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Themen und Variationen

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Die Wiener Philharmoniker haben in ihrem dritten Abonnementkonzert die Reihe „Komponisten zu Gast“ fortgesetzt. Diesmal stand Paul Hindemith am Pult, der sein neues, erst 1962 geschriebenes und Ende April dieses Jahres uraufgeführtes Orgelkonzert zur europäischen Erstaufführung mitbrachte: eine Aus zeichnung für Wien und für den Organisten Anton Heiller, dem auch die Uraufführung des im Auftrag der New Yorker Philharmonischen Gesellschaft geschriebenen Werkes anvertraut war, mit dem die neue Orgel des Lincoln Center eingeweiht wurde. Hindemith hat in den Jahren 1937 bis 1940 drei besonders schöne Orgelsonaten und auch ein Orgelkonzert mit Begleitung eines Kammerorchesters geschrieben. Mit diesen früheren Orgelkompositionen verglichen, erscheint das neue Werk mit seiner symphonisch-rhapsodischen Form reicher, origineller und komplizierter, nicht nur in der Faktur, sondern auch in der Harmonik und im Klanglichen, so daß der Hörer zunächst ziemlich ratlos zurückbleibt. Er überdenkt die Schwierigkeit des ganzen Genres, resultierend aus dem komplexen und reichhaltigen Orgelklang, der sich mit den Orchesterinstrumenten nicht recht verbinden will (und durch allzu häufige Kontrastierungen entsteht eine gewisse Zerrissenheit); er überlegt, ob ein weniger an thematischem Material und kunstvoller kontrapunktischer Arbeit nicht mehr gewesen wäre; er erinnert sich zahlreicher immer wiederkehrender Grundfiguren der Hindemithschen Handschrift usw. Üneingeschränkte Bewunderung zollt er dem virtuosen kompositorischen Können des Schöpfers dieser Musik und kaum weniger der Virtousität und Musikalität des Interpreten des Orgelparts, Prof. Anton Heiller, der trotz kaleidoskopisch wechselnder Themen, Tempi und Farben wenigstens einzelnen Teilen, wenn auch nicht dem Ganzen, eine gewisse Geschlossenheit zu geben vermochte. Den Hauptteil des umfangreichen viersätzigen Opus bildet die abschließende „Fantasia super Veni creator Spiritus“, eine Folge von sechs Variationen, in deren vierte das bekannte „L’homme arme“ effektvoll eingeführt ist.

Im späteren Schaffen Hindemiths gibt es zahlreiche Parallelen zur Kunst Max Regers. So konnte es nicht überraschen, daß Hindemith den zweiten Teil des von ihm geleiteten Orchesterkonzerts (das mit einer Ouvertüre Cherubinis eingeleitet wurde) den Hiller-Variationen des Münchner Meisters widmete. In seiner fundierten Programmeinführung bezeichnet Professor Nowak dieses etwa sieben Jahre vor den populäreren Mozart-Variationen geschriebene Opus als eines der größten Orchesterwerke des 20. Jahrhunderts. Und in der Tat wurde Regers kontrapunkti- sches Können von keinem seiner Zeitgenossen übertroffen. Reger schuf aus dieser Singspielmelodie von 1771. die er mit mehreren eigenen Themen koppelte, eine Reihe von Charakterstücken, freien Phantasien über das Thema oder einzelne seiner Teile, in denen sich ein ungeheurer Reichtum an kombinatorischer Fertigkeit und klanglicher Phantasie dokumentiert. Daß Reger die große, zehn Minuten dauernde Doppelfuge in einem Zug in die Partitur schrieb, ist kaum vorstellbar. Hindemith, der Tonsprache Regers ebenso geneigt wie dessen kontrapunktischen Künsten, erwärmte sich von Variation zu Variation mehr, ohne freilich aus dem Werk alles an Effekt (den es auch besitzt), vor allem an klanglichem, herauszuholen.

Das dritte Konzert im Zyklus „Die Große Symphonie“ wurde von Karel Ancerl geleitet, dem langjährigen Chef der Prager Philharmonie, dem wir meist an der Spitze seines eigenen Orchesters begegnet sind. Ancerl ist ein tüchtiger, ehrlicher Musiker. Daß er keine große Spannung zu erzeugen vermag, beklagen wir nicht als Publikum, sondern um der Musik willen. In dem hier zu rezensierenden Konzert kam vor allem das Konzert für Orchester von Bartók zu kurz, das kein ganz so folkloristisch-idyllisches und gefälliges Werk ist, wie Anferl es sich und uns vorstellte. Ravels geistvoll-brillantem Klavierkonzert in G-Dur fehlte der letzte Schliff, und zwar hauptsächlich im Orchesterpart. Der Ton des Solisten Walter Kljcn. war, obwohl auf einem Steihway prothlirert, gelegentlich u dfck. Irt Böhmens ffaih,j nd ‘FMP freilich, dem vierten Satz von „Mein Vaterland“ von Sme- tana, fand sich alles einmütig und in ungetrübtem Behage zusammen: das Orchester der Wiener Symphoniker, der Dirigent und das Publikum.

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