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Selbstzerstörung in der Familienhölle

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Ein Familienroman im bösesten Sinne ist Monika Wogrollys Roman „Ins Feuer”. Erzählt werden die Geschichten von vier Schwestern, die in der Enge eines Einfamilienhauses, des elterlichen Zweitwohnsitzes, ihren Sommer verbringen. Wer dabei an Tschechow denkt, sollte sein literarisches Gedächtnis rasch wieder zum Schweigen bringen, denn auf ländliche Langeweile oder sommerliche Idylle braucht man bei dieser Autorin gar nicht zu hoffen.

Weder ihren Lesern noch ihren Figuren gegenüber kennt Wogrolly Rücksicht. Beide zieht sie in den Sog ihrer Sprache, die immer wieder umzukippen droht, um gleich wieder in den nüchternen, distanzierten Ton der unbeteiligten Beobachterin zu verfallen. Letztere ist aber nur vorgetäuscht, und das ist nicht zu übersehen, schon deshalb, da die Erzählerin, selbst Betroffene, selbst eine der vier Schwestern ist, die auf die Geburt ihres unehelichen Kindes wartet.

Die Älteste, Julia, scheitert an der Beziehung zu einem Kinderarzt, mit dem sie einen Sohn hat. Indes er, der alternde Playboy, nichts unterläßt, um ihr mit ständigen Verletzungen und Demütigungen seine Nicht-Liebe zu bezeugen, peilt sie sicheren Schritts ihre Selbstzerstörung an.

Glaubt man anfänglich, vier Mädchenschicksale zu verfolgen, gibt die Autorin bald zu erkennen, daß alle vier Schwestern nur eine Geschichte haben, nämlich die ihrer langsamen Selbstdestruktion. Die ewige Wiederkehr des Gleichen wird zum sprachlichen Thema mit Variationen. Zuweilen muten Motive wie von Thomas Bernhard übernommen an: „Monika sagte, sie glaube, unsere Mutter sei lebensgewandt, das mache sie zu einer Verrückten und unglaublichen Naturkatastrophe für uns. Lebensgewandt!' ” Dennoch wird der eine oder andere Leser Szenen wiedererkennen. Nicht nur an Elfriede Jelinek wird dabei erinnert, denn Haß und Liebe werden bei den mächtigen weiblichen Mitgliedern in der Familie gesucht, Mutter, Großmutter, Tan -te, das sind jene Instanzen, die über Gedeih und Verderb zu entscheiden glauben, die mit erpresserischer Fürsorge jeden Keim von menschlicher Zuneigung sofort ersticken.

Ob bewußt oder unbewußt, nimmt der Roman immer wieder Anleihen bei Albert Drachs „Untersuchung an Mädeln”. Das Fehlen familiärer Geborgenheit ist es hier wie dort (bei Drach und Wogrolly), das die kaum erwachsenen Mädchen in fast irre Phantasien von der wahren Liebe treibt, die sie auf ältere Männer projizieren.

Wer für die eine oder andere Figur Modell gestanden hat, ob reale Figur oder Romanfigur, bleibt dahingestellt. Einer kommt indes gut weg, auch wenn er nur kurz erwähnt wird - der Deutschlehrer, ein „als Schriftsteller tätiger und eine Literaturzeitung herausgebender mürrischer Mann”.

Er ist der einzige, der sich auch wie ein Lehrer benimmt und Lotte wegen ihrer Unaufmerksamkeit „anschnauzt”, indes der Lateinlehrer zum Objekt ihrer fanatischen, jedoch unerwiderten Liebe wird und der Musiklehrer die Ich-Erzählerin schwängert.

Als besonderes Kennzeichen dieses Buches mag wohl die obsessive Erzählweise der Autorin hervorgehoben sein, die es sich weder mit ihrer Sprache noch mit der Wahl ihrer Motive leicht macht.

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