleme sieht und die Fragen aufwirft. Aber noch mehr verlangt unsere ungeduldige und pragmatische Zeit in Kirche und Welt vom Intellektuellen. Er soll überall praktikable Lösungs-möglichkeiten anbieten. Aber er kann bestenfalls das Suchen nach Lösungsimöglichkeiten erleichtern helfen. Es ist heute die große Gefahr des Intellektuellen, ganz bestimmte Lösungen als die einzig richtigen anzupreisen. Damit werden Lösungsvorschläge, die von anderen kommen, für ihn indiskutabel. Die Ideologisierung der eigenen Meinung durch den Intellektuellen hat verheerende Folgen in der Politik. Demagogie nimmt dann die Stelle des Dialogs ein.

Dies stellt dann die Einheit, Zusammenarbeit und Kommunikation der Intellektuellen sowie ihre Sendung in der Gesellschaft in Frage. Der Intellektuelle muß sich hüten, | in das institutionelle Getriebe als | Manager, Exekutivbeamter oder Apparatschik eingespannt zu werden. Die Versuchungen, sich dafür herzugeben, sind groß. Weil ihm sehr oft vorgeworfen wird, er habe eine angeborene Lust und Neigung, Herkömmliches und Bestehendes zu zerstören, bemüht er sich oft wider Willen, übergeschäftiger Verteidiger und Vollzugsorgan des Bestehenden zu sein. Es ist in der Tat schwer, sich auf die Dauer unbeliebt zu machen. Das gilt auch für den Intellektuellen im kirchlichen Leben.

Nicht nur „der Andere“, um mit Ortega y Gasset zu sprechen, sondern auch der Intellektuelle verlangt heute darnach, an den Schalthebeln der Macht und der Interessen zu sitzen, eine Führerrolle zu spielen und die Maschinerie des Amtes zu beherrschen. Der Intellektuelle, der sich selbst treu bleiben will, kommt dabei in ein großes Dilemma. In gewissem Sinn muß der Intellektuelle immer in Kirche und Welt Outsider bleiben und darf sich weder der institutionellen Macht noch Verbandsideologien ausliefern. Ein prophetischer Nonkonformismus gehört zur Sendung des Intellektuellen. Das gefügige Mitmachen ist keine Ehre für den Intellektuellen. In der Tat, der Stand des Intellektuellen wird in der heutigen Gesellschaft immer schwieriger. Man stempelt den Intellektuellen zum Kritikaster, zum Denuntianten, zum „destruktiven Individuum“ und zum Eigenbrötler, der krankhaft Kritik üben und notorisch eine andere Meinung vertreten muß.

In unserer Zeit ist nicht nur die Gültigkeit der Gestalt des historischen Kirchentums fraglich geworden, sondern auch die ganze traditionelle abendländische Metaphysik wird angezweifelt. Man spricht von einem nachchristlichen und nachmetaphysischen Zeitalter.Viele Intellektuelle hallten eine Religion mit dem alten metaphysischen Weltbild für Aberglauben. Man spricht vom „Tod“ und von der „Abwesenheit“ Gottes und redet einem humanistischen Atheismus das Wort. Gottlosigkeit soll keine Illusion mehr sein, sondern der einzig richtige Realismus.

Manche Christen sympathisieren mit einem „religionslosen Christentum“ und berufen sich dabei auf den evangelischen Theologen Bonhoeffer, der über dieses Problem in der NS-Haft nachgedacht hat. Selbst höhere Schüler lesen heute mit Begeisterung die Schriften Bonhoeffers. Der metaphysische Gottesbegrdff mit den verschiedenen Vulgarisierungen wird von der jungen Studentengeneration den Religionslehrern, Predigern und Eltern nicht mehr abgekauft. Gott wird den Menschen ganz und gar zum Mysterium. Sie möchten es lieber mit Bonhoeffer halten, der sagt: „An den Grenzen scheint es mir besser zu schweigen und das Unlösbare ungelöst zu lassen.“ Daher wollen sie nicht mit metaphysischen Begriffen über Gott reden.

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