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PAUL HINDEMITH

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D rei Jahre, von 1932 bis 1934, hat Paul Hindemith an dieser Oper gearbeitet. Sie verdankt den Problemen der Gegenwart ihre Entstehung — den Problemen der deutschen Gegenwart um das verhängnisvolle Jahr 1933. Jetzt handelt es sich nicht mehr um einen Versuch. Die Zeitfragen werden nicht mehr äußerlich angepackt, wie in „Neues vom Tage“. Sie werden klar dargestellt — und zugleich ins Zeitlos-Gültige erhöht.

Diese Gedanken beschäftigten damals viele Menschen, und es ist nicht zu verwundern, daß ein allen Zeitfragen so aufgeschlossener Mensch wie Hindemith sich mit ihnen auseinandersetzte. Im Grunde drehten sich alle Versuche von Donaueschingen bis Baden-Baden um die eine Frage: Wie ist das gestörte Gleichgewicht zwischen Künstler und Publikum, zwischen schöpferischem Individuum und rezeptiver Masse wiederherzustellen? Anders ausgedrückt: Wie kann mit den Mitteln der Kunst eine neue Gemeinschaft geschaffen werden? Man suchte praktische Antworten. Der Künstler durchbrach den Kreis einer rein fachlichen Zielsetzung. Er griff die Fragen auf, die das Publikum beschäftigten. Er bemühte sich um Anschluß an neue Gegebenheiten der Zeit.. Vom Publikum wurde anderseits eine Aufgeschlossenheit für die Ideen des Künstlers verlangt, die es keineswegs bereit war, ihm entgegenzubringen. Es ist viel zu fest in seine Konventionen und Gewohnheiten eingeschnürt. Es denkt gar nicht daran, sich mit Neuem zu befassen, auch wenn man es ihm mundgerecht zu machen sucht — das bedeutet ja Anstrengung. Wozu soll man sich anstrengen, wenn es auch anders geht? — so sagt die Majorität des Publikums.

Was soll der Künstler also tun? Soll er sich völlig abschließen? Das ist die Einstellung von Arnold Schönberg — „meine Zeit wird kommen, ich kann warten“. Für einen aktiven Menschen wie Hindemith kommt das nicht in Frage. Er braucht die tönende Bestätigung seiner Kunst. Daß man sie ihm entzog, war schließlich der Grund, weshalb er Deutschland verließ. Für ihn ist der Künstler ohne unmittelbaren Kontakt mit der Gemeinschaft nicht denkbar.

Muß sich also der Künstler dem Publikum anpassen? Dagegen wird er sich um so heftiger sträuben, je stärker und ausgeprägter seine Individualität ist. Er wird sich besonders heftig dagegen sträuben, wenn er, mitten in einer Zeit der geistigen und sozialen Umwertung, eben eine neue Ordnung gefunden hat. Dies trifft gerade für Paul Hindemith zu.

Nun gibt es aber noch eine umfassendere Gemeinschaft als das Publikum. Diese wurde eben in jenen Jahren von gefährlichen Zungen als Maßstab und Richter über alle geistigen Dinge aufgerufen: das Volk. Unheilvolle Nutzanwendung der letzten Szene aus Wagners „Meistersingern“, die für den ganzen Kunstdilettantismus des „Dritten Reiches“ verantwortlich zu machen ist. Es versteht sich von selbst, daß ein geistig selbständiger Künstler solche Unterwerfung unter Volksgerichte ablehnt. In welcher Beziehung steht er nun wirklich zum Volk? Erfüllt er überhaupt eine Funktion innerhalb des Volkes? Und welche? Oder gibt es geschichtliche Situationen, in denen das künstlerische Schaffen bedeutungslos wird gegenüber allgemeinen Bewegungen, die über das schöpferische Individuum hinwegspülen wie die Brandung über einen Kieselstein? Darf er da in künstlerischem Selbstbewußtsein abseitsstehen?

Auf diese Fragen gibt Hindemith in „Mathis der Maler“ eine schlüssige Antwort, und, wie nicht anders zu erwarten, eine Antwort gegen die Gemeinschaft. Sie ist eine Absage an die heuchlerischen Theorien vom schränkenlosen Primat des Volkes. Ein Bekenntnis zur absoluten Souveränität und Unbedingtheit des künstlerischen Schaffens. Sie ist eine Rechtfertigung der eigenen Haltung.

Mit tiefem Bedacht wählt Hindemith die Gestalt jenes Mathis oder Nithart, den man im allgemeinen unter dem Namen Grünewald kennt. Durch den magischen Realismus, durch die erschütternden Visionen seiner Malerei zählt er zu den größten Meistern der deutschen Kunst. Wir wissen- wenig von ihm. Er führte ein unstetes, gehetztes Leben. Er schuf seine Werke in wechselndem Auftrag für Kirchen, Fürsten und Klöster des südwestdeutschen Bezirks zwischen Main und Rhein. Für Isenheim im Elsaß malte er den weltberühmten Altar. Aus unbekannten Gründen schloß er sich einige Zeit der sozial-revolutionären Bauernbewegung an. Am Ende seines Daseins legte er den Malerkasten beiseite und kaufte sich eine Mühle, irgendwo am Main.

Die Gestalt des Mathis ist eine Verkörperung des leiderfüllten schöpferischen Künstler-tums. Hindemith stellt sie in ihre Epoche, die nicht weniger von Spannungen und Gegensätzen erfüllt war wie die unsere. Zweifel und Qualen zerren am künstlerischen Schaffenstrieb des Mathis. Hat es noch einen Sinn, zu malen, wenn ringsum soviel Kriegsnot, soviel soziale Ungerechtigkeit herrschen? Hier ein stolzer Kar-dinal-Erzbischof, der seine Mainzer Residenz zu einer hohen Burg der Wissenschaft, zu einem Kleinod der Künste machen will. Dort die verzweifelte, unterdrückte, ausgezehrte Masse der Bauern, rechtlos den großen Herren preisgegeben. Und zwischen ihnen Mathis.

Im letzten Bild wendet sich die Handlung ins Symbolische. Regina und Mathis sind auf der Flucht im Odenwald. Es ist Abend. Regina bricht erschöpft zusammen. Da erscheint vor um so besser erfüllt er seine Funktion. Damit wird keineswegs ein hemmungsloser Individualismus proklamiert. Im Gegenteil: die schöpferische Individualität wird als Verdichtung der in der Gemeinschaft wirkenden Kräfte verstanden. So wird das Werk, das sich gegen die Richterschaft des Volkes über die Kunst wendet, in einem höheren geistigen Sinn zugleich Bekenntnis zu den schöpferischen Kräften des heimatlichen Bodens. Da ist es denn auch kein Zufall, daß die Oper in der Landschaft spielt, der Hindemith selber entwachsen ist und an der er mit allen Fasern seines Wesens hängt. *

Nun aber muß endlich von der Musik gesprochen werden. Es versteht sich von selbst, daß das Prinzip der formalen Stilisierung mit der gleichen Folgerichtigkeit angewandt wird wie in den früheren Bühnenwerken. Jeder Szene liegen bestimmte instrumentale Themen zugrunde, die den dramatischen Gehalt versinnbildlichen und nach rein musikalischen Baugesetzen abgewandelt werden. Sie schaffen das Formgerüst. Sie halten es auch zusammen, wo eine freiere gesangliche oder rezitative Gestaltung notwendig ist. Manchmal greift diese scheinbar auf Formeln zurück, die aus dem Musikdrama bekannt sind — scheinbar, denn auch da wird man entdecken, daß das strenge Bauprinzip herrscht, das wir aus Hindemiths Instrumentalwerken kennen. Selbst die leidenschaftlichsten „Ausbrüche“ der Ursula und des Mathis sind motivisch fest gebunden. Anderseits gibt es wieder Stücke, die rein instrumendem geistigen Auge Mathis' das Engelkonzert, das er selber auf seinem lsenheimer Altar gestalten wird. Die Vision wird gegenständlich: die Bühne zeigt die „Versuchung des heiligen Antonius“ — ein Bild nach der Art süddeutscher Maler, wie Hindemith ausdrücklich angibt. Was Mathis erlebte, wird symbolisch erhöht. Die früheren Personen der Handlung werden zu Sinnbildern der Mächte, die Mathis-Antonius verführen wollen. Umsonst. Die Dämonen quälen ihn wie auf der Tafel seines lsenheimer Altars. Er ruft Jesus an. Die Szene wandelt sich in eine andere Tafel aus dem Altar des Mathis: Begegnung des heiligen Paulus und des heiligen Antonius. Paulus (Kardinal Albrecht) gibt dem Antonius (Mathis) endlich Klarheit und Ruhe: Dem Volke entzogst du dich, da du zu ihm gingst, deiner Sendung entsagtest du — geh hin und bilde!

Mathis ist zu seinem Kardinal und zu seinem Schaffen zurückgekehrt. In übermenschlicher Anstrengung hat er sein Werk vollendet. Regina, die treu an seiner Seite war, stirbt. Nichts hält ihn mehr zurück. Er verschließt Malgeräte und Erinnerungsstücke. Am Ende des kampfreichen Lebens steht die Resignation.

Mathis der Maler behandelt die Geschichte eines Künstlers — aber nicht im subjektiven, egozentrischen Sinn der Romantik. Es geht nicht um die „Tragik“ des Künstlerdaseins. Es geht um die Funktion des Künstlers in der Umwelt. Hindemith sagt: Je umfassender und vollkommener der Künstler seine individuelle Mission erfüllt, um so besser dient er der Umwelt,tal konzipiert sind. Die Singstimme scheint nur eine vokale Projektion der instrumentalen Vorgänge. Wir denken vor allem an die Szenen, die Hindemith einfach mit den Namen der Handelnden bezeichnet: Albrecht und Capito (5. Bild, 1. Szene), oder an die gewaltige Szene der Versuchung des Antonius. Die letztere liegt auch in einer rein instrumentalen Fassung als dritter Teil der Sinfonie „Mathis der Maler“ vor. Ein Vergleich dieses Stückes mit der dramatischen Fassung in der Oper ist überaus aufschlußreich. Er gibt Einblick in die Arbeitstechnik des Komponisten, die stets primär instrumental ist.

Den hochgespannten Melodietypen treten andere gegenüber, die für das Gesamtbild der Mathis-Partitur noch wichtiger sind. Wir meinen damit sowohl die lyrischen wie die vom Volkslied und Choral abgeleiteten Typen. In originaler Gestalt tritt der Choral nur einmal auf. „Es sungen drei Engel...“ ist die eigentliche „Leitmelodie“ der Oper. Vom Engelkonzert, das die Stelle der alten Ouvertüre vertritt, breitet sich ihr mildes Licht über die ganze Partitur. Im Duett zwischen Mathis und Regina, das im 6. Bild die Wendung der Handlung aus den realen in die symbolischen Bereiche vollzieht, breitet es sich vokal aus. Unsichtbar wirkt es fast in allen Gesängen der Regina. Trotzig gestrafft spüren wir den alten deutschen Choral (der ja nicht selten ein Kampflied war) in den Chören.

Die kraftvolle Melodik der alten deutschen Liedmusik, die schon im „Unaufhörlichen“ eine gewichtige Rolle spielt, wird noch bestimmender für den Mathis, der sie auch durch das historische Milieu rechtfertigt (obwohl Hindemith jede historisierende Absicht fernliegt). Sie wirkt als Gegenkraft zur chromatischen Leiter, die Hindemith eben um diese Zeit als theoretische;.Grundlage seines Systems fixiert. Dies zeigt sich in sinnfälliger Weise, wenn in der Versuchung die diatonische Gebetsmelodie des Antonius den chromatisch ihn berennenden Drohungen des Dämonenchors entgegentritt. Dieser „gregorianische“ Melodietypus überglänzt auch das Duett Antonius-Paulus, wobei er sich ins Hymnische steigert.

Die Intensivierung und Vereinfachung des musikalischen Ausdrucks erreicht ihre Höhe in dem lyrisch beschatteten letzten Bild. Die Musik ist ganz nach innen gekehrt. Eine äußerste Sparsamkeit der klanglichen Mittel ist gefunden. Und wie zur symbolischen Rundung der bewegten Formgebung der sieben Bilder, ertönt aus dem Mund der sterbenden Regina noch einmal die Leitmelodie der Oper: „Es sungen drei Engel den süßen Gesang ...“

In dieses letzte Bild hat Hindemith als Zwischenspiel den schönen Instrumentalsatz eingegliedert, den man als „Grablegung“ aus der Mathis-Sinfonie kennt. Alle Kräfte der Vereinfachung erscheinen da konzentriert im Aufbau einer mächtigen melodischen Linie aus einem einzigen Motiv und aus jenem punktierten Rhythmus, der endlich sich entspannt.

Jeder kontrapunktische Zwang ist gewichen — und dennoch ist die Partitur des Mathis von einem erstaunlichen Beziehungsreichtum in der imitatorischen Verflechtung von Singstimme und Orchester. Der Streichkörper wird wieder zum klanglichen Mittelpunkt.

Das soll nun nicht etwa heißen, daß Hindemith das Prinzip seiner Orchestrationskunst aufgäbe. Auch da, wo starke klangsymbolische Wirkungen erstrebt werden, bleibt der Orchesterklang zeichnerisch, das heißt ein Mittel, um dem erdachten Klangbild sinnliche Anschauung zu verleihen. Reine Farbwirkungen und gar Farbmischungen sind ausgeschlossen. Man hat das Gefühl, daß der Komponist den Blei-stiftentwurf mit der instrumentalen Palette auffüllt.

Dem Streichkörper fällt die wichtige Aufgabe zu, durch bestimmte rhythmische Motive die Einheit großer musikalischer Komplexe zu schaffen. Das gilt insbesondere für die Soloensembles. Der Klavierauszug gibt von dieser formal bindenden Funktion des Streichkörpers nur eine ungenügende Vorstellung. Allein durch das Studium der Partitur kann man sie recht erkennen.

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