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Erinnerungen an den „Fall Hindemith

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Der Komponist Paul Hindomith, der auch als Instrumentalsolist und Lehrer sehr geschätzt wird und seit 1940 an der Yale-Universität in USA tätig ist, schrieb in den zwanziger Jahren, als Antipode der Spätromantik, eine Reihe von Werken, von denen er sich selbst bald distanzierte. Während der letzten 15 Jahre rückte er durch eine ganze Anzahl ernster und bedeutender Schöpfungen an die erste Stelle der lebenden Komponistengeneration der modernen Richtung. Es sind dies vor allem: das große Oratorium „Das Unaufhörliche“, „Nobilissima Visione“ (Episoden aus dem Leben des hl. Franziskus nachzeichnend), Symphonien, Orchesterkonzerte und die auf einen eigenen Text geschriebene Grünewald-Oper „Mathis, der Maler“.

Mitten in diesem Wandlungs- und Reifeprozeß überraschte den Komponisten die Machtergreifung durch den Nationalsozialismus in Deutschland. Hindemith war rein arischer Abstammung, hatte sich politisch nicht exponiert — gedachte allerdings auch nicht, sich zu politischen Zwecken mißbrauchen zu lassen und irgendwelche Konzessionen zu machen. Seine künstlerische Ehrlichkeit und Komprom ißlosigkeit waren bekannt. Und warum entbrannte der Kampf um den „Fall Hindemith“? Seine musikalische Vergangenheit, die Werke seiner Sturm- und Drangzeit, boten nur den erwünschten Anlaß zu ununterbrochenen Angriffen und Diffamierungen von Seiten der Parteipresse. Zwar gab es auch unter den Musikern Kreise, die Hindemiths Musik ablehnten, aber das war schließlich eine innermusikalische Angelegenheit, in die sich der Staat sicher nicht eingemengt hätte, wenn Hindemith nur ein einziges Wort des Bekenntnisses zum neuen Staat und seiner Leitung gesagt hätte. Das aber tat er nicht, und so nahm die Tragikomödie um den „Fall Hindemith“ ihren Lauf. Der verlierende Teil war zweifellos die deutsche Musik und das deutsche Musikleben, das mit der Emigration Hindemiths nicht nur seine bedeutendste schöpferische Potenz, sondern auch jenen Musiker verlor, der als einziger vielleicht in der Lage gewesen wäre, die Verbindung zwischen der älteren und der jungen Generation herzustellen und die Grundlage für einen neuen Musikstil 'zu legen. Es wirkt wie eine blutige Ironie, wenn ein Schweizer Musikgelehrter Hindemith bestätigt, daß er unter den gegenwärtig schaffenden Musikern „der deutscheste“ sei. Hindemith selbst aber hat in seinem bedeutenden zweibändigen musiktheoretischen Werk „Unterweisung im Tonsatz“ das Bekenntnis abgelegt: „Nun gilt es nicht, Bestehendes umzuwerfen, sondern etwas zu schaffen, das besteht. Eine klassische Kunst tut not.“

Im Jahre 1933 hatte Hindemith seine neue Oper, die das Leben des Matthias Grünewald und die Bildvisionen des Isen-heimer Altars zum Gegenstand hatte, beendet. Der damalige Leiter der Berliner Staatsoper, Wilhelm Furtwängler, hatte die Partitur studiert und das Werk in den Spielplan 1934/35 aufgenommen. Da wurde ihm eines Tages eröffnet, daß das Werk nicht aufgeführt werden dürfe, bevor nicht die persönliche Einwilligung Hitlers vorliege. Dieser hatte nur ein einziges Werk von Hindemith gehört, und zwar die Oper „Neues vom Tage“, und hatte seither ein Vorurteil gegen den Komponisten, das von seiner Umgebung eifrig genährt wurde. Für Furtwängler bedeutete diese Entscheidung nicht nur einen künstlerischen Eingriff in seine Rechte als Opernchef, sondern auch eine Prestigefrage. Nach einem erfolglosen Briefwechsel zwischen Furtwängler und Göring wurde die Oper kurzerhand verboten. Inzwischen hatte Hindemith drei Stücke aus seinem Werk zu einer symphonischen Suite zusammengestellt, und Furtwängler setzte diese Symphonie „Mathis, der Maler“ auf das Programm einer seiner philharmonischen Konzertie. Ohne daß ein Verbot erfolgte, wurde die Komposition aufgeführt und löste einen Beifall aus, wie man ihn in der Berliner Philharmonie selten gehört hat. Selbstverständlich waren in Berlin die Hintergründe dieser Aufführung bekanntgeworden, und das Konzert gestaltete sich zu einer Demonstration für den Komponisten, für den Dirigenten und gegen die neuen Kunst-

diktatoren. Zahlreiche deutsche Konzcrt-gesellschaften kündigten die Wiedergabe des Werkes an, und in der Weltpresse wurde es — mit den entsprechenden Kommentaren — sehr günstig besprochen. Von selten der Parteipresse. aber setzte eine beispiellose Hetze gegen den Komponisten Hindemith ein, die zu dem sensationellen Aufsatz Furtwänglers in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ vom 25. November 1934 führte und der — nach einer ausführlichen kritischen Darstellung des Lebenswerkes von Hindemith — mit den Worten schloß: „Es handelt sich hier viel, viel mehr noch als um den besonderen ,Fall Hindemith'. um eine allgemeine Frage von prinzipiellemOharakter. Und weiter noch, auch darüber müssen wir uns klar sein: wir können es uns nicht leisten, angesichts der auf der ganzen Welt herrschenden unsäglichen Armut an wahrhaft' produktiven Musikern, auf einen Mann wie Hindemith so ohne weiteres zu verzichten.“

Deutschland — nicht aber die deutsche und die europäische Musik — hat auf Hindemith verzichtet. So kam es, daß auch bei uns — mehr als zehn Jahre nach der Vollendung des Werkes — Hindemiths Symphonie in einem Philharmonischen Konzert erklang. Die Titel der drei Teile, zu einer symphonischen Suite gefügt und jeder ein in sich geschlossenes Tongemälde, mögen eine Vorstellung vom ideellen Gehalt geben. Sie heißen: Engelkonzert, Grablegung und Die Versuchung des heiligen Antonius. Der erste Teil verarbeitet die Melodie „Es sungen drei Engel einen süßen Gesang“ und ist zugleich die Ouvertüre der Oper. Der zweite ist eine Trauermurik aus dem siebenten Bild der Oper, während im dritten die Bildvisionen der sechsten Szene aneinandergefügt werden, denen sich — als Krönung — die kontrapunktische Verarbeitung eines Fugenthemas, einer Passacaglia und der Fronleichnams-Sequenz „Lauda Sion Salvatorem“ anschließt. Aus dem ganzen Werk spricht die hohe Meisterschaft seines Schöpfers, der seine Wirkungen immer nur aus der Musik und dem musikalischen Geschehen selbst holt. Besonders charakteristisch ist ein etwas kühles, aber sehr

vornehmes Pathos, das wir in diesem Werk Hindemiths zum erstenmal deutlich wahrnehmen. In dieser Musik gibt es keine „Effekte“, keine Improvisation und keine Banalität. Freilich auch kein breites Ausschwingen und keine gewaltigen Bogen. Die einzelnen Teile des Triptychons sind mehr nebeneinandergesetzt als aufeinandergetürmt. Dies aber mag zum größten Teil daher kommen, daß wir es eben nicht mit einer Symphonie, sondern mit Opernfragmenten zu tun hiben. Rudo'f KJtiralt dirigierte das, Werk im dritten mns-mentkonzeit der Philharmoniker.

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