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Ostpolitik

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Ein zartes Pflänzchen droht unter die Hufe der Rosse sehr verschiedener Reiter zu geraten. Wir sprechen von der österreichischen Ostpolitik.

Da sind einmal die einen, die ihre Sehnsucht nach der Geborgenheit der Schützengräben des kalten Krieges die ganze Zeit nur schlecht verbergen konnten. Schüsse wie jene im vergangenen Sommer aus tschechischen Maschinenpistolen an der March sind Musik in ihren Ohren, ein verweigertes polnisches Visum etwa für den Wiener Kardinal läßt ihre Herzen höher schlagen. Nur schlecht verbergen sie ihre Genugtuung: Wir haben es ja immer gesagt! Was haben sie immer gesagt? Daß die Staaten in der östlichen Nachbarschaft Österreichs von oft sehr sturen Repräsentanten eines totalitären Apparats beherrscht werden: Das wissen wir alle. Was diese eifrigen Bremser auf dem an sich nur zögernd in Bewegung gesetzten Wagen der österreichischen Ostpolitik aber nicht sehen oder nicht sehen wollen, ist der Prozeß der Differenzierung, der heute überall in den Ländern des östlichen Mitteleuropas, selbst die kommunistischen Kader — gerade sie — erfaßt hat. Der Funke der menschlichen Freiheit lebt. Dürfen wir durch die Verweigerung des Sauerstoffes mitschuldig werden, daß er erlischt?

Die Zügel des zweiten Rosses sind mit blauen Kornblumen geschmückt. Sie versinnbildlichen die Mentalität jener, von denen Fritz Heer einmal schrieb, sie hätten schon vor fünfzig Jahren einen Eisernen Vorhang gegenüber unseren östlichen Nachbarn heruntergelassen. Ihre Blickrichtung gilt einseitig dem deutschen Raum. Die danubische zweite Komponente, die jede österreichische Politik, will sie als solche gewertet werden, einfach besitzen muß, ist ihnen genauso suspekt wie ihren Großvätern, die die Hauptschuld am Auszug der Slawen aus dem Hause Österreich trugen. Sich an den Tisch mit gleichberechtigten und erwachsenen anderen Nationen im Donauraum zu setzen: der Gedanke erscheint ihnen spinös. Das Europa dieser „Europäer“ endet an der March, und die Karawanken möchten sie am liebsten um einige tausend Meter aufstocken.

Zwei ganz andere Pferde ziehen wieder eine Retourkutsche. Aus ihr melden sich sozialistische Stimmen, die der heutigen alleinigen Regierungspartei ihre Propaganda vor den letzten Wahlen nicht vergessen können. Was damals die „psychologische Kriegsführung“ der ÖVP mit Erfolg praktizierte, das wiederholen sie nun mit umgekehrten Vorzeichen. Flugs wird das Schildchen „ostanfällig“ an den Rockschößen des Bundeskanzlers befestigt, nachdem lange sozialistische Politiker solcherart etikettiert über die Bühne marschieren mußten. Da diese Propaganda damals wie heute nicht richtig, aber stets wirksam ist, kann man ihrer Rückwirkungen sicher sein.

Österreichische Ostpolitik ist aber heute notwendiger denn je, wobei man über die bisher praktizierte „Offensive des Lächelns“ ohne weiteres diskutieren kann. Mul-tum, non multa, sei die Devise. Ja, ganz konkrete, ja banale Nahziele stehen im Vordergrund. Da ein Kulturabkommen, dort ein kleines gemeinsames Wirtschaftsprojekt. Das Fernziel, die so lange künstlich getrennten Völker im Donauraum wieder einander näher zu bringen, soll dabei nicht aus den Augen gelassen werden. Spes contra spem. Hoffen, selbst dann, wenn jede Hoffnung scheinbar sinnlos ist. Diese Haltung geziemt auch hier dem Christen.

Auch wenn es die verschiedenen „Observer“ nie verstehen werden.

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