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Prager und Wiener Orchester

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Wenn ein tschechisches Orchester Smetanas vaterländisches Gedicht, „Mo vlast“, spielt und der Dirigent (der das Ensemble schon 21 Jahre lang betreut) Smetalek heißt, so kann eigentlich nichts schiefgehen. Die Präger Sinfoniker sind, bei aller Verschiedenheit in den einzelnen Gruppen, ein Orchester etwa im Rang der Wiener Symphoniker und tragen wie diese die Hauptlast des Musiklebens der Metropole. Ihr Chefdirigent fährt — ebenso wie der der Wiener Symphoniker — viel in der Welt herum und hat bisher mit 45 Orchestern in 17 Staaten konzertiert. Dabei stand als eines seiner Standardstücke „Mein Vaterland“ über 80mal auf dem Programm. Er und das Orchester kennen also jede Note in diesen „sechs symphonischen Dichtungen“, die Sme-tana in den Jahren 1874 und 1875 sowie 1878 und 1879 schrieb. Es erweisen sich beim Anhören aller sechs Teile (von denen man bei uns immer wieder nur den zweiten und den vierten hört) die idyllischen, naturschildernden, von böhmischen Liedern und Tänzen durch-klungenen als die künstlerisch weitaus originellsten und wertvollsten. In „Sarka“, einer böhmischen Amazonentragödie, in „Tabor“ (der Kampf und Sieg der Hussiten schildert) und in „Blanik“ (einer böhmischen Kyffhäuser-sage) steht Smetana sehr unter dem nivellierenden Einfluß der „symphonischen Dichtung“ Lisztscher Prägung und verfällt einem historisch-patriotischen Allerweltspathos, wie ja auch in seinen geschichtlichen Opern: „Die Brandenburger in Böhmen“, „Dalibor“ und „Li-bussa“. In der „Moldau“ und „Aus Böhmens Hain und Flur“ ist er der Sphäre seiner Meisteroper, „Die verkaufte Braut“, am nächsten. „VySehrad“,das erste Stück der symphonischen Suite, steht etwa in der Mitte zwischen diesen beiden Kategorien. Das Orchester unter Vaclav Smetäieks Leitung zeigte hervorragende Spieldisziplin, in Klang und Technik fanden wir nichts besonders Hervorstechendes, es wäre denn die auffallend große Besetzung (mit sechs Hörnern, vier Trompeten usw). Das Publikum war sehr begeistert.

Dem 5. Abonnementkonzert der Wiener Philharmoniker gebührt der Titel eines außerordentlichen, ungewöhnlichen Konzerts. Es brachte nicht nur ein interessantes Programm, sondern auch die Wiederbegegnung mit dem jungen indischen Dirigenten Zubin Mehla, dessen erste Schritte auf dem Podium wir mit dem gleichen Interesse verfolgt haben wie den raschen Aufstieg des Vierundzwanzig-jährigen, zunächst zum Leiter des Montreal Symphonieorchesters, dann, 1961, zu dem des Los Angeles Philharmonie Orchestra. Seither hat Mehta viele große und berühmte Ensembles geleitet, ist weit in der Welt herumgekommen und ein richtiger Reisedirigent geworden. Seine vorletzte Produktion — mit „seinem“ kanadischen Orchester — hatte uns keine Freude gemacht. Man empfing den Eindruck eines harten Antreibers und Dompteurs, der viel zu sehr auf äußeren Effekt bedacht war, wobei die Musik zuweilen unter die Räder geriet. Auch heute weiß er mit Schumann, dessen i. Symphonie das Philharmonische Konzert am vergangenen Wochenende eröffnete, nicht viel anzufangen. Schönbergs „Fun) Orchesterstiicke“ aus dem Jahr 1909 hat er — was nicht ganz leicht gewesen sein mag — mit aller erforderlichen Akribie einstudiert und faszinierend wiedergegeben. Der Hörer darf sich hier ruhig an die poetischen Titel der einzelnen Sätze halten: Vorgefühle, Vergangenes, Farben (besonders reizvoll in der immer neuen instrumentalen Beleuchtung des gleichen Akkords: eine Morgenstimmung auf dem Traunsee), die hochdramatische Peripetie und das lyrisch-polyphone „Obligate Rezitativ“. — Das Publikum quittierte diese Erstaufführung in einem Philharmonischen Konzert (nach 55 Jahren) mit respektvollem Applaus, der sich am Schluß zu einem „frenetischen“ steigerte: dem letzten Werk des Programms entsprechend, der brillanten uhd mitreißenden 2. Suite aus Ravels Ballett „Daphnis und Chloe“. Mehta hatte Hie Fassung mit Chor gewählt, die zwar die effektvollere, abr icher nicht die bessere, feinere ist. Doch zeigte sich das kritische Gefühl des Dirigenten darin, daß er nur einen kleinen Chor von etwa 40 Personen für die Vokalisen des Anfangs und die Schluß-Apotheose (Danse generale) einsetzte.

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