Der gekreuzigte Christus als Symbol

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Zu einem nachhaltigen Erfolg wurde die Neuproduktion von Paul Hindemiths "Mathis der Maler“ im Theater an der Wien. Klug inszeniert, packend musiziert.

"Er gerät in die damals gewaltig arbeitenden Maschinerien des Staates und der Kirche, hält mit seiner Kraft dem Drucke dieser Mächte wohl stand, in seinen Bildern berichtet er jedoch deutlich genug, wie die wildbewegenden Zeitläufe mit all ihrem Elend, ihren Krankheiten und Kriegen ihn erschüttert haben.“ So charakterisierte Paul Hindemith anlässlich der Uraufführung seines "Mathis der Maler“ 1938 in Zürich die Titelfigur. Züge, die, entsprechend modifiziert, auch für ihn zutreffen, der damals unten den Repressionen des Nazi-Regimes zu leiden hatte, was schließlich zu seiner Emigration in die Vereinigten Staaten führte. Erfahrungen, denen auch diese Opernsujet-Wahl geschuldet ist. Vorrangig geht es um das bewegte Schicksal des Schöpfers des Isenheimer Altars.

Der Künstler und die Gesellschaft

Tatsächlich ist das beherrschende Thema, das sich hinter diesem, in die Zeit der Reformation und der Bauernkriege gebetteten biografischen Abriss von Matthias Grünewald verbirgt, die Stellung des Künstlers in einer immer wieder vor neuen Herausforderungen stehenden Gesellschaft. Kann man solches negieren, indem man sich auf seine eigentliche Berufung zurückzieht - oder ist man aufgerufen, selbst aktiv an diesem gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen? Genau vor diesem Dilemma steht auch Mathis, der schließlich erkennt, dass seine Aufgabe in der Kunst liegt. Auch damit - wiederum eine Parallele zu Hindemith - lässt sich klar Position beziehen.

Ein aufregendes Thema, eine faszinierende Auseinandersetzung, um die Hindemith auch entsprechend gerungen hat. Ehe es dazu kam, wälzte er gemeinsame Opernpläne mit Bert Brecht, später Gottfried Benn, sichtete, als diese Zusammenarbeiten scheiterten, Material über Johannes Gutenberg, dachte zuletzt an eine Oper über die ersten Eisenbahnen. Schließlich wandte er sich unter dem Eindruck der Machtergreifung der Nazis 1933 in Deutschland dem Mathis-Stoff zu und formulierte dafür auch das Libretto. Ein siebenteiliger Bilderbogen, der auch eine - wenngleich nur angedeutete - Liebesgeschichte enthält, in dem Machtgier und Brutalität ebenso ihren Platz haben wie versuchte Liberalität und hohe menschliche Empathie.

Trotzdem nur eine Folie vor dem eigentlichen Thema, wie es Regisseur Keith Warner klug erkannt hat. Bei allem Assoziationsreichtum, den seine Inszenierung bietet - so lässt er bei der hier den Katholiken zugeordneten Bücherverbrennung bewusst die Bilder der Nazi-Zeit aufkommen - aber auch bei aller Buntheit, die sie auszeichnet - wie das in violettes Licht getauchte Versuchungsbild - legt er den Fokus auf eine klare Charakterisierung der Protagonisten und deren im Laufe der Handlung unterschiedliche Interaktionen. Damit wird so mancher individuelle Wandel spannend deutlich.

Die Königsidee dieser Produktion, die Hindemiths Opus summum nach über einem halben Jahrhundert wieder nach Wien bringt, ist ihre Bühnenarchitektur, von der zuerst nur eine Hand, dann das mit einer Dornenkrone umgrenzte Haupt, schließlich der gesamte Corpus erkennbar wird: eine von den Bildern des Isenheimer Altars inspirierte, überlebensgroße Skulptur des gekreuzigten Christus. Symbol für den Menschen schlechthin, damit auch den Künstler, der sich immer wieder gegen äußere Umstände wehren muss, um seiner eigentlichen Aufgabe gerecht zu werden und dabei stetig zwischen Scheitern und Erfolg pendelt, oft aggressiven Angriffen unterliegt.

Profunde Führung durch de Billy

Der Erfolg dieser Produktion beschränkt sich freilich nicht auf die Szene, auch musikalisch besitzt dieser "Mathis“ hohes Format. Angefangen von den Wiener Symphonikern, die unter Bertrand de Billys profunder Führung zeigen können, dass sie sich auch auf die Oper bestens verstehen, über die vom Slowakischen Philharmonischen Chor gestellten Choristen bis zu den von Wolfgang Koch, der ein packendes Porträt der Titelfigur entwirft, angeführten Solisten.

Makellos Katerina Tretyakova als Regina, profund Raymond Very als ihr Vater, der Rebell Hans Schwalb. Franz Grundheber, der damit erstmals in einer Bühnenproduktion des Theaters an der Wien mitwirkt, verkörpert ideal den Lutheraner Riedinger, tadellos Charles Reid als doppelbödiger Capito und Magdalena Anna Hofmann als Gräfin Helfenstein. Rollendeckend, wenn auch von Anlaufschwierigkeiten getrübt, Manuela Uhls Ursula, während Kurt Streit in der von ihm persönlichkeitsstark erfüllten Rolle des Mainzer Erzbischofs und Kardinals Albrecht von Brandenburg stimmlich zuweilen bis an seine Grenzen gefordert schien.

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23., 28. Dezember

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