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Karajan, Smetaček und Giulini am Pult

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Drei Werke, drei Stile, drei Jahrhunderte — so gab sich das erste Konzert des Karajan-Zyklus im Musikverein. Georg Friedrich Handels „Concerto grosso” Nr. 5 für Streicher in seiner gemessenen barocken Eleganz wirkte als eine Art festliches Präludium, aus dem der Sprung zu Gottfried von Einems Klavierkonzert (öp. 20) mitten in die Gegenwart reichte. Hier wie dort: kleine und kleinste Melismen bauen die große Form, eine straffe Rhythmik belebt und verbindet — aber doch zwei verschiedene Welten, dort um die Kadenz geordnet, hier in geweiteter Tonalität, dort ein geschlossener Garten, hier ein offenes Land. Gerty Herzog gab dieser Landschaft ein klares, freundliches Profil und im Mittelsatz die Wärme der Verinnerlichung. Zwischen beiden Welten, in der Mitte der Jahrhunderte gleichsam, Anton Dvor äks V. Symphonie „Aus der Neuen ,Welt”, auch als letzte Nummer Mittelpunkt des Programms durch ihre Größe und Dichte, ihren Gefühlsgehalt, der sich schlichter Volksweisen zu stärkster Aussage bedient; ein Werk, das in seiner vollkommenen Synthese von Wollen und Können zu den gelungensten seiner Gattung zählt; auch zu den beliebtesten. Karajan ließ der Gefühlsschwere ihre volle Melancholie, straffte aber, besonders die Ecksätze, zu festlichem Glanz. Das Orchester (Symphoniker) bot eine seiner großen Leistungen.

Die Mährische Singakademie und das Prager Symphonieorchester (Dirigent Dr. Vaslav Smetafek) brachten als Gäste des Musikvereins das „Requiem” von Anton Dvorak zu vorbildlich schöner Wiedergabe. Die Komposition hat keine liturgischen Ambitionen, ist jedoch trotz mancher profaner Themen ein durchaus geistliches Werk von mehr gefühlsmäßiger als gedanklicher Tiefe, das allerdings an den großen Vorbildern Mozarts und Verdis nicht unberührt vorbeikommt. Die Ausführung war eine dankenswerte Einheit von Soli, Chor und Orchester, und dies auf einem Niveau, į das keine Konkurrenz zu fürchten hat.

ln doppelter Hinsicht weiß Julius Patzak seine Liederabende zum Erlebnis zu gestalten: durch die Auswahl wenig bekannter Lieder bedeutender Komponisten ebenso als durch ihre unnachahmliche Interpretation, deren künstlerische Höhe und menschliche Wärme durch wohlbedachten Einsatz seiner stimm- liehen Nuancierung stärkste Unmittelbarkeit erreichen. Die vollkommene Identifizierung gleichsam von Text und Musik, die Ueberzeugung von der Notwendigkeit so wie sie sind, gelang ihm diesmal in ganz besonderem Maß bei Pfitzner, Mahler und Richard Strauss, weniger bei Brahms und den frühen Liedern von Arnold Schönberg, was allerdings nicht die Schuld des Sängers sein dürfte.

Das erste Konzert des Zyklus „Die große Symphonie” leitete Carlo Maria Giulini. Zwei kurze Stücke von Ermanno Wolf-Ferrari (Intermezzo aus den „Vier Grobianen” und Ouvertüre zu „Susannes Geheimnis”) und Ravels Klavierkonzert in G-Dur weisen die gleichen, typisch romanischen Qualitäten auf: schlanke und anmutige Melodieführung, geistvoll belebte Rhythmik, Eleganz und Sparsamkeit der Instrumentierung, klassisches Formgefühl, ironische Distanz vom Sentimentalen und jenen Einschlag von Artistischem, der ‘Pierre Lalo einmal dazu bewog, auf Ravel die Antwort eines kleinen Mädchens zu beziehen, das auf die Frage, was es denn da handarbeite, sagte: „Des petites choses pointuesi” — Das alles hätte recht hübsch und anmutig werden können mit Ornella Santoliquido als Solistin, aber dem temperamentvollen, ganz naiv musizierenden Dirigenten lag diese differenzierte Musik nicht recht (viel mehr fühlte er sich in der Welt von Tschaikow- skys Sechster zu Hause) , und das Orchester war stellenweise etwas unsicher und unpräzise. Das Publikum zeigte sich vor allem vom letzten Werk des programms sehr angetan und applaudierte iebhaft.|

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