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Dauer im Wandel

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Zu gewaltiger Totenfeier vereint, erklangen knapp nacheinander drei Requien, Meisterwerke, unvergleichbar, beziehungslos zueinander, dennoch dem gleichen Gedanken, der Liebe über das Grab hinaus, entsprungen. In Paul Hindemiths Requiem „Für die, die wir lieben“, deutet der Titel keine kirchliche Beziehung, wohl aber eine der 1865 entstandenen, vom Komponisten selbst ins Deutsche übertragenen Verse Walt Whitmans zur jüngsten Vergangenheit. Diese Parallele schafft gewissermaßen die geistige Atmosphäre der Musik, die, weicher, gefühlsgebundener als sonst bei Hindemith, einem leuchtenden Abendrot gleich über den Schlachtfeldern aufglüht. Wahl und Vertonung dieser Dichtung mit ihren gewaltigen Naturbildern und Gefühlsausbrüchen entspricht nicht mehr dem kühnen Draufgängertum des früheren Hindemith, sondern der sicheren Hand des über alles Experimentieren, Werden und Anderswerden zum Meister Gereiften, der an sich selbst höchste Anforderungen zu stellen sich verpflichtet weiß. Die Erfüllung der breit hinströmenden romantischen Verse mit der unmittelbaren, unverträumten Wirklichkeit seiner Musik, die allerdings aus gleicher Naturverbundenheit und sozialem Empfinden wächst, ist dafür der größere Beweis als die Verquickung alter und neuer Formen und Klänge zur Einheit ohne Bruch und Nut, zu innerer Spannung, die stellenweise den Atem benimmt. Knappheit und schmucklose Strenge der Linienführung lassen freilich die Breitenwirkung etwa des üppigeren „Mathis“ vermissen. Keines seiner Werke indes atmet die gleiche Ruhe und Ausgeglichenheit, keines auch, bei aller Wärme der Ausdruckskraft, die gleiche Respektsdistanz vor dem Kunstwerk.

In spannungsmäßig weitester Distanz ?u Hindemith, gleichsam an des Bogens anderem Ende, steht Verdis gewaltiges Requiem, das auf den kirchlichen Text, allerdings ohne liturgische Bindung, komponiert ist, Fülle des Wohlklangs und einer, wenn auch sich zumeist äußerlich entladenden Dramatik, die dennoch in religiöser Schau zu tiefen Wirkungen führt. Die Wiedergabe unter Anton Konrath bot eine schöne chörische und orchestrale Leistung Singverein, Symphoniker, der solistisch nur Sena Jurinac und Emil Siegert entsprachen. Größere Rücksicht auf die kirchliche Bedeutung der Texte hätte manches Ungeschickte vermieden, wie das den Begräbnisquartetten abgehörte knallende Einsetzen des Libera-Rezitativs.

Quellhaft in der Richtung des alten wie des neuen Meisters, unerreicht in seiner Vollkommenheit als kirchenmusikalisches Meisterwerk, bleibt Mozarts unvergängliches Requiem, das älteste von den dreien. Man könnte es ebensogut für das jüngste halten. Die vollkommene Einheit von Text und Musik ergreift und erschüttert wie in Bachs Passionen, die einzige Posaune im Tuba mirum bewegt uns tiefer als Verdis Posaunenlegion. Wenn man aber, wie in der Aufführung unter Josef Krips, die Oberstimmen den Sängerknäben anvertraut, müßte man sie stärker besetzen, als dies am Allerheiligenabend der Fall war. Die Buben, musikalisch ihrer Aufgabe durchaus gewachsen, konnten sich gleichwohl gegen die Männerstimmen und das. Orchester nur schwer durchsetzen, was zu Überanstrengung und stimmlichem Flackern führt. Ganz unzulänglich aber ist die Besetzung der Solopartien mit Knabenstimmen, stilistisch ebenso als klanglich. Der weichere, biegsamere Ton der Frauenstimmen ist den Werken dieser. Zeit gemäßer als der herbere Klang der Knabenstimmen, der bei älteren Werken so charakteristisch wirkt. Das aus Philharmonikern bestehende Orchester sorgte dafür, daß trotz’ den kleinen Unzulänglichkeiten das mozartsche Air zu voller Entfaltung kam.

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