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Psalmenkantate, Varviso-Konzert

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Die Wiener Philharmoniker haben Ihr heuriges Komponistenkonzert Anton Heiller gewidmet und zur Leitung anvertraut. Sie konnten kaum einem würdigeren aus der mittleren Komponistengeneration diese Auszeichnung zuteil werden lassen. Mit der Wiener Singakademie, die von einem der überzeugtesten Förderer Heillers, Doktor Hans Gillesberger, einstudiert war, und den Solisten Wilma Lipp, Hilde Rössel-Majdan, Kurt Equiluz und Otto Wiener führte Anton Heiller seine vor zwölf Jahren entstandene „Psalmenkantate“ auf, die er als Zweliunddreißigjähriger komponiert hat.

Das einstündige Werk hat die Zeit (und die Wiederbegegnung) gut überstanden. Heute schreibt Heiller konzentrierter, sein Eigenstil ist noch entschiedener ausgeprägt. Aber was für eine Talentprobe ist auch dieses „Jugendwerk“! Kaum einer seiner Altersgenossen hat eine so reiche Palette, besitzt ein so umfassendes handwerkliches Können und eine solche Suggestion der Mitteilung. Mitgeteilt werden hier in der Sprache der Musik Stellen aus den Psalmen und den Bekenntnissen des heiligen Augustin, und zwar keineswegs in historischem Gewand, also quasi archaisierend, sondern in der Sprache des 20. Jahrhunderts. Natürlich gibt es da und dort Anklänge, Anlehnungen, Reminiszenzen. Aber da Heillers Vorbilder die bedeutendsten dieser ersten Jahrhunderthälfte sind, ist dagegen nichts einzuwenden. Gleich im ersten Chor gibt es eine Stelle („Et homo circumflenens martalitatem suam“), die ohne Strawinsky nicht denkbar ist; vor dem Chor mit Tenorsolo „Dicit insipiens in corde suo: Non est Deus!“ stürmt ein ganzes Pan- dämonium der neuen Musik mit schlagwerkgepanzerten ostinaten Rhythmen auf den Hörer ein; die feine Harmonisierungskunst Frank Martins hat Heiller zu eigenem Nutz und Frommen genau studiert; und der heitere Strawinsky kommt noch einmal an einer der liebenswürdigsten Stellen rls Anreger zum Vorschein („Redde mihi laetitiam salutis tuae, et spiritu generoso conflrma me“. Ps. 50). In der 50. Minute des großen und großartigen Werkes wird im „Laudate“ ein dynamischer Höhepunkt von barocker Klangpracht erreich!.. Chor und Soli werden hier vom vollen Orchester mit vierfachen Bläsern, vielerlei Schlagwerk, zwei Klavieren und großem Strei cherchor begleitet: ein Philhar- harmonisches Fest mit tieferer Bedeutung.

Gewissermaßen zur Einleitung, als hors-d’ceuvre, spielte Alfred Jenner, von -den Philharmonikern unter Anton Heillens Leitung begleitet, die Konzertanten Variationen über ein Thema von Beethoven in der zweihändigen Fassung von Friedrich Wührer: keines der stärksten Werke aus der Feder Franz Schmidts (das übrigens während dieser Saison bereits zum drittenmal aufgeführt wurde). — Sehr instruktiv im Programmheft des sechsten Abonnementkonzerts ist der Artikel des ehemaligen Leiters der Abteilung für Kirchenmusik an der Akademie, JVTsgr. Dn Franz Kosch über „Anton Heiller — ein Wiener Kirchenmusiker“, den wir unseren Lesern einmal im Wortlaut vermitteln weiden.

„Wie anders wirkte dies Zeichen auf mich ein!“: Im Zyklus „Die Große Symphonie“ dirigierte Silvio Varviso die Wiener Symphoniker mit einem vor allem effektvollen Programm. Der knapp 40jährige Silvio Varviso ist gebürtiger Zürcher, war bereits mit 20 Jahren am Stadttheater von St. Gallen tätig, ging von dort nach Basel und darnach auf Tourneen und wurde 1965 als Chefdirigent an das Königliche Opernhaus in Stockholm berufen. (Auch an der Wiener Steatsoper hat er bereits dirigiert.) Herr Varviso kommt also vom Theater, und das merkt man ihm auch an, nicht nur in der Programmgestaltung. Das symphonische Scherzo „Der Zauberlehrling“ von Dūkas nach Goethes bekannter Ballade ist in Frankreich der „Till- Eulenspiegel“-Ersatz und erfreut sich ähnlicher Popularität. Interpretationsprobleme bietet es ebensowenig wie Liszts 1. Klavierkonzert (wenn der Partner nicht gerade Shura Cherkassky heißt). Den zweiten Teil des Programms bildete Tschaikowskys Sechste, die wir noch selten so vordergründig gehört haben. Herr Varviso macht den Eindruck eines Mannes, für den Musik eine schöne und angenehme Sache ist, die geeignet erscheint, den Musikern, dem Dirigenten und dem Publikum Vergnügen zu bereiten. (Daher war vom menschlichen Gehalt und Zeugnis der Tschai- kowsky-Symphonie kaum etwas zu spüren.) Shura Cherkassky ist den umgekehrten Weg gegangen (womit wir der Hoffnung Ausdruck geben, daß auch Silvio Varviso einmal zum

Kern vorstoßen wird): Er war einmal hauptsächlich Pianist, und zwar ein großartiger. Heute ist er ein sensibler und leidenschaftlicher Musiker, dem keine Gefühlsnuance, keine Besonderheit der von ihm interpretierten Werke entgeht.

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